Rette uns, Elaine!. Inga Kozuruba
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Читать онлайн книгу Rette uns, Elaine! - Inga Kozuruba страница 6
Elaine sah ihn fragend an: „Erklär' mir das bitte.“
Er nickte: „Das ist so – du erinnerst dich, wie schwer es damals für uns war, an ihn ranzukommen? Das Problem hätten wir selbst ohne die verfluchte Verschwörung gehabt. Regeln und Etikette, du verstehst. Jedenfalls, wenn es schon bei einem Prinzen so übel aussieht, ist es bei einem König nicht besser. Vor allem dann nicht, wenn er sich an jede klitzekleine Winzigkeit halten muss, damit die Sache reibungslos läuft. Wenn er jetzt auch nur einen Fehler macht, dann stürzt uns alles zusammen wie ein Kartenhaus.“
Elaine ließ die Schultern sinken: „Und... und wie lange wird das noch so weitergehen, Boo? Wie lange muss er wie ein Uhrwerk funktionieren, bis er endlich leben kann? Und dasselbe gilt sicherlich auch für Malvina, ich meine die Königin, nicht wahr?“
Er nickte: „Ja, sie hat dasselbe Problem. Und ich habe nicht die geringste Ahnung, wie lange das noch gehen wird. Vielleicht erleben wir es ja noch, vielleicht auch nicht. Aber – das ist nun mal seine Pflicht, verstehst du? Und unsere Verantwortung ist, ihn nicht dabei zu stören.“
Es kam ihr so eigenartig vor, solche Worte ausgerechnet aus seinem Mund zu hören. Es sah so aus, dass Boo tatsächlich und endgültig erwachsen geworden war.
„Also gut. Wir können also nicht zum König, und auch Malvina können wir nicht sehen... Dann ist es wirklich im Moment das beste, mit Leo zu sprechen. Vielleicht... vielleicht hat er doch etwas gemerkt, und wollte es nur selbst nicht wahrhaben, weil er der einzige war.“
Boo zog eine Augenbraue hoch: „Ich würde so sicher auf das Gegenteil wetten wie du beim Aufzug, Ellie. Du wirst sehen, er ist ganz genau meiner Meinung.“
Elaine nickte: „Kann sein. Trotzdem, Boo, ich muss mich versichern, dass diese Alpträume keine Bedeutung haben.“
Boo nickte nun auch und grinste: „Klar, das verstehe ich. Würde mir an deiner Stelle nicht anders gehen.“
Sie lächelte ihm leicht zu und dann wanderte ihr Blick zum Fenster.
Warum auch immer sie am Tag in der Hauptstadt angekommen war, er neigte sich nun offensichtlich dem Ende zu. Es goss immer noch in Strömen. Das Wasser floss die Fensterscheiben hinunter, so dass man gerade noch die Silhouetten der Häuser erkennen konnte, die schon bald mit der Dunkelheit des Himmels im Hintergrund verschmelzen würden. Hier und da waren verzerrte Formen der Fenster zu sehen, in denen inzwischen Licht brannte. Boo legte ebenfalls den Schalter um. Das gelbliche elektrische Licht ließ die Küche zugleich so angenehm normal und so trostlos gewöhnlich aussehen, dass Elaine nach der Teetasse griff, um ihre plötzlich kalt gewordenen Hände zu wärmen. Aber sie musste feststellen, dass der noch verbliebene Tee inzwischen ebenfalls kalt geworden war.
„Warte, hier, es ist noch etwas da“, lächelte Boo ihr zu und goss die Tasse randvoll auf. Sie lächelte ihm dankbar zu und nahm einen großen Schluck. „Ein Sauwetter, was? Ich an deiner Stelle würde das Treffen mit Leo auf morgen verschieben. Im Nassen herumzulaufen ist nicht schön, und in der kalten Dunkelheit erst recht nicht. Selbst ohne Kreaturen, die nach einem schnappen könnten.“
Elaine sah ihn fragend an. Er seufzte: „Na ja, wir haben den Krieg sicherlich gewonnen – aber bis die Grenze wieder stand hat es gedauert. Und es hat auch gedauert, bis hier oben auch die letzten Viecher ausradiert wurden, die sich hier eingenistet hatten. Die ersten Jahre wärest du dir hier wie in einem Alien-Film vorgekommen, nur dass man sich nie sicher sein konnte, wie das Alien hinter der nächsten Ecke oder dem nächsten Schuttberg aussieht.“
Daran hatte Elaine gar nicht gedacht. Die Stadt war vollkommen zerstört und mit Kreaturen überlaufen gewesen. Zum Glück kannte sie beides nur aus Geschichten – sei es reale Geschichte oder Fiktion. Boo und die anderen hatten es jedoch am eigenen Leib mitgemacht. Sie fragte sich, wie viele Narben er inzwischen hatte. Oder hatten sie noch einen so fähigen Arzt gefunden wie Dr. Stern?
„Hey, bitte schau nicht so. Es muss dir nicht leid tun. Wir haben alle getan, was getan werden musste. Aber jetzt ist alles im Lot. Ehrlich. Dass du dir wegen irgend welcher Alpträume Sorgen machst ist das einzige, das mich davon abhält, Freudensprünge zu veranstalten. Ich hab’ dich echt vermisst!“
Elaine lächelte. Wenn sie ihm irgendetwas glaubte, dann das. Ihr ging es da schließlich nicht anders. Am liebsten würde sie ihm auch glauben, dass wirklich alles in bester Ordnung war – nur konnte sie es nicht. Manchmal konnte sie gerade noch so, zwischen zwei Lidschlägen, den süßen, ekelhaften Duft der Mutter in der Nase spüren. Oder den Zug der Spinnenfäden. Oder den warmen Hauch des Atems in der Tiefe. Am liebsten wäre sie sofort aufgesprungen und losgerannt, nach unten, immer weiter nach unten, egal was kam. Am liebsten hätte sie eigenhändig die Netze zerfetzt, die ihre Freunde seit einer halben Ewigkeit gefangen hielten. Wer weiß, was sie ihnen in dieser Zeit alles angetan hatte?
Aber gleichzeitig sagte ein Teil von ihr, dass Boo recht hatte. Zumindest damit, dass es besser war, auf den neuen Morgen zu warten. Sie fühlte sich so müde und schläfrig. Konnte das die Wirkung der Tabletten sein, die sie genommen hatte? Oder war es einfach nur der Tee? Kryss hatte mal einen Tee gemacht, der hätte jeden ins Land der Träume geschickt. Elaine gähnte.
Boo lächelte: „Kein Wunder, dass du müde bist. Ich hab’ mal gehört, dass es praktisch unmöglich ist ohne jegliche Hilfsmittel zu wechseln.“
Elaine wollte ihm sagen, dass sie Hilfe hatte, dass sie etwas genommen hatte, aber sie ließ es bleiben. Vielleicht hatte er doch nicht Unrecht.
„Komm, ich bringe dich ins Bett. Oder willst du erst mal ’ne heiße Dusche zum Aufwärmen? Deine Lippen sind irgendwie blau.“
Elaine merkte nur, dass ihre Hände eiskalt waren, und sie nickte. Boo half ihr auf, aber sie bestand darauf, selbst zu gehen. Mit einem Teelicht in der Hand führte er sie zum kleinen Bad, das wiederum über elektrische Beleuchtung verfügte. Alle Zimmer bis auf zwei waren zu, bei einem von ihnen war die Tür angelehnt, dahinter war gerade noch ein unglaubliches Chaos aus Dingen und Kleidungsstücken zu sehen. Sie lächelte schwach: Endlich bekam sie Boos Zimmer zu Gesicht, wenn auch nur einen kleinen Ausschnitt davon. Das andere offene Zimmer wartete auf sie, das war ihr klar. Das tat es schon, seit sie die eine Nacht, ihre erste Nacht in der Hauptstadt, darin verbracht hatte.
Boo ließ sie einen Augenblick warten, dann überreichte er ihr einen flauschigen Bademantel im schönsten Smaragdgrün, das Elaine je gesehen hatte.
Sie zog die Augenbraue hoch: „Wo hast du das denn her?“
Boo grinste: „Ein Geschenk des Hotels in dem du die Comtessa gegeben hast. Es kam leider ein paar Tage zu spät, da warst du wieder weg. Und als du wieder da warst, da hatten wir ganz andere Dinge im Kopf als das. Siehst du, sie haben sogar deinen Namen einsticken lassen: Comtessa Ellie.“
Elaine hatte ihren Decknamen zwar etwas anders im Kopf, aber diese Interpretation war nicht schlechter. Wer weiß, vielleicht hätte sie sich hier ganz legitim Comtessa nennen können, hätte sie sich nicht vom Grafen fortschicken lassen. Sie war erneut den Tränen nahe, also schnappte sie sich den Mantel, und verschwand mit einem hastigen Dankeschön im Bad.
Als das heiße Wasser über ihre Haut perlte, hatten ihre heißen Tränen die beste Tarnung der Welt. Sie schluchzte lautlos. Irgend etwas war in der Zeit, in der sie fort war, furchtbar schief gelaufen. Das war kein Happy End. Es war nicht einmal ein richtiges Ende. So konnte diese Geschichte nicht enden. So durfte sie nicht enden. Elaine bemerkte erst daran, dass sie wie verrückt über ihre Haut schrubbte, dass erneut ein Anflug ihres Alptraums über sie gekommen war. Ein Anflug von genüsslichem Ekel. Wenn es irgendwo so etwas gab,