Die Arche der Sonnenkinder. Jörg Müller

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Die Arche der Sonnenkinder - Jörg Müller

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eines zehn Kilometer breiten Korridors und warum gab es ihn?

      Aber alle diese Fragen, auf die er keine Antworten wusste, wurden mit der Zeit immer stärker von zwei weiteren Fragen überlagert: Warum spürte er so eine starke Bindung zu diesem Paradies und wie konnte er es vor den Menschen schützen?

      Von nun an nutzte Moses jede freie Minute, um diesen Wald zu besuchen. Er stellte bei seinen Flügen fest, dass im Umkreis von 120 Kilometern um den Felsring keine Menschen lebten und die Oberflächenbeschaffenheit der Wüste stark von großen Dünen und tiefen ausgetrockneten Flussläufen geprägt wurde. Aus der Vogelperspektive sah es so aus, dass in dem überwiegenden Teil der Wüste ein Durchkommen nur unter großen Schwierigkeiten und mit Spezialfahrzeugen möglich war. Diese Erkenntnis beruhigte ihn, denn er hatte große Angst, dass noch ein anderer Mensch das Paradies entdecken und vielleicht zerstören würde. Er konnte nicht wissen, dass sich die Topographie dieser Region seit Jahren kontinuierlich veränderte.

      Jedes Mal, wenn er wieder nach einem Besuch des Paradieses in seinem Genfer Büro an seinem Schreibtisch saß, nutzte er sehr diskret seine Kontakte, um mehr Informationen über die Gegend, in der die Felsformation lag, zu bekommen. Aber alle seine Bemühungen waren nicht von Erfolg gekrönt. Diesen Flecken Erde schien es einfach nicht zu geben.

      Die Besuche seines kleinen Paradieses liefen immer nach dem gleichen Schema ab. Er beobachte stundenlang aus der Distanz den kleinen See, ohne jemals ein Lebewesen zu entdecken. Aber jedes Mal, wenn er sich zum Abschied dem See näherte, um daraus zu trinken, meldeten sich die Bewohner des Waldes lautstark.

      Bald bemerkte Moses, dass ihn die regelmäßigen Besuche des Paradieses veränderten. Er war nicht mehr in der Lage, mit Waffen zu handeln und konzentrierte sich fortan auf seine Kundschaft, die ihr Vermögen sicher verstecken und steuerfrei vermehren wollte. Zwar machte ihm auch das keinen richtigen Spaß mehr, und er spürte zum ersten Mal in seinem Leben so etwas wie Gewissensbisse, aber er rechtfertigte seine Arbeit damit, dass er nur mit guten Kontakten und sehr viel Geld in der Lage sein würde, das Paradies dauerhaft zu schützen.

      Im Jahr 1956 stand Moses auf dem Bahnsteig des Genfer Bahnhofs und wartete auf den Zug, mit dem er nach Bern reisen wollte. Da wurde er auf eine junge Frau aufmerksam, die weinend und völlig durchgefroren auf einer Bank saß. Sie weckte seine Anteilnahme und er ging auf sie zu. Moses konnte sehen, dass sie zusammenzuckte, als er vor ihr stand. Er sprach sie auf Französisch an.

      „Kann ich Ihnen helfen?“

      Sie gab ihm zu verstehen, dass sie kein Französisch sprach. Moses versuchte es auf Englisch und hatte damit Erfolg.

      „Warum wollen Sie mir helfen? Sie kennen mich doch gar nicht.“

      „Ich weiß es nicht. Normalerweise bin ich nicht sehr hilfsbereit.“ Die Antwort schien ihr zu gefallen und sie lockerte etwas ihre abweisende Körperhaltung.

      „Wie wollen Sie mir denn helfen?“

      „Sie sehen so aus, als ob Sie als erstes etwas Warmes zu essen und zu trinken benötigen, dann trockene Kleidung und später ein Dach über dem Kopf.“

      „Und wenn es so wäre, was habe ich zu tun, damit Sie mir all dies zur Verfügung stellen?“

      Ihre Körperhaltung war jetzt wieder völlig abweisend.

      „Ich weiß es nicht. Aber nicht das, was Sie vermuten.“

      Die junge Frau sah jetzt den vor ihr stehenden Mann genauer an.

      Er hatte eine schwarze Hautfarbe mit einem leicht bläulichen Schimmer, den sie auf die besonderen Lichtverhältnisse auf dem Bahnsteig zurückführte. Er war mindestens zwanzig Jahre älter als sie, sehr groß und elegant gekleidet und hatte interessante Augen. Als sie an dieser Stelle ihrer Analyse angekommen war, fasste sie spontan den Entschluss, dem Fremden zu trauen. Sie erhob sich von der Bank und streckte ihm ihre rechte Hand entgegen.

      „Ich heiße Lydia und nehme ihr freundliches Angebot an.“

      Moses nahm die Hand und drückte sie vorsichtig. Er war zwar gewohnt, mit den größten Despoten dieser Welt umzugehen, aber mit jungen zierlichen Frauen hatte er keine große Erfahrung.

      „Ich heiße Moses und bin mir sicher, dass wir gemeinsam etwas finden werden, wie Sie sich revanchieren können.“

      Moses ging voran und die Frau folgte ihm. Vor dem Bahnhof ging er auf ein Taxi zu und hielt Lydia die Wagentür auf. Das Taxi brachte sie zu einem kleinen Lokal direkt am Genfer See. Der Wirt kannte Moses seht gut, und wenn er sich über dessen Begleitung wunderte, so verstand er es meisterhaft, dies zu verbergen. Er begegnete der jungen Frau mit dem größten Respekt. Moses hatte es auch nicht anders erwartet.

      Nach der Vorspeise stand Moses auf, um zu telefonieren. Nach wenigen Minuten kam er zurück.

      „Ich bin Junggeselle und habe mein häusliches Schicksal in die Hand von Alma gelegt. Sie ist eine wahre Perle, aber auch wahre Perlen werden leider älter. Sie ist jetzt schon weit über 70 Jahre alt und könnte etwas Unterstützung gebrauchen. Hätten Sie Interesse und Lust, Alma zu unterstützen?“

      Das bejahte Lydia.

      Nach dem Essen stand Moses Chauffeur vor der Tür, um ihn und die junge Frau nach Hause zu fahren.

      Alma erwartete die beiden schon neugierig an der Haustür. Als Lydia ausstieg, wurde sie gleich von der Haushälterin in Empfang genommen.

      Sie fand Lydia sofort sympathisch und nahm die junge Frau unter ihre Fittiche. Im Verlauf der nächsten Monate erfuhr Moses von Lydia, dass sie aus Ungarn stammte und nichts über den Verbleib ihrer Verwandten wusste, die ebenso wie sie vor den Russen aus Ungarn geflohen waren. Moses forschte über seine Kanäle nach und konnte der jungen Frau leider keine guten Nachrichten überbringen. Ihre Eltern und alle näheren Verwandten waren wahrscheinlich auf der Flucht umgekommen. Als die Frau hörte, dass keiner ihrer Lieben mehr lebte, brach sie zusammen. Alma und Moses kümmerten sich um sie, und nachdem die junge Frau das Krankenhaus verlassen hatte und wieder halbwegs zu Kräften gekommen war, machte ihr Moses nach Rücksprache mit Alma den Vorschlag, ihn zu heiraten. Nach anfänglichem Zögern sagte sie ja. Moses wusste, dass sie ihn nicht liebte, aber mit der Zeit kamen sich die beiden trotz des großen Altersunterschieds doch näher. Anfang der sechziger Jahre brachte Lydia im Abstand von 15 Monaten zwei Jungen zur Welt. Sie wurden auf die Namen Stanley und Olliver getauft. Beide hatten die Hautfarbe ihres Vaters und die Gesichtszüge ihrer Mutter. Die Jungen wuchsen auf, ohne genau zu wissen, womit ihr Vater sein Geld verdiente. Sie wussten nur, dass er ein sehr erfolgreicher Anlagenberater war.

      Im Jahr 1960, dem „Afrika­Jahr“, wurden in Afrika viele Länder in die Unabhängigkeit entlassen, wobei die Grenzen zwischen den neu entstandenen Staaten von den ehemaligen Kolonialmächten ziemlich willkürlich gezogen wurden. Zu einer dauerhaften Befriedung des Kontinents und einer spürbaren Verbesserung der Lebensumstände der meisten Afrikaner trug dies nicht entscheidend bei. Vielmehr war in den meisten Fällen das Gegenteil der Fall. Schillernde Persönlichkeiten mit dem Hang, eine Diktatur zu installieren, wurden an die Macht gespült.

      Einen dieser neuen Diktatoren lernte Moses Mitte der 60er Jahre persönlich kennen. Auf Empfehlung traf er sich mit dem Mann, der sich in seiner bescheidenen Art „L’Empereur“ nannte, zu einem vertraulichen Gespräch in Kairo. Kaiser Kabossa war erst vor kurzem mit der Unterstützung der Franzosen an die Macht gekommen. Frankreich hatte diesen Mann, einen ehemaligen Offizier der Fremdenlegion, unterstützt, seinen Vorgänger zu stürzen, weil jener den Interessen und Wünschen Frankreichs nicht genügend Aufmerksamkeit schenkte.

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