Rette uns, Elaine!. Inga Kozuruba
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Читать онлайн книгу Rette uns, Elaine! - Inga Kozuruba страница 13
Elaine blinzelte ein paar Mal, dann nickte sie. Sie hatte ohnehin keine Liebesbekundungen erwartet. Und ihr war auch klar, dass sie im Moment für jede helfende Hand dankbar sein konnte. „So wie es klingt ist es zwar unangebracht, aber trotzdem danke.“
Alice grinste: „Jetzt werd’ hier nicht sentimental. Na los, du hast noch zu tun, schon vergessen? Und denk daran, abzusperren und zu versiegeln.“
Elaine nickte, winkte ihrem Spiegelbild zu und verließ das Zimmer.
Sie sperrte ab. Dann schlug ihr erneut der süßliche Geruch der Mutter in die Nase. Sie taumelte und ließ sich mit dem Rücken an der Wand auf den Boden gleiten. Erneut kam Dunkelheit über sie. Es war ein seltsames Gefühl, gleichzeitig vier paar Arme zu haben. Sie hielten sich an den Händen und bildeten eine Kette. Leo, Corry, Irony und Boo. Dies war ihr einziger Trost und ihre einzige Hoffnung.
Elaine erschauerte, als sie begriff, dass sie abwechselnd mit grauenhaften Alpträumen und berauschenden Phantasien mürbe gemacht werden sollten. Denn wenn ihr Wille gebrochen war, wären ihr Geist und ihre Körper Butter in den Händen der Mutter. Wie aus Knete würde sie aus diesen Vier etwas neues erschaffen, etwas, das ihren Wünschen besser entsprach als die widerspenstige Tochter, der freche Ausländer oder die beiden Ritter, die sich immer noch ihrer Umarmung erwehrten. Diese lebende Kette und Elaine waren alles, das sie noch vor dem Untergang rettete.
Die Vision ließ sie langsam los und Elaine stöhnte auf. Sie hatte furchtbare Kopfschmerzen. Langsam wurde es heller und sie sah erneut den Gang, der von einigen wenigen Teelichtern behelfsmäßig erleuchtet war. Aber es wurde noch heller. Die Teelichter entwickelten eine ungeahnte Helligkeit. Sehr schnell wurde es taghell in diesem Gang und Elaine war für einige Augenblicke geblendet. Dann konnte sie endlich erkennen, was um sie herum war – und erstarrte vor Angst.
Früher waren in schöner Schrift romantische und zauberhafte, wundersame und paradoxe Gedichte und Lieder auf diese Wände geschrieben, schimmernd silberne Farbe auf Schwarz. Manchmal waren auch Bilder dabei, von phantastischen Kreaturen oder wunderschönen Blumen. Jetzt sah sie etwas ganz anderes. Auf schmutzigem Graubraun waren Worte in Blut geschmiert. Sie waren obszön und grausam, wie die Worte, die überall in den Häusern der Tiefe standen. Eigentlich waren viele von ihnen gar keine richtigen Worte, aber Elaine verstand dennoch tief in ihrem Inneren, was damit gemeint war. Sie sollte sterben. Sie sollte grässliche Qualen erleiden, bevor sie starb. Und genau das würde passieren.
Elaine spürte, wie ihr Rücken nass wurde. Zähflüssige Nässe floss langsam hinter den Kragen ihrer Jacke. Doch sie war immer noch wie paralysiert.
„Willenskraft, Ellie“, hörte sie erneut Ironys Stimme im Kopf.
Sie biss die Zähne zusammen, rammte sich die Fingernägel in die Handflächen – und zwang sich dazu, aufzustehen und langsam in der Mitte des Ganges zur Tür zu gehen. Das Feuer fauchte sie an. Eine Wolke aus Funken schwebte durch die Luft und stach ihre Haut. Sie roch den Geruch ihrer angesengter Haare. Die Tür nach außen ging in Flammen auf. Elaine hielt für einen Augenblick inne, dann schloss sie die Augen, auch wenn sie große Angst davor hatte, dass etwas passieren könnte, während sie nicht hinsah.
Sie zwang sich zur Ruhe, obwohl es immer heißer wurde. Das konnte nicht passieren. Das durfte nicht passieren. Diese Wohnung war nicht die Tiefe. Sie konnte es nicht sein. Was auch immer gerade geschah, es sollte nicht sein. Es sollte nicht sein!
Das Licht und die Hitze ebbten ab. Elaine öffnete vorsichtig die Augen. Der Gang war so finster wie vorher. Sie ging an eine Wand, nahm das Teelicht aus der Nische, und sah sich die Wände genauer an. Das Blut war noch immer darauf, aber es machte ihr nicht mehr solche Angst wie vorher, nur unangenehme Gänsehaut. Elaine runzelte die Stirn. Irgend etwas stimmte hier nicht. Sie stellte das Teelicht wieder zurück. Sie war sich nicht sicher, was es sein konnte. Aber sie würde es sicherlich bald herausfinden.
Sie ging zur Tür, öffnete sie und trat aus der Wohnung hinaus. Die Teelichter verloschen nach einem Gedanken. Dann sperrte sie ab und versiegelte die Tür erneut. Schließlich griff sie sich an den Nacken. Er war immer noch nass. Im Dämmerlicht eines stark bewölkten Herbsttages sah sie, dass es Blut war. Sie schloss erneut die Augen und kämpfte gegen die Übelkeit an. An sich machte ihr der Anblick von Blut nichts aus. Sie fiel nicht in Ohnmacht, bekam keine weichen Knie und musste sich auch nicht übergeben. In dieser Situation war es jedoch anders als sonst. Es war nicht ihr Blut, es war vermutlich nicht einmal richtiges Blut. Es war das Blut der Tiefe. Sie wollte es aus ihren Gedanken und von ihrem Körper verbannen – und nach etwa einer Minute gelang es ihr auch.
Sie sah aus dem Fenster des Treppenhauses. Es war zumindest außen nicht mehr so schmutzig wie innen. Wurden diese Fenster eigentlich jemals geputzt? Vermutlich einmal in einer Dekade, wenn nicht seltener. Dennoch war zu erkennen, dass der Nieselregen nicht aufgehört hatte. Elaine fragte sich, ob der Herbst in der Hauptstadt immer so aussah oder nicht. Es musste doch auch goldene Tage geben, oder? Sie seufzte: Offensichtlich nicht, solange sie da war. Die Stadt schien immer noch krank zu sein, obwohl sie und das ganze Land inzwischen einen König hatte.
In Gedanken ging Elaine die Treppe runter, immer weiter und weiter. Irgendwann blieb sie stehen und wunderte sich darüber, dass sie immer noch nicht unten angekommen war. Sie sah zur Tür, neben der sie stand und las erneut verwundert die Wohnungsnummer, von der aus sie aufgebrochen war. Sie war keinen Schritt nach unten gekommen.
Elaine stutzte. Irgend etwas kam ihr an der Situation bekannt vor. Sie wusste nur nicht, woher. Vermutlich aus einem der seltsamen Träume, von denen sie genügend im Lauf ihres Lebens gehabt hatte. Sie beschloss, auf die Wohnungsnummern zu achten. Mal sehen, ob sie tatsächlich im Kreis lief. Sie ging wieder nach unten – nur um festzustellen, dass sie bei jedem Stockwerk dieselbe Nummer las. Sie schüttelte den Kopf. Was sollte das?
Dann erinnerte sie sich an ein Bild aus dem Fotoalbum, das ihr einen Ausschnitt aus der Odyssee ihrer Freunde durch die Tiefe zeigte, während sie gemütlich in der Kutsche des Grafen auf das große Finale zugefahren war. Corry hatte Boo zur Schnecke gemacht, weil er in einem Treppenhaus eine Markierung gesetzt hatte.
Ihr war, als ob sie ihre Worte hören konnte: „Mach das nie wieder, Kleiner. Solche Sachen machen es hier nur schlimmer, vertrau mir. Wenn hier jemand ins Verderben rennt, dann weil er sich solche Tricks einfallen lässt. Wir wären hier sonst noch ewig herum gelaufen.“ Aber galt das nicht für die Tiefe allein?
Abschied und Ratlosigkeit
Elaine seufzte. Sie war immer noch keinen Schritt weiter. Sie erinnerte sich daran, wie widerspenstig die Stadt bei ihrem ersten Abenteuer gewesen war. Sie wusste immer noch nicht, warum. War es Malvinas Schuld gewesen oder hatte es an etwas anderem gelegen? War die Stadt einfach so, und sie konnte es beim letzten Mal einfach nur gut unterdrücken, weil sie darauf geachtet hatte und außerdem das Wohlwollen des Prinzen genoss? Das klang nach einer plausiblen Lösung.
Elaine konzentrierte sich auf jeden Schritt, den sie tat. Sie sah nicht mehr nach Nummern. Sie wusste, es waren acht Stockwerke zu überwinden, bis sie unten im Erdgeschoss vor der Eingangstür ankommen würde. Es lagen zwei Mal dreizehn Treppenstufen zwischen jedem Stockwerk. So viel sie inzwischen gelaufen war, das wusste sie. Das waren 208 Stufen. Also begann sie zu zählen. Jedes Mal, wenn sie einen Fuß auf den unbehandelten Zement setzte, wurde