Jenseits von Oberhessen. Carola van Daxx
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Читать онлайн книгу Jenseits von Oberhessen - Carola van Daxx страница 8
Der Flug nach Afrika war eine willkommene Abwechslung nach dieser überraschenden Szene. Überall urlaubswillige Menschen, die fast nur ein Thema hatten: das Wetter! Und wie froh sie seien, endlich mal wieder Sonne auf der Haut zu spüren. Zwei ältere Damen in der Reihe hinter ihr waren so forsch, Lina gleich zu fragen, in welchem Haus sie auf Djerba residieren würde. „Ich bin im Alice Palace“, hatte sie selbstbewusst und stolz geantwortet. Immerhin, sie hatte ihren Urlaub verdient – und das in mehrfacher Hinsicht. „Ach“, rief die eine durch den halben Ferienflieger, „wir sind doch auch im Alice! Wir sind seit Jahren IMMER im Alice!“ Das war die Rothaarige mittleren Alters, die sich als Geli vorstellte. „Eigentlich Angelika, aber für die meisten bin ich nur die Geli…“ – woraufhin Lina bei der Gelegenheit klarstellte: „Ich bin eigentlich Angelina, aber für die meisten nur Lina…“.
„Wie sympathisch!“, stieß die blond-grauhaarige Mittsiebzigerin aus, „da haben wir bestimmt eine Menge Spaß zusammen. Ich bin übrigens die Inge. Also eigentlich Ingeborg, aber die meisten nennen mich nur Inge.“
Dann hatten die beiden sich nicht mehr eingekriegt vor Lachen. Und Lina musste wohl oder übel aus Sympathie (!!!) ein bisschen mitkichern. Irgendwie war es ja auch schön, dass sie ein wenig Gesellschaft hatte in der großen weiten Welt, in die sie sich begeben hatte. Man wechselte ja den Kontinent normalerweise nicht gerade wie die Unterhemden. Und heute stand nun mal „Kontinentwechsel“ auf dem Programm, was ganz schön aufregend war.
„Hach, ich bin richtig uffgereechd!“, ließ Lina dann noch aus der Tiefe ihres Herzens los, wo der Heimatdialekt beheimatet war. Wobei die beiden Ladies hinter ihr sofort gänzlich aus dem Häuschen waren.
„Ei, Geli, guckemaa, die Lina iss auch e echt‘ Hessemädsche, die sacht ja auch uffgereechd, knau wie mir, wenn mer babbele, wie uns de Schnabbel gewachse is!“ Und in diesem Moment war Lina dann auch klar, dass dies ein Urlaub mit Familienanschluss werden würde.
Na denn.
Knaddel-Daddel
„Herzlich Willkommen im Alice Palace auf der Sonneninsel Djerba!“ Na, das war doch mal eine Ansage… „Sie haben großes Glück gehabt, verehrte Lina Siebenborn, der Direktor hatte nämlich an Silvester verdammt gute Laune und für den Rest des Monats „ULTRA-ALL-INCLUSIVE“ für alle angeordnet. Auch für diejenigen, die nur normales All-In gebucht haben!“, verkündete der freundliche Empfangsmitarbeiter mit einem Lächeln und legte das goldene Bändchen um ihr Handgelenk.
„Sie können Ihr Bargeld nun in den Tresor legen – und am Abreisetag wieder komplett mitnehmen. So einfach ist das!“, erklärte der Hochmotivierte mit deutschem Migrationshintergrund weiter. Aber was hieße das nun im Einzelnen, fragte sich Lina. Doch bevor sie etwas sagen konnte, waren die beiden Hinterbänklerinnen ihr schon zuvor gekommen, die anscheinend alles fleißig belauscht hatten.
„Ach, Inge, dess is ja doll! Da könne mer ja rund-um-die-Uhr esse und dringe! Bei Ultra-In gibt’s nur zwei Stunden, wo’s emal nix zu schnaggele gibt!“
„Plus ne Massage und ein Rosenblütenbad extra für jeden Hotelgast!“ – „Unn der Friseurbesuch im Salon Alice, nedd zu vergesse, gell?“
„Mier kenne dess alles schon vom letzte Jahr!“, fügte die eine der beiden noch ordnungshalber hinzu. „Unn vom vorletzten Jahr aach…“, sagte die andere daraufhin. Aha, nun wusste Lina, es würde doch ein Wellness-Aufenthalt im weitesten Sinne werden. Und alles ohne Zusatzbelastungen ihrer Urlaubskasse. Prima!
Das gebuchte Gemach war auch mehr eine orientalische Suite als ein herkömmliches Doppelzimmer zur Einzelnutzung: total großzügig angelegt, superschöne Terrasse mit Blick auf Palmen und Meeresrauschen inklusive - ein bisschen wie Tausend und eine Nacht für nicht ganz Verarmte, sehr geschmackvoll eingerichtet in einem Stilmix aus modern und arabisch-traditionell, auch ein Kingsize-Bett sah sehr verlockend aus und eine ebenso große Marmorbadewanne mit eingebauter Sprudeltechnik – was nichts anderes bedeutete als Whirlpool in Privatausführung. Auf dem Tisch standen frische Blumen mit einem Willkommens-Schildchen, eine Flasche Alicenquelle-Mineralwasser zur Begrüßung und sogar ein Alicen-Betthupferl lag liebevoll auf dem Nachttisch drapiert. Hey, so ein Glück! Das alles sagte ihr wiederum, dass ihre Entscheidung, ein seriöses Reisebüro zu konsultieren, nicht die falscheste gewesen sein konnte. Und jetzt noch der Knüller mit dem Ultra-All-In, das war ja echt der Oberhammer!
Da auch das abendliche Buffet keine Wünsche mehr übrig lassen sollte, war der erste Tag so gut wie gerettet. Natürlich konnte sie sich nicht der permanenten Gesellschaft von Geli und Inge erwehren, die sie sozusagen schon im Flieger mit aller Gewalt adoptiert hatten und sich dann gleich zu ihr gesellten, kaum dass sie sich einen schönen Ecktisch im Speisesaal gesichert hatte. Aber irgendwie und irgendwann würde sie schon eine Möglichkeit finden, ein bisschen für sich zu sein. Es war ja erst der erste Tag, geschlagene sechs sollten dem noch folgen. Und so verkehrt konnte es ja auch nicht sein, ein bisschen Heimatkontakt im fernen Afrika zu pflegen – außerdem kannten die beiden sich mit allem, einfach allem aus. Sie hätten direkt als Gästebetreuer dort angestellt werden können, denn es gab nichts, was sie nicht wussten und anscheinend auch niemanden, den sie nicht persönlich kannten.
Hatten sie sich wohl noch eine Zeit lang in Zurückhaltung geübt, kam an der Absacker-Bar die obligatorische Frage: „Und, Du so? Solo, Single oder frisch geschieden? Oder haste Dein Göddergadde nur vorsichtshalber mal dehaam gelasse?“ Püh! Das hatte Lina befürchtet, gleich nach dem üppigen Nachtisch wollten die Hessenladies ihr also ans Eingemachte gehen. Die Antwort kam spontan aus ihr herausgesprudelt: „Momentan bin ich eher als Solistin unterwegs, zumindest hier im Urlaub.“ Im selben Moment bereute Lina jedoch, überhaupt ein Statement zu ihrem Beziehungsstatus abgegeben zu haben… Denn postwendend kam: „Ei, mei Mädsche, hier is noch kaa lang allei‘ gebliebe…“ Und Inge, die altersmäßig ihre Mutter sein konnte, gab noch dazu: „Mier habbe jedenfalls schon immer alle irschendwie unnergebracht, gelle?“ Dann nickten sich die beiden verheißungsvoll zu und Geli blinzelte noch vielsagend. Ui, ui.
Der Erdboden hätte sich nicht weiter auftun können, um direkt in ihm zu versinken. Fand Lina. Und überlegte, wie sie aus der Nummer wieder rauskommen könnte. Aber zu spät. Denn die Hobbykupplerinnen hatten ihr erstes Opfer schon im Visier. „Guckema da, der da ist doch zuggersüß, der wär‘ doch was für Dich, oder?“ Die ergraute Eminenz war wirklich fest entschlossen, irgendein Liebesabenteuer für die Club-Anfängerin zu arrangieren. Was war das hier eigentlich für ein Club – also in Wirklichkeit? Hatte sie vielleicht irgendetwas falsch verstanden? War das mit dem All-Inclusive mit irgendeinem Liebeshaken verbunden?
Aus dem Augenwinkel sah Lina nur eine verführerische, gut gebaute Männersilhouette. Ein wahrhaftiger Hüne von hinten, fiel ihr stichwortartig ein – und unter dem mordsmäßigen Arm hielt er irgendein kleines Instrument, eine Art Gitarre oder eine Geige? Irgendwie kam ihr der Typ verdammt bekannt vor…
„Hallooooo, junger Mann, es ist noch Platz an der Theke!!!“, rief Inge enthusiastisch. Oh Gott, da ist ja noch schöner wie schön. Wo war sie nur hingeraten, fragte sich Lina.
Hilfe, jetzt drehte sich der Hüne auch tatsächlich herum und blickte frontal in ihre Richtung. Wie peinlich. Ob er das wirklich gehört hatte? Leise waren sie ja nicht gerade gewesen, die Hessenladies. Okee, sie hatten auch schon ihren vierten oder fünften Feigenlikör intus. Und ihr Lachen war mit jedem Likörchen immer lauter geworden, kein Wunder. Konnte Urlaub wirklich so anstrengend sein? Sie wollte doch eigentlich nur chillen und ein bisschen Abenteuer. Ein bisschen! Jetzt kam sie sich schon am ersten Abend vor wie Alice am