Anna und Jadwiga. T. D. Amrein
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Es zeigte sich anhand der reichlich vorhandenen Hautschuppen im Armband, dass die Uhr der einzige Spurenträger im Wagen mit diesem DNA-Profil blieb. Und das Profil führte zu einem Treffer in der Datenbank. Die Uhr und den Gummihandschuh, der neben Annas Leiche gefunden wurde, hatte dieselbe Person mindestens einmal getragen. Das bedeutete nicht zwangsläufig, dass es sich dabei um den Mörder handeln musste. Aber vorsichtig ausgedrückt, Erklärungsbedarf bestand auf jeden Fall.
Trotz der scheinbar guten Ausgangslage: Die Person war leider unbekannt. Deshalb hielt man die biologischen Erkenntnisse vorerst zurück. Ganz offiziell suchte man bloß nach dem Besitzer der Uhr, um ihm sein Eigentum zurückzugeben.
Allerdings herrschte keinerlei Hektik bei der Suche. Und Krüger erhielt lediglich Bericht aus Konstanz, wenn sich in der Sache etwas bewegte oder falls neue Maßnahmen geplant wurden.
Nichtsdestotrotz hatten die zuständigen Kollegen inzwischen eine ganze Reihe von Einbruch- oder Diebstahlopfern angeschrieben und ihnen Fotos samt genauer Beschreibung dieser Uhr zukommen lassen.
Bislang jedoch vergeblich.
Nun beabsichtigte man als Nächstes eine Veröffentlichung in Zeitungen und eventuell im Fernsehen zu veranlassen. Selbstverständlich ging das nicht ohne die Zustimmung des Sonderermittlers aus Freiburg. Für Krüger ein Grund, endlich selbst einmal nach Konstanz zu reisen. Geplant hatte er dies ohnehin seit Längerem, er wollte jedoch nicht mit völlig leeren Händen auftauchen. Deshalb hatte er mit "seiner persönlichen Beraterin" eine Strategie ausgeheckt, die er nun umzusetzen gedachte. Logischerweise zweifelte niemand daran, dass es sich bei der Beraterin um Nadja Smolenska handelte. Krüger sah trotzdem keinen Grund zu erklären, dass damit in erster Linie seine Lebenspartnerin gemeint war. Selbstverständlich bezog er Nadja mit ein. Aber das Wesentliche entstand aus den gemeinsamen Überlegungen mit Frau Graßel.
Die Strategie diente dem Ziel, den Uhrenbesitzer möglichst ohne öffentliches Aufsehen ausfindig zu machen. Beginnen wollte Krüger mit dem Opel. Laut Bordbuch war das Fahrzeug zum letzten Mal am 15. Juli in der Werkstatt gewesen. Bei dieser Gelegenheit wurde der Kilometerstand notiert. Seither waren bloß 951 weitere Kilometer dazugekommen. Gestohlen wurde der Opel am 17. August. Ein Beamter sollte mithilfe des Besitzers anhand dessen Fahrgewohnheiten ermitteln, welchen Teil davon der Dieb in etwa zurückgelegt haben könnte. Krügers Überlegung: Mit ziemlicher Sicherheit dürfte der Gesuchte innerhalb dieses Radius bestohlen worden sein. Zwischen Konstanz und Tuttlingen lagen 55 Kilometer, von da nach Schramberg weitere 55. Krüger ging davon aus, dass der Wagen nur kurz, höchstens für einige Tage als Fluchtwagen benutzt wurde. Beispielsweise am Wochenende vom 17 – 19. August.
Durch Abgleich von Einbrüchen in der berechneten Distanz an diesem Wochenende versprach sich Krüger einen relevanten Anhaltspunkt. Dass der Wagen nicht nur für ein Delikt, sondern für eine ganze Diebestour geklaut wurde, setzte er zunächst einmal voraus.
***
Nadja hatte inzwischen einen Weg gefunden, um unauffällig bei Eduard Schuster aufzukreuzen. Sie sollte erst mal erkunden, wie er heute zu den Fällen Anna Duda und Jadwiga Grabowska stand. Würde er aktiv mithelfen oder sich sperren und zurückziehen, um eigene Fehler zu vertuschen. Überspitzt formuliert, hatte er in dieser Angelegenheit ziemlich versagt. Vor allem, wenn man die offensichtlichen Mängel bei der Bergung von Anna miteinbezog. Das Problem bestand nicht darin, dass man damals nicht über die notwendigen Mittel zu einer adäquaten Untersuchung verfügt hatte. Sondern, dass er es versäumte, die Spezialisten des Landeskriminalamtes einzuschalten.
Dass etliche Revierleiter das jeweilige LKA lieber außen vor ließen, war an sich nichts Neues. Man empfand es als demütigend als Eingeständnis der eigenen Inkompetenz, den "großen Bruder" rufen zu müssen. Anstatt es einfach als die nächste Stufe der Optionen zu sehen. Hier lag der Fehler offenbar eher im System.
Die Angaben zu Schusters Person schienen widersprüchlich. Einerseits wurde er als korrekt und kompetent beschrieben, andererseits auch als aufbrausend und rechthaberisch. Wie fast überall war der Chef nicht bei allen Mitarbeitern gleich beliebt.
Schuster hatte sich im Ruhestand dem Verein Heimatmuseum Tennenbronn angeschlossen. Als aktives Mitglied. An mehreren Tagen im Monat stand er für Führungen oder Aufsicht während der Öffnungszeiten des Museums zur Verfügung. Das wusste Nadja von Kollege Pickel, nachdem sie ein Gespräch auf mögliche Langeweile im Ruhestand gelenkt hatte. In der Sammlung befanden sich angeblich nicht bloß alte Haushaltsgegenstände und landwirtschaftliche Geräte. Sondern auch etliche Folterwerkzeuge sowie beklemmende Schriftstücke, die von den Methoden der mittelalterlichen Justiz berichteten. Auf dieser Schiene, so hoffte Nadja, ließ sich eine Unterhaltung über alte und schließlich auch neuere Kriminalfälle einfädeln.
Vorteilhaft wie meistens dürfte sich dabei eine hübsche, echt interessierte weibliche Fragestellerin auswirken.
Bei ihrem ersten Besuch war er schlicht nicht da. Immerhin stand im Vorraum eine Tafel mit den "Highlights" der nächsten Tage und wer sie dem staunenden Publikum präsentieren würde. Ein E. Schuster fand sich für kommenden Dienstag auf der Liste. Bis dahin mussten sich Nadja und der Kommissar gedulden.
***
Krüger erhielt bei der Forstverwaltung Auskunft über das Jagdrecht im Wald, in dem Anna gelegen hatte. Jagdrecht und Hütte gehörten der örtlichen Farbenfabrik. Das Revier stellte einen sogenannten Eigenjadbesitz dar, der mit niemandem geteilt werden musste. Soweit ging die offizielle Auskunft. Der Förster, der Krüger zu einem "gepflegten Schnäpschen" eingeladen hatte, erzählte von sich aus, wie die Sache gehandhabt wurde. „Von der aktuellen Besitzergeneration jagt niemand mehr selbst. Man überlässt es verdienten Kadermitarbeitern als exorbitantes Privileg, den Wildbestand im Zaum zu halten. Die Berufung, die jedes Jahr aufs Neue vergeben wird, solle extrem begehrt sein“, fuhr der Förster mit leiser Stimme fort: „Die jeweiligen Nutznießer gehören danach praktisch automatisch zu den besseren Kreisen der Stadt Schramberg. Weitere Einladungen zur Jagd in anderen Revieren bleiben fast unvermeidlich, sobald der Ritterschlag erfolgt ist. Dass diese neuen Bekanntschaften auch weiterreichende Vorteile bedeuteten, kann man sich ja leicht ausrechnen“, schloss er.
Krüger nahm die Informationen dankbar zur Kenntnis. Blieb zu ergründen, wie lange dieser Modus bereits existierte. Hoffentlich länger als fünfzehn Jahre.
***
In der Rechtsmedizin der Uni Freiburg kannte man Kommissar Krüger selbstverständlich. Deshalb rief die Empfangsdame gleich den Direktor des Instituts, nachdem er sein Anliegen vorgetragen hatte. Professor Gründel war seit mehr als zwanzig Jahren hier tätig und damit auch der Dienstälteste.
Der Professor hatte Krüger während seines Aufenthalts in der Klinik mehrmals besucht und war deshalb auf dem Laufenden. „Sie haben sich ja prächtig erholt, Herr Kommissar“, ließ er anerkennend hören.
Krüger winkte ab. „So schwer verletzt war ich nun auch wieder nicht, Herr Professor.“
„Na ja, tatsächlich sind Sie nicht direkt bei mir gelandet, Herr Kommissar. Aber zu spaßen war mit dieser Fraktur trotzdem nicht.“
„Ich beuge mich selbstverständlich Ihrer Einschätzung, Herr Professor. Ehrlicherweise bin ich jedoch nicht meinetwegen hergekommen. Ich möchte Sie um Rat bitten in einer anderen Sache. Es geht um eine Tote, deren Überreste hier im Institut untersucht wurden. Allerdings sind seither fünfzehn Jahre vergangen. Die Tote hieß Duda. Anna Duda, sie stammte aus Polen. Teile von ihr wurden in einem