Mo Morris und der Staat der Flüchtlinge. Benedict Dana
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„Wir betreten gleich die Besuchergalerie des Sitzungssaals des UN-Sicherheitsrates. Er wird auch der norwegische Saal genannt, weil er von Norwegen gestiftet worden ist. Das große Wandbild, das Sie im Hintergrund sehen werden, zeigt in seinem Zentrum einen Phönix als Symbol für den Neubeginn nach dem zweiten Weltkrieg. Näheres dazu gleich.“
Er öffnete die großen, modernen Türen der Besuchergalerie, und die 24-köpfige Gruppe folgte ihm langsam und ehrfürchtig ins Innere, so als beträte sie ein Museum oder eine Kathedrale.
„Ich halte selbstverständlich beide Ansätze für berechtigt, Mrs. Merizadi. Die harte Strafe…“
„Miss Merizadi“, wurde er von ihr sofort etwas brüsk korrigiert. Er nahm den Einwurf mit scheinbar desinteressierter Miene hin, obwohl ihm eine „Miss Merizadi“ instinktiv lieber als eine „Mrs. Merizadi“ war. Nach dem Betreten des Saales fuhr er fort:
„Ich betrachte eine harte Strafe als das unverzichtbare Korrektiv, zu dem das Tätergewissen in den meisten Fällen selber nicht mehr fähig ist. Und das Verstehen der Hintergründe wiederum ist unerlässlich, um die Ursachen krimineller Taten auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene zu bekämpfen. Einseitigkeit, egal in welchem Lebensbereich, halte ich grundsätzlich für dumm und schädlich. Sie führt nicht nur bei den Hardlinern zu den drastischsten Übertreibungen und Verzerrungen, sondern auch auf der Gegenseite, wenn es unter dem Deckmantel einer falsch verstandenen Toleranz und Menschlichkeit zu sozialen Verhältnissen kommt, in denen das Verbrechen ungehindert blüht und gedeiht. Wenn Kriminelle über eine verweichlichte Judikative, Legislative und Exekutive lachen, kann das kaum im Sinne eines gesunden Staatswesens sein.“
Seine Begleiterin nahm das Statement mit ein paar zustimmenden Lauten auf, so als ob sie seine Meinung grundsätzlich teilte. Er verstand natürlich, dass sie kaum den „weichen Ansatz“ vertreten konnte, da sie von Berufs wegen permanent mit drastischen Unrechtsfällen konfrontiert war, die hunderttausende Frauen weltweit betrafen.
Die Unterhaltung wurde unterbrochen, da sie in diesem Moment die Besuchergalerie des imposanten norwegischen Saales betraten. Sie wirkte wie der erhöhte Rang eines Theaters, von dem man auf den runden Konferenztisch des Sicherheitsrates wie auf eine Bühne hinuntersah. Der Tisch wurde in einigem Abstand von zwei Reihen blauer Stühle umrahmt, die für die Berater der vor ihnen sitzenden Delegierten reserviert waren. Rechts und links schlossen sich je drei Reihen roter Stühle für die Vertreter derjenigen UN-Mitgliedsländer an, die an einer Sitzung teilnehmen durften, aber über kein Stimmrecht verfügten.
Mos Blick blieb kurzzeitig an dem riesigen, den gesamten Saal dominierenden Wandgemälde mit dem Phönix hängen und er betrachtete flüchtig die je zwei langen und schmalen Glasscheiben an der rechten und linken Wand, hinter denen bei Sitzungen die Dolmetscher saßen. Dann meinte er zu Merizadi rundheraus:
„Gehören Sie etwa auch zu denjenigen, die undercover in die UN-RN einreisen sollen? Ich kann mir kaum vorstellen, dass eine Frau wie Sie als Agentin arbeiten soll! Einer Wissenschaftlerin müsste doch eigentlich ein anderes Aufgabengebiet zufallen.“
Die Bemerkung war eher als Kompliment gemeint, aber bei der schönen Feministin, in deren feinen, orientalischen Zügen die Spuren eines gewissen Stolzes nicht zu übersehen waren, löste sie geradezu Empörung aus.
„Denken Sie, eine Frau wäre nicht in der Lage dazu, eine solche Aufgabe zu erfüllen? Noch dazu, wenn sie gebildet ist? Bis auf Mr. Mayfield ist jeder, den Sie heute hier sehen, so etwas Ähnliches wie ein künftiger Agent. Dass die Leute nicht so aussehen und größtenteils über einen untypischen Werdegang verfügen, betrachten wie als Teil einer besonderen Strategie. Im Grunde sind Sie es, der in diesem Club die größte Ausnahme darstellt. Soweit ich weiß, hat man sich für Ihre Teilnahme an dem Projekt erst sehr kurzfristig entschieden. Ihr Gesicht ist während Ihres letzten Falles immer wieder durch die Medien gegangen, was für eine verdeckte Ermittlung natürlich nicht sehr günstig ist. Sie werden vielleicht ein paar Veränderungen an Ihrem Aussehen vornehmen müssen.“
Mo folgte den umfangreichen Ausführungen, die Mayfield über den Sicherheitsrat von sich gab, schon länger nicht mehr und war plötzlich nur noch an der gut informierten Frauenrechtlerin interessiert.
„Wie viele von diesen Leuten hier sind von der UN?“, wollte er von ihr wissen, während sie sich auf zwei der gut gepolsterten Sessel der Galerie niederließen.
„Ziemlich genau die Hälfte. Wir können bei den meisten unserer Projekte nur über eine begrenzte Zahl eigener Mitarbeiter verfügen und sind gezwungen Externe zu rekrutieren. Bei besonderen Operationen hat es auch Versuche gegeben, mit verschiedenen Geheimdiensten zu kooperieren. Wegen der möglichen Interessenskonflikte hat sich dies in der Praxis jedoch oft als schwierig erwiesen. Die UN verfolgt grundsätzlich andere Ziele, als es Nationen tun. Die Einmischung eines nationalen Geheimdienstes in die Angelegenheiten der UN kann unter Umständen zu nachhaltigen Verstimmungen bei diversen UN-Mitgliedsländern führen.“
„Das ist leicht nachzuvollziehen. Soweit ich weiß, besaß die UN in ihren Einrichtungen bisher keine echten, eigenen Hoheitsrechte, sondern nur diplomatische Immunität. Mit der Gründung der UN-RN hat sich das geändert. Ich könnte mir vorstellen, dass nicht alle Nationen diesen Machtzuwachs der UN positiv sehen.“
„Selbstverständlich nicht, Dr. Morris. Ich bin übrigens nicht so einseitig und ideologisch befangen, nicht auch Kritik an unserer Organisation zulassen zu können. Offiziell ging es der UN nur darum, bestimmte Menschenrechtsstandards in den Gebieten der UN-RN zu wahren und besonders betroffene Nationen von den hohen Einwanderungszahlen zu entlasten. Aber im Hintergrund ging es natürlich immer auch um den Machtzuwachs, der mit dem Großprojekt des Flüchtlingsstaates verbunden ist. Keine Organisation, so menschlich und moralisch sie sich in ihren Zielen auch immer geben mag, kann sich davon freisprechen, an der Ausweitung ihrer eigenen Einflusssphäre interessiert zu sein. Als supranationale Vereinigung wird die UN grundsätzlich besonders kritisch daraufhin geprüft, ob ihr Machtzuwachs auf Kosten einzelner Nationen geht. Die Gebiete, die der UN von diversen afrikanischen und europäischen Ländern sowie von Russland und der Türkei zur Verfügung gestellt wurden, wurden ausdrücklich nur als eine zeitlich befristete Überlassung definiert. Die UN-RN gelten als eine hoheitliche Sonderform, die nicht mit den ideellen Hoheitsansprüchen der UN als solches identisch sind. Das ist eine juristische Unterscheidung, die eine gewisse Tragweite hat. Mit dieser Regelung soll von vornherein ausgeschlossen werden, dass die UN auf längere Sicht durch die Beanspruchung fremder Gebiete die Unterwanderung und Auflösung einzelner Nationen anstreben könnte. Zu dieser Regelung gehört auch, dass die in der UN-RN beschäftigten Angestellten und Beamten zu 60 Prozent aus denjenigen Ländern rekrutiert werden müssen, die die entsprechenden Gebiete zur Verfügung gestellt haben.“
Merizadi beendete ihre Erläuterungen, da sich die Gruppe anschickte, die Galerie wieder zu verlassen und zu dem nächsten Saal zu wandern.
„Könnte vielleicht einer der Gründe für unseren Auftrag mit dieser Regelung in Zusammenhang stehen?“, entgegnete Mo ahnungsvoll, während sie sich wieder erhoben.
„Diese Vermutung ist nicht ganz falsch, Dr. Morris. Es geht um Korruption aber auch um andere Dinge. Sie ist in den verschiedenen Gebieten unterschiedlich stark ausgeprägt. In manchen müssen wir fast die gesamten Kräfte unseres eigenen Personals aufwenden, um die übrigen 60 Prozent der Angestellten zu kontrollieren. Auf Dauer ist das natürlich ein untragbarer Zustand, der mit immensem Aufwand verbunden ist.“
Obwohl sich die Unterhaltung gerade erst entwickelt hatte, zog sich Merizadi plötzlich wieder von ihm zurück, indem sie auf einen untersetzten, schwarzhaarigen Mann mit dichtem Vollbart und