Jenseits von Oberhessen. Carola van Daxx
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Eure Lina
Kaum war die Nachricht verschickt, klingelte im verträumten Bad Salzhausen auch schon das Telefon. Die Frankfurter Nummer kannte Lina in- und auswendig, kein Wunder, es war ja einst ihr eigener Anschluss gewesen. Die liebe Ines, das allzeit fleißige Bienchen, hatte also ihren Dienst schon wieder angetreten. Wahrscheinlich arbeitete sie hochmotiviert alles Liegengebliebene von vor Weihnachten ab.
„Hallo, Lina!“, hauchte sie etwas außer Atem in den Hörer. „Gerade habe ich Deine Mail gelesen! Mensch, ich wollte ja die ganze Zeit schon mal anrufen, aber hier ist die Hütte wieder mal am Kacken… Püh!“ Das hörte sich nach Vollstress an, befürchtete Lina, die sich nur allzu gut noch immer an ihr erstes Leben als Chefsekretärin erinnern konnte. „Jetzt mach‘ mal langsam, Du bist ja ganz außer Puste! Und übrigens, nur mal so fürs Protokoll: Es heißt korrekterweise, hier ist die Kacke am Dampfen – dass eine Hütte kackt, habe ich ja noch nie gehört… Aber egal. Was gibt es denn so früh im neuen Jahr schon wieder an Hektik bei Dir?“
Eigentlich wollte sie es gar nicht so ganz genau wissen, aber nun stieg Ines gleich ins Thema ein: „Kick-Off 2015, Du weißt doch, wir machen jetzt keine Jahresend-Tagungen mehr, sondern beginnen das Jahr gleich mit einem Mega-Meeting. Alle, die irgendwas zu vermelden haben, kommen da zu Wort… Und die Leute werden ja immer komplizierter, je mehr Möglichkeiten ihnen das Leben bietet. Ständig stellen sie alles in Frage und meckern an der Planung herum, angefangen beim Hotel, dann gefällt ihnen der Ablauf nicht, dann finden sie, das Buffet sei nicht richtig durchdacht, der Standort falsch beschrieben, die Location nicht hip genug, die Matratzenstärke nicht explizit mit Gewichtsangabe versehen – oder es fehlen die korrekten Angaben zu allen verfügbaren Allergenen auf der Speisekarte im Internet. Ich werde noch waaaahnsinnig! Und das Schlimmste ist: Sie schütten einen zu mit ihren Mails und SMSen. Ich verfluche den Tag, an dem der Quatsch erfunden wurde…“
„Ja, manchmal hasse ich das alles auch, besonders dann, wenn ich unüberlegtes Zeug in die Tasten gehauen habe, nachts um halb vier oder so. Aber mal im Ernst, was hältst Du denn jetzt von meiner Idee?“ Dann war erst einmal Sendepause, das verhieß wohl nichts Gutes, befürchtete Lina aus Erfahrung. Also schob sie vorsichtshalber nach: „Wenn Du mich fragen würdest, ich würde sagen, Du hättest Urlaub nötig, Ines Gerlach!“ Aber vom anderen Ende kam nur ein schweres Atmen…
„Lina, Du hast vollkommen recht, urlaubsreif bin ich – selbst nach den Feiertagen. Aber Fakt ist, ich kann hier nicht weg. Diese Kick-Off-Geschichte raubt mir den letzten Nerv und ich kann Siegbert hier unmöglich alleine lassen – oder ihm eine Vertretung vor die Nase setzen. Das funktioniert einfach nicht.“ Dann hörte man Stimmengewirr in Ines‘ Büro, es schien also wieder lebhaft zuzugehen. Ein gehetztes „Ich schicke Ihnen das alles nochmals schriftlich zu, dann hätten wir ja jetzt alles geklärt“, signalisierte Lina, dass die Zeit für Privatgespräche ihr Ende erreicht hatte. Ines war wirklich im Stress.
So, die komplette Mädelsrunde konnte sie für einen gemeinsamen Trip schon mal Abhaken. Ines fiel definitiv aus.
Von Susi Lustig trudelte kurze darauf eine Antwort ein:
Hi Mädels,
die Idee von Dir, liebste Lina, war echt nicht schlecht. Aber es gibt ein großes Aber: Ich gehe nämlich ein paar Tage in Klausur, kann demnach leider nicht mit zum Flaggenurlaub. Hatte schon vor Längerem einen Aufenthalt im Kloster gebucht, denn das Tempo aus meinem Reporter-Alltag muss unbedingt mal raus. Sonst kann der Hessenfunk bald eine Umzugsanzeige für mich schalten: Frei nach dem Motto, „Für unsere allseits beliebte Susi war plötzlich Schluss mit Lustig – Sie ist überraschend umgezogen und freut sich über Blumen und Besuche auf dem Frankfurter Hauptfriedhof“.
Das wollte ich doch unter allen Umständen vermeiden, die Zeit ist noch nicht reif. Ich melde mich, wenn ich wieder geerdet und ge-ohmmmt bin.
Wo immer es Euch hin verschlägt: Viel Schbass, meine Lieben! Und blamiert mir nicht die Innung…
Total gestresste Grüße
Susi
Auf Zweierferien mit Marie-Anne verspürte Lina jedoch keinerlei Lust. Das würde schlicht und ergreifend zu bedeutungsschwanger und anstrengend, außerdem lagen zwischen dem Humor der beiden manchmal doch Welten. Und mit ihren vielen Wehwehchen und ihrem ewigen „Das kann ich nicht, meine Beine, Ihr wisst doch…“, erinnerte sie Lina eine Spur zu oft an den wehleidigen Jan, der immer dann, wenn es drauf ankam, irgendetwas „Gesundheitliches“ vorschob, damit er aus der Nummer raus war… Die Rücksichtnahme auf seine Befindlichkeiten hatte er sozusagen im Abo, und zwar lebenslänglich. Im Vierer-Team fiel das mit Marie-Annes Einschränkungen nicht weiter ins Gewicht, aber ein paar Tage exklusiv mit der Alterspräsidentin und ihrem Alterserscheinungen zu verbringen, wäre nicht angebracht. Insofern war Lina über deren Absage auf dem Anrufbeantworter auch überhaupt nicht traurig. Die anderen beiden dürfte das jetzt eh nicht mehr interessieren, die hatten sich ja schon abgemeldet.
Trotzdem stand nun die Frage im Raum: Was tun, Frau Siebenborn?
Urlaub streichen? Alleine fahren? ALLEINE???? Lina konnte sich mit dem Gedanken überhaupt nicht anfreunden. Sie war seit ewigen Zeiten nicht mehr als Solistin unterwegs gewesen, in den letzten beiden Jahren eigentlich nur mit Jan. Paris übers Wochenende, Shopping-Touren in allen Variationen, Hamburg im Traditionshotel Atlantic, Ayurveda in Traben-Trabach, Bad Ragaz im Heidiland und Lindau am schönen Bodensee. Um nur ein paar der Ziele zu nennen, mit denen Jan sie immer wieder überrascht und erfreut hatte. Ja, ja – es kam ihr schon wieder vor, als wären Lichtjahre vergangen, seitdem. Jetzt stand sie alleine da, die Luft war raus und sie hatte so langsam auch keine Puste mehr. Die alte Indianerweisheit, dass man ein totes Pferd nicht reiten kann, kam ihr in den Sinn.
Aber sollte sie jetzt deshalb in ihren hart verdienten Betriebsferien zuhause im beschaulichen Kurort in der Wetterau bleiben? So schön ihre oberhessische Heimat ihr auch immer wieder erschien, das war nun wirklich zuviel verlangt. Aber alleine mit dem Auto die Ostseeküste entlang fahren? Nee, das war too much „Jan im Gepäck“, selbst wenn er weit weg sein sollte. Es musste etwas Neues her.
Nach stundenlangem Surfen auf den diversen Seiten im Netz war Lina jedoch verwirrter als zuvor. Wo sollte sie bloß hin mit sich und ihrem Resturlaub? Ski-Urlaub war nix für sie, zu kalt, zu weit weg, zu sportlich – und zu gefährlich! Sie war immerhin selbständig und konnte keine Krankenhausaufenthalte wegen verdrehter Gliedmaßen gebrauchen. Es müsste was Ruhigeres her, etwas Erholsames. Ihre Nerven bedurften der Pflege… Wellness auf irgendeiner Beauty-Farm! Ja, das klang doch schon besser. Ihr fiel da so einiges dazu ein. Immerhin hatte sie mal für die Gattin ihres Ex-Chefs, Herrn Hein, dem allseits berühmt-berüchtigten Peitschen-Heini, eine größerer Recherche in dieser Sache gestartet. Da konnte sie sich an einige verlockende Angebote noch gut erinnern – und noch viel mehr als das, kam ihr wieder ins Bewusstsein, dass dieser Heini auch an ihrem neuen Dasein als Kaffeehausbesitzerin „schuld“ war. Weil sie von seinen Eskapaden im Bahnhofsviertel wusste, seiner Vorliebe für erotische Spielchen der ganz anderen Art… Und genau diese Recherche für Marlene Heins Beauty-Urlaub hatte ihr damals mittels einer geschickt eingefädelten Intrige das Sekretärinnengenick gebrochen. Das war lange her, genauer betrachtet etwas mehr als zwei Jahre – doch irgendwie kamen ihr die Erinnerungen an diese Turbulenzen auch vor wie aus einem anderen Leben. Richtig verkraftet hatte sie dieses Mobbing aber noch immer nicht. Auch deshalb waren Ferien genau jetzt das richtige Stichwort.
Aber abgesehen davon, dass die exklusiven Adressen wirklich eine