Von den Göttern verlassen IV. Sabina S. Schneider

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Von den Göttern verlassen IV - Sabina S. Schneider

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hatten sich in Mutter manifestiert. Ein Bewusstsein, dazu verdammt, zu beobachten, zu leiden und nicht zu vergessen.

      Deswegen durfte Serena nicht sterben und war gefangen im untoten Dasein, die Zeit für sie eingefroren, bis jemand eine Lösung fanden. Würde auch nur einer von ihnen Teil von Mutter, wäre alles vorbei. Deshalb durften und konnten sie nicht sterben. Keiner von ihnen. Doch seinem Sohn konnte Malhim das Vergessen schenken, das er so sehr für sich wünschte.

      Dann wurde die Höhle dunkel. Licht zerfloss im Schatten und Schatten im Licht. Bilder, Gefühle, Farben, Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse schossen aus dem bewusstlosen Körper des kleinen Jungen heraus. Ballten sich zusammen, glühten in aller Pracht. Die Guten wie die Bösen verknoteten sich zu kleinen Wirbelstürmen. Voller Reue in dem Moment des Aktes hoben sie alle die leeren Kristalle über ihre Köpfe, riefen die Erinnerungen und die Wirbelstürme wurden in zehn Kristalle gesogen.

      In der eigenen Farbenpracht gefangen, leuchteten:

       Kinderlachen und Kinderweinen

       Die ersten Schritte

       Der erste Kuss

       Zuneigung wie Abneigung

       Freude und Schmerz

       Gesichter und Namen

       Gefühle

      Alles, was Lucel charakterisierte, ihn liebenswert und einzigartig machte, wurde in kleine, kalte Steine geschlossen und die Kristalle färbten sich in den schönsten Tönen von Rosa, Türkis, Lila, Rot, Grün, Gelb, Blau, Orange und Braun. Dann sammelte sich ein schwarz-silberner Strudel über dem kleinen Körper, flog in die Grabkammer und versank in Zerelf, dem Amulett auf Serenas Brust.

      Der geschrumpfte Körper lag auf dem Boden, ausgesaugt und leer. Allem beraubt und kaum noch am Leben. Laura, die mit Tränen in den Augen das Ritual verfolgt hatte, trat heran, hob den Jungen hoch, der weniger wog als ein Baby und presste ihn an ihre Brust. Serena war tot und diejenigen, denen sie am meisten vertraut hatte, hatten ihrem Sohn das Vermächtnis genommen, das sie ihm mit all ihrer Macht hatte hinterlassen wollen.

      Laura sah in die Runde, doch alle wichen ihren Blicken aus. Sie sah Schuld und Angst. Zärtlich strich sie dem Jungen das schwarze Haar aus dem Gesicht. Lucel war wie seine Mutter: wunderschön, stark und doch zerbrechlich. Sein lockiges Haar fiel zur Seite und entblößte Ohren, die nur noch unmerklich spitz zuliefen. Auch das hatten sie ihm genommen.

      Laura würde ihn aufziehen wie ihr eigenes Kind und versuchen, ihm das zu geben, was Serena ihm hatte geben wollen: eine schöne Welt, für die es sich zu kämpfen lohnte. Sie drehte den Verrätern den Rücken zu und machte sich auf, den beschwerlichen Weg aus dem Tunnellabyrinth zu beschreiten. Sie kehrte den Feiglingen und dem Hass, der Laura bei ihrem Anblick erfüllte, den Rücken zu. Sowie dem Ekel davor, nicht stark genug gewesen zu sein, um Lucel zu beschützen.

      Lucel, den Sohn ihrer geliebten Serena.

      Laura verstand kaum etwas von dem, was da unten passiert war, und so war auf keinem der Steinsärge ihr Name eingraviert.

      ROSA KINDHEIT

      „Lucel ... Lucel ... “, angenehm klang die sanfte Stimme in seinen Ohren. Wie ein Singsang lullte sie ihn tiefer in den Kokon, in dem er es sich bequem gemacht hatte. Er roch das Gras, fühlte den Wind und die warmen Strahlen der Sonne auf seiner blassen Haut. Grashalme kitzelten sein Gesicht, seinen Nacken und seine Arme. Er spürte alles und war doch nicht Teil vom Ganzen. Wie ein Fremdkörper abgestoßen, driftete sein Geist im Nirgendwo, erschuf eine Welt für sich.

      „Lucel!“, rief die Stimme verärgert, zerrte an den Fäden seines Kokons und riss Löcher in seine kleine Welt, abseits von allem. Er kniff verärgert die Augen fester zu, brummte unzufrieden. Dann durchzuckte ihn ein kleiner Blitz, als er eine Hand auf seiner Brust fühlte. Ungeduldig rüttelte sie an ihm. Noch in seiner Welt gefangen, reagierte sein Körper instinktiv. Er packte den Arm und zog sie zu sich ins Grass, rollte sich auf sie und bedeckte sie mit seinem schlanken Körper.

      Es war ihr Geruch, der den Kokon sprengte. Widerwillig öffneten sich seine Lider langsam und er blickte in weit aufgerissene Augen, grün wie das Gras, ihr Haar leuchtete golden wie die Sonne. Die Wangen waren gerötet, ihre vollen Lippen bebten. Unter seiner rechten Hand spürte er etwas Weiches. Verwirrt tastete er entlang, quetschte und rubbelte.

      Selena stöhnte leise auf und das Rot ihrer Wangen wurde kräftiger. Lucel schloss die Augen wieder, legte seinen Kopf direkt neben ihren, genoss das seidenweiche Haar an seiner Wange und sog ihren Duft ein. Eine Wiese mit weißen Maiglöckchen erschien vor seinem inneren Auge. Er verlor sich in dem Blumenmeer. Doch Selenas Stimme zerrte ihn wieder in die Welt, in der er sich nicht komplett fühlte.

      „Lucel! Wir sind keine Kinder mehr. Geh runter von mir!“ Ihre Worte waren barsch.

      Lucel seufzte.

      Was hatte sich in den sechs Jahren so geändert, dass er nicht mehr mit Selena im Arm einschlafen durfte? Sie waren immer zusammen eingeschlafen, hatten sich Gutenachtgeschichten erzählt und waren lachend Arm in Arm ins Land der Träume abgeglitten.

      Dann plötzlich, aus heiterem Himmel, hatten ihre Eltern ihnen verboten im selben Bett zu schlafen, ja sogar im selben Raum.

      Seit sechs Jahren schlief er nun alleine in einem großen, kalten Bett. Anfangs hatte sich Selena in sein Zimmer geschlichen, doch nachdem Vater sie erwischt und es ein riesen Donnerwetter gegeben hatte, war Selena nicht mehr zu Lucel gekommen.

      Lucel hatte versuchte sich in ihr Zimmer zu schleichen, doch sie hatte ihn mit den Worten: „Wir sind keine Kinder mehr“, immer wieder weggeschickt. Lucel hatte diesen Satz satt. Was hatten Alter und Kindheit damit zu tun, ob er neben Selena schlafen durfte oder nicht?

      „Lucel!“ Selenas Stimme klang drängend, fast ängstlich.

       Hatte sie Angst vor ihm?

      Bei dem Gedanken schmerzte seine Brust. Lucel rollte sich von Selena und starrte in das Blau des Himmels. Er liebte den Himmel und doch gab es Augenblicke, in denen sein Anblick ihn unendlich traurig machte. So nahe, war er doch unerreichbar.

      Neben ihm raschelte es, als Selena sich aufsetzte. Immer noch mit geröteten Wangen sagte sie maulig: „Du hast auch keine Scham! Eine junge Frau da einfach so zu berühren! Unverschämter Kerl!“

      „Hab ich dir wehgetan?“ Lucel musterte Selena sorgenvoll, suchte jeden Zentimeter ihres Körpers nach Verletzungen ab. Er durfte niemandem wehtun, aber vor allem nicht ihr! Der Gedanke war immer da, eng verbunden mit seiner ersten, klaren Erinnerung: Selenas tränennasse Gesicht, seine blutigen Hände und braunes bewegungsloses Fell.

      „Nein! Nein, mir geht es gut“, erwiderte Selena schnell, als sie den Schatten über Lucels Gesicht huschen sah. Ihr Herz klopfte vor Aufregung. Er machte sich Sorgen um sie, empfand mehr als Geschwisterliebe.

      „Na dann“, erwiderte Lucel plötzlich völlig desinteressiert, rollte sich zur Seite und schloss die Augen.

      Serenas Wunschgedanke zerplatzte wie eine Seifenblase. „Lucel!“ Verärgert über ihn und über ihre eigene dumme Schwärmerei, rüttelte Selena ihn, „die Abschlusszeremonie beginnt gleich! Alle

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