Anna und Jadwiga. T. D. Amrein
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Er hatte daran gedacht, ihr die Luft aus einem Reifen zu lassen, um später als Retter auftreten zu können. Er verwarf es wieder. Gut möglich, dass dieses Modell mit den verschieden breiten Rädern vorne und hinten überhaupt kein Reserverad an Bord hatte. Dann würde er sich ziemlich blamieren, anstatt zu glänzen. Erstmal sehen, was sich auf andere Weise herausfinden ließ. Matthias hatte einen Kumpel bei der Verkehrspolizei, der tief in seiner Schuld stand. Eine rasche Halterabfrage war das Mindeste, das der zu leisten hatte, wenn Matthias mit dem Finger schnippte.
***
Samuel Hummel zündete sich zufrieden eine Zigarette an. Seine Intuition hatte wieder mal bestens funktioniert. Heute würde der "Affe" etwas unternehmen. Die Bezeichnung stammte von seiner Auftraggeberin. Hummel hielt sie, also die Bezeichnung, gleichzeitig für ein passendes Codewort. Hummel war sehr auf Diskretion bedacht. Eine der Säulen seines Berufes. Wenn man die Sache richtig ernst nahm … Genaugenommen war Samuel Hummel bloß Detektiv geworden, weil es sich so ergeben hatte. Und weil er nichts anderes konnte …
Nein, weil er ganz einfach keine Lust hatte, sich dauernd zu bücken oder sich die Hände schmutzig zu machen. Jedenfalls nicht im Sinne des Wortes.
Die Lady, die der "Affe" ganz offensichtlich im Visier hatte, tippelte inzwischen ungelenk zurück zum Hafen. Klar hatte Hummel sofort einige Bilder mit seinem Handy aufgenommen. Von der Dame und ihrem Wagen. Futter für Sandra, seine Büro-Maus. Wobei, Sandra war alles andere als seine Angestellte. Hummel beschrieb es normalerweise so: Wenn sie eine Katze wäre, dann würde ich sagen, sie ist mir zugelaufen. Sandra arbeitete als Pflegerin in einem Altenheim. Ganz nebenbei erledigte sie Hummels Schreibarbeiten und stellte die Rechnungen für seine Dienste aus. Durch ihren regelmäßig vorkommenden Schichtdienst verfügte sie ab und zu auch über Tagesfreizeit, die sie ebenfalls gerne für ihn opferte. Weshalb, das wollte Hummel gar nicht so genau wissen. Beziehungsweise, er getraute sich nicht zu fragen. Typisch unabhängige Katze eben. Die kommen und gehen, wie sie wollen. Und Hummel lag eine ganze Menge daran, dass sie blieb.
Der "Affe" schlich weiter der Lady hinterher. Aus Hummels Sicht stellte er sich ziemlich ungeschickt an. Alles klar, der war kein Profi. Hummel schoss einige weitere Fotos, beschränkte sich ansonsten darauf, beide im Auge zu behalten. Dazu stellte er sich für einen Platz in einem der Hafenbistros an. Er hatte Glück, schon nach wenigen Minuten stand ein Pärchen auf und verabschiedete sich. Um diese Zeit war die Hafenpromenade gut besucht, aber die Menschenmenge noch einigermaßen erträglich. Hummel mochte keinen zu engen Kontakt mit fremden Leuten. Zumindest nicht nüchtern.
Als Hummel den ersten Schluck nahm, wurde die Lady gerade am Arm eines würdevoll schreitenden Offiziers an Bord des anliegenden Dampfers geleitet. Ein weiterer übernahm sie drinnen. Die dürfte wohl eine bekannte Persönlichkeit sein, überlegte Hummel. Schon bald stellte er fest, dass auch die anderen Damen auf diese Art in Empfang genommen wurden. „Besoffene Gesellschaft“, murmelte er vor sich hin. Er erntete dafür einige schräge Blicke. Manchmal vergaß er, dass er eigentlich nicht auffallen wollte.
Der "Affe" startete jetzt einen Versuch, sich freundlich grinsend an der Schiffsbesatzung vorbeizuschleichen. Hummel hielt fleißig drauf. Nach kurzer Diskussion wurde der "Affe" jedoch verhältnismäßig harsch abgewiesen. Guter Junge, dachte Hummel belustigt. So entledigt man sich gründlich jeder weiteren Chance.
Im Moment schien die Lady in Sicherheit zu sein. Hummel hatte keine Ahnung, wie lange der Ausflug dauern sollte. Oder ob die Dame einen Begleiter auf dem Dampfer hatte, der bisher bloß nicht in Erscheinung getreten war. Der Auftrag lautete: herauszufinden, mit wem sich der "Affe" tatsächlich einließ. Bei wem er es nur versuchte, war weniger gefragt. Hummel entspannte sich. Bestellte ein weiteres Bier. Schade, dass er hier in Konstanz überhaupt keinen kannte, überlegte er. Der Tag schien arbeitsmäßig gelaufen. Aber was sprach dagegen, dass er sich rein strategisch hier um eine Anlaufstelle bemühte. Auf Spesen, selbstverständlich. Als Pärchen fiel man viel weniger auf und fand leichter Anschluss. Sandra würde heute Abend frei haben. Wenn er sich bald auf den Rückweg nach Freiburg machte, passte das alles super zusammen.
***
Matthias fluchte hemmungslos, während er einer Parkbank am Seeufer zustrebte. Er mochte es überhaupt nicht, wenn man ihm zeigte, dass er nicht erwünscht war. Außerdem hatte er Hunger. Und er liebte solch opulente Buffets, wie eines auf dem Kahn bereitstand. Dass man trotzdem den größten Teil davon schon in wenigen Stunden einfach wegschmeißen würde, ärgerte ihn besonders. Sobald er sich wieder eine passende Begleiterin klargemacht hatte, konnten die ihr blaues Wunder erleben. Dann würde er es sich nicht nehmen lassen, den kompletten Kahn anzumieten und die Besatzung in Grund und Boden zu stampfen. Nichts würde seinen Ansprüchen genügen. Alles bloß zweitklassig. Speisen, Aufenthalt und der gebotene Service. Er hatte in dieser Beziehung schon sehr viel gelernt, seit er in besseren Kreisen verkehrte. Die Vorstellung ließ ihn schmunzeln. Was gab es Befriedigenderes, als einen vorlauten Lakaien spüren zu lassen, wer der echte Chef war.
Trotzdem musste er jetzt erst mal zwei Stunden totschlagen, bis er weitermachen konnte. Wenn er daran dachte, wie hinfällig die Angepeilte gewirkt hatte, würde sie nach der Tour kaum noch etwas anderes unternehmen wollen. Das Einzige, eventuell konnte er wenigstens direkt feststellen, wo sie wohnte. Dazu müsste er jedoch in seinem Wagen hinter ihr Stellung beziehen. Nee, zu kompliziert. Er verwarf den Gedanken.
Aber warten wollte er trotzdem. Manchmal täuschte man sich völlig bei diesen alten Schachteln. Unglaublich, wie lange manche von denen zu Feiern vermochten, ohne umzufallen.
***
Der junge Kommissar Volker Ehring war auf die Gönnerfahrt abkommandiert, um für die Sicherheit der Gäste zu sorgen. Selbstverständlich erwartete niemand in der Behörde, dass eine Gefahr drohte. Jedoch fühlten sich die Gönner äußerst geschmeichelt, wenn ein hoher Beamter sich persönlich um sie kümmerte. Solches brachte viel mehr an Goodwill ein, als jede öffentliche Veranstaltung, die in diese Richtung zu wirken versuchte. Und die Kosten waren kaum der Rede wert.
Er durfte natürlich nicht mitfeiern und sich am Buffet bedienen. Er hatte mit ernster Miene irgendwo zu stehen und zu beobachten. Alle Räume inspiziert hatte er gleich zu Beginn, bevor die Passagiere an Bord gelassen wurden.
Volker nutzte die Zeit, um in Ruhe über einen ihm zugeteilten, alten Fall nachzudenken. Obwohl der offiziell Priorität genoss, wurde Volker laufend mit anderen dringenden Aufgaben betreut. Der Typ vom BKA war weit weg. Außerdem dürfte der so viele Fälle zu betreuen haben, dass er bestimmt nicht besonders scharf auf Neuigkeiten war. Soweit die Meinung von Volkers Chef. Der musste sich ja schließlich nicht irgendwelche fiktiven Aktionen aus den Fingern saugen, um an der Lagebesprechung nicht als völliger Idiot dazustehen. Klar hatte auch Volker nicht damit gerechnet, dass dieser Kommissar Krüger extra herkommen würde, um eine Lagebesprechnung zu veranstalten. Wenn Volker könnte, wie er wollte, hätte er sich gerne intensiver mit der Sache befasst. Aber solange der Eigentümer der herrenlosen Uhr nicht ausfindig gemacht war, ließ sich