Die Arche der Sonnenkinder. Jörg Müller
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Die beiden trafen sich am nächsten Tag noch einmal, um die noch offenen Fragen von Monsieur Kabossa zu klären und dann zählte L‘ Emperieur zu Moses Smith‘ Kunden. Zurück in Genf beschäftigte sich Moses intensiv mit dem Land seines neuen Klienten und stellte erfreut fest, dass die Wüste, die die geheimnisvolle Felsformation und das Paradies umschloss, nach der Aufteilung Kolonialafrikas im Osten des Land lag, über das Kabossa herrschte. Jetzt hatte er ein Packend, wie er sein Paradies schützen konnte: Er würde seinem neuen Geschäftspartner diesen Teil des Staatsgebietes abkaufen. Moses wartete von nun an auf den passenden Zeitpunkt, um dem Diktator ein Geschäft vorzuschlagen.
Ein Jahr später verabredeten sich die beiden wieder in Kairo. L‘Empereur war mit dem bisherigen Verlauf der Geschäftsbeziehung sehr zufrieden, machte aber sofort deutlich, dass seine persönlichen Ausgaben in einem Umfang stiegen, den er sich selbst vorher nicht hatte vorstellen können.
„Monsieur Smith, haben Sie eine Idee, wie ich mein kleines Problem lösen kann?“
Moses hatte eine Idee, die er seinem Gesprächspartner sofort vorstellte.
„Ich möchte Ihnen ein Stück unbewohnter und nutzloser Wüste abkaufen.“
Der Diktator dachte zuerst an einen schlechten Scherz, aber als Monsieur Smith eine Zahl nannte, war dem an Geldmangel leidenden Diktator sofort klar, dass der Anlagenberater seines Vertrauens nicht scherzte.
„Warum wollen Sie denn dieses wertlose Stück Wüste unbedingt kaufen? Ich halte Sie für einen Profi und Profis verschenken nichts.“
„Monsieur L‘Empereur, ich kenne meine genaue Herkunft nicht, vermute aber, dass ich irgendwo in dieser Region geboren worden bin und möchte in aller Ruhe nach Spuren meiner Vorfahren suchen.“
„Das soll ich glauben, Monsieur Smith?“
„Das überlasse ich Ihnen, Monsieur. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Vor mir liegt ein Kartenausschnitt Ihres Landes, in den ich die von mir gewünschte Fläche eingezeichnet habe. Sie machen sich vor Ort ein eigenes Bild von dieser unbewohnten und wertlosen Wüste und wir sprechen dann anschließend nochmal über mein für Sie sehr lukratives Angebot.“
Man sah dem Diktator deutlich an, dass er Monsieur Smith, was dieses Stück Wüste anging, nicht über den Weg traute. Aber das Angebot war sehr verlockend.
„Gut, Monsieur Smith, ich sehe mir die von Ihnen gewünschte Fläche persönlich an. Sollte ich erkennen müssen, dass Sie mich übers Ohr hauen wollen, können Sie Ihr Testament machen.“
„Da ich bereits schon vor längerer Zeit mein Testament gemacht habe, plane ich kurzfristig nicht, noch eins zu verfassen. Ich bin mir sicher, dass Sie mein Angebot annehmen werden. Au revoir, Monsieur L‘Empereur.“
Zwei Wochen später meldete sich Kabossa per Telefon.
„Monsieur Smith, ich habe mir das von Ihnen markierte Wüstengebiet angesehen und mich anschließend mit mehreren Menschen unterhalten, deren Vorfahren vor ewigen Zeiten in den Randgebieten dieser Fläche gewohnt haben. Es gibt dort wirklich nichts Wertvolles. Und was mich endgültig beruhigt hat: Ein alter Mann hat mir davon berichtet, dass auf der anderen Seite der Wüste vor Urzeiten ein kleines geheimnisvolles Volk gelebt haben soll, das aber wohl nicht mehr existiert. Vielleicht finden Sie ja, was Sie suchen.“
Kabossas letzter Satz rief bei Moses die Erinnerungen an seine früheste Kindheit wach. Bis heute wusste er nicht, woher er kam, wo seine Wurzeln waren. Reiche Weiße hatte ihn als Kleinkind auf einem Sklavenmarkt gekauft und großgezogen. Das einzige, woran er sich an die Zeit davor erinnern konnte, waren brennende Hütten, Schreie und an eine Frau, die ihn mit einem Körbchen in einem kleinen See ausgesetzt hatte, um ihn vor den Flammen zu retten. Deswegen hatten ihm die Menschen, die ihn gefunden hatten, auch den Namen Moses gegeben. Und jetzt dieser Satz: Vielleicht finden Sie ja, was Sie suchen.
Er hatte die Begründung für sein Interesse an dem Stück Wüste – ich möchte in aller Ruhe nach den Spuren meiner Vorfahren suchen – nur vorgeschoben, um überhaupt einen Grund nennen zu können. Jetzt wurde ihm klar, dass er sein ganzes Handeln immer unbewusst darauf ausgerichtet hatte, zu erfahren, woher er kam. Er musste herausfinden, ob seine Wurzeln in irgendeinem Zusammenhang mit dem geheimnisvollen Felsen, der ihn wie ein Magnet angezogen hatte, und der ihn umgebenden Wüste standen. Denn nur, wenn er Klarheit über seine Herkunft bekäme, würde er seinen inneren Frieden finden und zur Ruhe kommen. Das bedeutete, dass er sich um jeden Preis mit Kabossa einigen musste.
Einen Monat nach dem Telefonat trafen sich die beiden in einem Hotel in Genf. Moses hatte dem Diktator im Vorfeld einen Vertragsentwurf zukommen lassen. Aber der hatte andere Vorstellungen.
„Ich verkaufe nicht, aber Sie können die von Ihnen gewünschte Fläche pachten.“
„Warum wollen Sie das Stück Wüste nicht verkaufen?“
Anstatt sofort zu antworten, blickte Monsieur L‘Empereur aus dem Fenster. Nach einer Minute wandte er sich wieder seinem Vertragspartner zu. Sein Gesichtsausdruck und seine Körpersprache hatten sich völlig verändert. Er wirkte nicht mehr wie ein brutaler Diktator, der, um seine Ziele zu erreichen, über Leichen geht. Moses gegenüber saß jetzt ein trauriger und fast hilflos erscheinender Mensch.
„Das Gespräch mit dem alten Mann in der Wüste hat mich sehr nachdenklich und mir bewusst gemacht, dass auch ich schon seit Langem auf der Suche nach meinen Wurzeln bin. Genauer gesagt, möchte ich gerne erfahren, woher meine von mir über alles geliebte Großmutter stammt. Ich halte es jetzt für möglich, dass sie genau aus der Region stammt, die sie kaufen möchten. Wenn es sich herausstellt, dass dort wirklich meine Wurzeln sind, ist es sehr wichtig für mich, dass ich dann noch Zugriff zu diesem Stück Land habe. Können Sie das verstehen?“
Moses konnte das nur zu gut nachvollziehen.
„Was schwebt Ihnen vor, Monsieur L‘Empereur?“
„Bitte nennen Sie mich Jean. Ich verpachte Ihnen das Land für den Zeitraum von zehn Jahren. Die Pacht ist im Voraus fällig. Der Pachtvertrag verlängert sich jedes Mal um weitere zehn Jahre, wenn er nicht vor Ablauf des neunten Jahres von einer Seite gekündigt wird.“
Moses war einverstanden und die beiden vereinbarten für den nächsten Tag einen Notartermin. Als Jean das Büro verließ, hatte er wieder den Gesichtsausdruck eines gnadenlosen Killers und ließ einen sehr nachdenklichen Moses Smith zurück. Das Land in unmittelbarer Nähe des Felsens schien viele Geheimnisse zu verbergen, und es hatte eine erstaunliche Wirkung auf die Menschen, die mit dieser Region in Berührung kamen: Sie veränderten sich, wenn auch manche nur für kurze Zeit.
Einen Tag später wurde der Pachtvertrag im Beisein eines Notars unterschrieben und beglaubigt.
Nach zehn Jahren verlängerte sich der Pachtvertrag automatisch, da keine Vertragspartei von ihrem Kündigungsrecht Gebrauch machte. Zu einer weiteren Vertragsverlängerung kam es nicht, denn L‘Empereur musste während der Vertragszeit sein Land unfreiwillig verlassen und in die Schweiz ins Exil gehen, wo er ein Jahr später verstarb. Moses beschloss, erst einmal abzuwarten, ob sich der Nachfolger Kabossas bei ihm wegen des Vertrages und der damit verbundenen Zahlungen melden würde. Aber nichts dergleichen geschah. Und als der neue Machthaber später damit begann, den Übergang des fruchtbaren Landes zur Wüste, in der die Felsformation lag, durch eine Zaunanlage zu sichern, lehnte sich Moses entspannt in seinem Sessel in Genf zurück. Denn