Rette uns, Elaine!. Inga Kozuruba
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Elaine schmunzelte. „Wirst du auf diesen Mistkerl aufpassen, solange ich weg bin?“, fragte sie mit ihren Lippen. „Mach dir keine Sorgen, Schatz. Er ist gut verschnürt“, antwortete sie ebenso.
„Schau mal, ob er irgendwo die Schlüssel zu der Wohnung bei sich hat.“
Alice nickte und durchsuchte den Gefesselten unsanft. Dann flog ein Schlüsselbund durch das Glas in Elaines Hände.
„Sperr bitte ab, wenn du gehst, Ellie. Nicht, dass jemand hier rein kommt, der nicht sollte. Du musst das Schloss versiegeln, damit niemand falsches hier Eintritt bekommt.“
Elaine nickte. Sie wollte nicht wissen, was Ivanas oder ihr Spiegelbild anstellen könnten. Corry würde sie vermutlich nicht abhalten können, aber Corry war nicht da. Sie nickte Alice noch einmal zu und verließ das Zimmer, ohne auf die stummen Schreie des Narren zu achten. Der Schlüssel drehte sich bis zum Anschlag im Schloss zum Zimmer, dann im Schloss zur Eingangstür. Jede Drehung wurde von Elaine mit einem Gedanken versehen. Kein ungebetener Gast würde sich zu diesen Räumen Zutritt mehr verschaffen. Und schon gar nicht jemand, der das Leben anderer stahl.
Sie machte sich auf den Weg nach unten, diesmal ganz normal über die Treppe. Sie musste niemandem mehr beweisen, was sie konnte. Laufen machte ihr Spaß. Sie wünschte nur, sie könnte jetzt wie an ihrem ersten Abend in der Hauptstadt mit Boo und Leo zusammen in die Kneipe losziehen. Doch dazu würde es erst einmal nicht kommen. Sie musste nach Leo sehen. Sie musste sicherstellen, dass wenigstens er in Ordnung war. Selbst wenn er wusste, dass mit seinen Freunden etwas nicht stimmte, er hätte nichts riskiert. Er hatte eine Familie für die er sorgte und um die er sich sorgte. Er würde vorsichtiger vorgehen – und vielleicht war er noch er selbst.
Auf dem Weg nach unten ging sie noch einmal den Inhalt der Taschen durch. Schlüssel in der Jeans. Füller von Irony, Leos Köder und die Murmel von Boo in der Innentasche der Lederjacke. Nur das Fotoalbum hatte sie nicht bei sich, aber das brauchte sie hier nicht. Sie erinnerte sich an jedes Detail als wäre alles erst gestern passiert. Und außerdem hatte sie eine der Rabenfedern in einer Tasche gefunden. Eine der Federn, die sie sich auf der Jagd nach Corry eingesteckt hatte.
Sie stand auf der Straße und sah sich um. Es regnete wieder – oder immer noch, das wusste sie nicht – aber nicht mehr so stark wie bei ihrer Ankunft. Nieselregen war nicht schlimm, und der Wind hatte auch nachgelassen. Sie fragte sich, wie das Waldviertel inzwischen aussah. Oder was aus dem Dschungel geworden war. Man schien beim Aufbau wenig verändert zu haben, obwohl sie den Prinzen sehr progressiv erlebt hatte.
Immerhin hatte die Sache auch etwas Gutes. Sie würde keine Karte brauchen, um zum Humpty Dumpty zu kommen, darin war sie sich sicher. Sie war schon oft genug dort gewesen. Sie fragte sich, wie der Laden sich unter Leos Führung machte. Oder war das alles ein Riesenschwindel? Dann wiederum, sie hatte bisher keinen Hinweis darauf bekommen, dass Leo in der Tiefe war wie die anderen. Zumindest bei der Maskerade letztes Mal hatte er sich gut raushalten können. Vielleicht hörte er auch diesmal auf seinen Instinkt.
Ihre Füße trugen sie wie selbstverständlich zur Kneipe. Hätte sie nicht gegrübelt während sie ging, dann hätte sie gemerkt, dass sie gelaufen war und mit ihrer Geschwindigkeit problemlos mit der Straßenbahn mithalten konnte. Ihr wäre auch aufgefallen, dass sich auch ansonsten wenig auf den Straßen verändert hatte. Sie waren noch immer von grauen Anzugträgern beherrscht, von Behördendrohnen, nicht von Menschen. Als ob es gar keine normalen Leute gab. Oder nahmen sie alle andere Wege?
Elaine erwartete nicht, dass um diese Zeit im Humpty Dumpty viel los sein würde. Sie rechnete vielmehr damit, dass nur ein paar wenige Stammgäste da sein würden, vielleicht um zu frühstücken, oder einfach nur um mit Leo oder Siren zu reden. Sie war jedoch überrascht, die gähnende Leere vorzufinden, die ihr still entgegenschlug, als sie die Tür öffnete. Die Kneipe wirkte wie ausgestorben. Elaine ging leise rein und schloss hinter sich die Tür.
Die Kneipe sah so aus wie früher. Nur war sie wesentlich sauberer als zuvor. Immerhin ein Fortschritt. Auch wenn es die Leute früher nie gestört hatte, wenn dem nicht so war. Dann wiederum, wenn Leo das Gästezimmer so penibel sauber gehalten hatte, wie hätte es anders sein sollen? Sie ging leise zwischen den Tischen durch zum privaten Bereich. Je näher sie der Tür kam, umso klarer wurde ihr, dass dahinter jemand war. Ein Mann und eine Frau. Sie stritten sich. Und ihre Stimmen gehörten eindeutig Leo und Siren.
Sie stritten sich sehr laut, das wurde ihr klar. Die Tür sah wie ein guter Schalldämpfer aus. Dennoch waren sie gut zu hören als Elaine stehen blieb und zögerte, die Hand auf die Türklinke zu legen. Sie war sich sicher, dass diese Tür nicht abgeschlossen war. Trotzdem wollte sie nicht mitten in einen Ehestreit platzen. Statt dessen lauschte sie wie gebannt. Dass sich Eheleute zankten, das kam schon mal vor. Auch dass dabei Geschirr zu Bruch ging. Siren war sicherlich nicht temperamentlos. Wenn Leo die Beherrschung verlor, dann wäre Elaine sicherlich die letzte, die zur Zielscheibe seines Zorns werden wollte. Aber normalerweise verlor Leo nicht die Beherrschung. Nicht so.
Elaine hielt den Atem an, als sie Sirens Schmerzensschrei hörte. Leo schlug seine Frau?! Sie riss die Tür auf und eilte schnellen Schrittes auf die Laute zu. Die dunklen Gänge führten sie recht bald in die Küche. Ja, es war einiges an Geschirr zu Bruch gegangen. Aber nicht nur das. Elaine erstarrte. Siren lag auf dem Boden und versuchte gerade, sich aufzurichten. Über ihr stand Leo, mit vor Wut verzerrtem Gesicht. Er war nicht wiederzuerkennen.
„Leo, was machst du da?!“, rief Elaine schließlich aus, als sie endlich sprechen konnte.
Er drehte sich zu ihr um und für einen Augenblick dachte Elaine, dass er nun auch auf sie losgehen würde. Doch plötzlich war sein Gesicht mit einem freudigen Lächeln erhellt. Elaine fragte sich für einen Augenblick, ob sie tatsächlich das gesehen hatte, was sie zu sehen dachte.
„Ellie! Was für eine Überraschung! Ich wollte Siren gerade aufhelfen, sie ist ausgerutscht. Vorsicht, der Boden ist glatt! Dummes Spülwasser.“
Leo ging zur Tür und zwang Elaine regelrecht auf den Gang hinaus. Hinter seinem großen Körper konnte sie nicht mehr erkennen, wie es Siren ging. Dann umarmte er sie zur Begrüßung, ähnlich fest wie immer, und da erhaschte Elaine einen Blick auf Siren. Sie hatte sich aufgerappelt, hielt sich aber an einem Tisch fest. Sie war so blass wie damals, als sie unrechtmäßig von Agenten abgeführt wurde. Allerdings hatte sie ein Veilchen im Gesicht. Das hatten sich Cerebros Leute damals nicht erlaubt. Sie hatte dunkle Augenringe und rote, verweinte Augen. Sie sah irgendwie nicht mehr so schön aus wie früher, und wirkte deutlich älter.
„Das ist nicht mein Mann!“, sagte ihr Blick.
Leo ließ Elaine wieder auf den Boden zurück – Leo oder Bill? Elaine war sich nicht mehr sicher. „Also, Ellie, sag an, was machst du hier? Es gibt doch nicht etwa wieder irgendwelche Schwierigkeiten, oder?“
Elaine lächelte so unverfänglich wie sie nur konnte, und das hatte sie am Hofe sehr gut gelernt: „Na ja, ich denke schon. Corry und Irony haben ein Problem.“
Er zog eine Augenbraue hoch: „Die beiden? Na, das muss etwas großes sein, wenn sie nach dir rufen. Ich glaube, sie haben seit dem Aufbau von niemandem Hilfe gebraucht. Und wieso bist du dann hier? Ziehen wir wieder zu fünft los? Wo steckt Boo?“
Elaine grinste: „Den habe ich schon getroffen, keine Sorge. Was meinst du, wo ich übernachtet hab’? Jedenfalls, er wartet noch in der Wohnung. Und er hat mir empfohlen, bei dir reinzuschauen, zum Tee oder so. Er hat mir erzählt, Siren macht wunderbares Gebäck. Apropos, diesbezüglich