Die Arche der Sonnenkinder. Jörg Müller
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Ende der achtziger Jahre hatten Stanley und Olliver ihre Ausbildung abgeschlossen. Stanley arbeitete als Anwalt in einer international tätigen Kanzlei und Olliver in einer Schweizer Bank. Moses spürte, wie sich sein Gesundheitszustand von Tag zu Tag verschlechterte. Er war jetzt über 80 Jahre alt und sein ebenso anstrengendes wie aufregendes Leben forderte seinen Tribut. Er rief seine Söhne zu sich.
„Ihr wisst seit mehreren Jahren, womit ich mein Geld verdiene und müsst euch nun entscheiden, ob ihr mein Unternehmen fortführen wollt. Aber unabhängig davon möchte ich euch mein Geheimnis verraten. Aber dazu müssen wir eine Flugreise unternehmen. Wir fliegen in einer Woche.“
Moses steuerte das Flugzeug, landete nördlich des Felsrings außerhalb der Zehnkilometerlinie an der ihm mittlerweile seit vielen Jahren so vertrauten Stelle und verließ gemeinsam mit seinen Söhnen die Maschine. Stanley und Olliver bauten den Leiterwagen zusammen und beluden ihn mit den stabilen leeren Kisten, die ihr Vater immer an Bord hatte. Gemeinsam gingen die drei zur Felswand und kletterten mit Hilfe der Kisten durch die Öffnung. Die Söhne folgten ihrem Vater durch den Gang und dann weiter bis zum See. Das Paradies zog auch sie sofort in ihren Bann und raubte ihnen fast den Verstand. Stanley und Olliver ließen sich am See nieder und schlossen die Augen, um die einmalige Atmosphäre aufzusaugen und die Stille zu genießen. Im nächsten Moment meldeten sich die Tiere des Waldes lautstark. Erschrocken öffneten die beiden die Augen und suchten den Blickkontakt zu ihrem Vater, der sich neben ihnen im Gras ausgestreckt hatte und zu schlafen schien. Moses öffnete die Augen und drehte seinen Söhnen das Gesicht zu. Seine Augen erstrahlten in einem seltsamen Glanz, den Stanley und Olliver noch nie bei ihrem Vater gesehen hatten.
„Die Tiere des Waldes möchten nicht, dass ihr länger hierbleibt. Lasst uns gehen.“
Er sagte „ihr“ und nicht „wir“, denn er spürte zum ersten Mal, dass er hier kein Fremdkörper war.
Nachdenklich folgten die Söhne ihrem Vater zurück durch den Gang und anschließend bis zum Flugzeug. Moses setzte sich hinter das Steuer, ohne ein Wort zu sagen. Aber Stanley und Olliver war sowieso nicht nach Sprechen zumute. Beide waren froh darüber, dass sie, jeder für sich, die Eindrücke der letzten Stunden verarbeiten konnten.
Zwei Tage später saßen die drei in Moses Büro am Genfer See.
„Stanley, Olliver, ich möchte noch einmal meine Frage wiederholen und zusätzlich eine Bitte formulieren. Seid ihr bereit, in meine Fußstapfen zu treten und mein Geschäft in meinem Sinn fortzuführen?“
Stanley als der Ältere ergriff das Wort.
„Vater, wir danken dir, dass du uns die Übernahme deines Geschäftes zutraust. Wir nehmen dein Angebot gerne an und werden dich nicht enttäuschen.“
„Nun zu meiner Bitte, die aus zwei Teilen besteht:
- Behaltet mein kleines Geheimnis hinter der Felswand für euch.
Wir Menschen dürfen dieses Geschenk Gottes nicht entweihen.
- Bitte begrabt mich dort.“
Die Söhne standen spontan auf und umarmten ihren Vater.
„Vater, Stanley und ich werden deine Bitten erfüllen.“
„Noch eins zum Abschluss: Kümmert euch immer gut um eure Mutter.“
Moses arbeitete seine Söhne ein und verstarb drei Jahre später. Er hatte zwar bis zu seinem Tod nicht herausgefunden, wo genau seine Wurzeln waren, aber dafür seinen inneren Frieden gefunden, und dafür war er dem Schöpfer dieses Paradieses sehr dankbar. Stanley und Olliver begruben ihren Vater zwischen den Felsbrocken in der Nähe der Gangöffnung. Sie errichteten über der Urne, in der sich die sterblichen Überreste ihres Vaters befanden, eine kleine Pyramide aus Steinen und blieben dann noch eine Stunde neben dem Grab stehen, ohne ein Wort zu sagen. Dafür ertönten aus dem Wald viele Tierstimmen. Diesmal drückten sie aber keinen Protest über die Anwesenheit der beiden Fremden, sondern nur tiefe Trauer aus.
Stanley und Olliver verwischten so gut es ging die Spuren vor der Felsöffnung und zogen den Leiterwagen zurück zum Flugzeug. Stanley setzte sich hinter das Steuer und startete den Motor. Nur wenige Augenblicke später hatten die Brüder die Felsformation und das Grab ihres Vaters für immer hinter sich gelassen.
2 Der Stamm der Namenlosen
Als vor über 500 Jahren die neue Welt entdeckt wurde, lebten dort Menschen, die von den Entdeckern Amerikas irrtümlich für Inder gehalten wurden. Da sie im Gegensatz zu den bekannten Indern eine hellere, ins rötliche tendierende Hautfarbe besaßen, wurden sie später im Englischen Red Indians, rote Inder, und im Deutschen Indianer genannt. Es gab die unterschiedlichsten Indianerstämme, die sich über weite Teile Nordamerikas verteilten. Da sie den Eroberern waffentechnisch deutlich unterlegen waren, wurden die Ureinwohner im 18. und 19. Jahrhundert immer weiter aus ihren angestammten Gebieten verdrängt und später in Reservate abgeschoben. Ein Stamm unterschied sich von allen anderen. Er war deutlich kleiner und bewohnte eine Gegend, die so unwirtlich war, dass kein Siedler sich dort niederlassen wollte und der Stamm deshalb nicht aus seinem Gebiet verdrängt wurde. Da diese Indianer kaum Kontakt zu anderen Stämmen oder später zu den weißen Eroberern pflegten, wusste keiner, wie der Stamm hieß. Deshalb bekam er den Namen the nameless die Namenlosen. Dieser Stamm hatte sich schon vor langer Zeit mit der spärlichen Vegetation in seinem Gebiet arrangiert und entlockte der kargen und trockenen Erde genügend Nahrung für den ganzen Stamm. Das Wasser entnahmen die Indianer gut versteckten Brunnen, die schon ihre Vorfahren angelegt hatten.
Ende des 19. Jahrhunderts verließen die ersten männlichen Stammesmitglieder ihr Gebiet und machten sich auf den Weg in die großen Städte der Weißen. Da sie sehr genügsam waren und eine schnelle Auffassungsgabe hatten, brachten sie es schnell zu einem bescheidenden Wohlstand. Ihre Familien ließen sie in der Obhut ihres Stammes zurück. Mehrmals im Jahr reisten sie zurück in ihr Stammesgebiet, um ihre Familien und Freunde zu besuchen. Schon bald studierten die ersten Namenlosen und wurden angesehene Anwälte und Kaufleute. Aber alle verband der Wunsch, ihre freie Zeit und ihren Lebensabend gemeinsam mit ihrem Stamm zu verbringen.
Mitte des 20. Jahrhunderts bekam der Stamm der Namenlosen Besuch von zwei männlichen und hochrangigen Vertretern eines Ölkonzerns. Dieser Konzern war davon überzeugt, dass es unter dem Gebiet, auf dem der Stamm der Namenlosen lebte, riesige Vorkommen an Gas und Erdöl gab und wollte deshalb das ganze Gebiet käuflich erwerben. Die beiden Herren gingen davon aus, mit diesem kleinen und in jeder Hinsicht zurückgebliebenen Stamm schnell und für ein Butterbrot einig zu werden. Der Häuptling hatte keine große Lust, sich mit diesen beiden unsympathischen Bleichgesichtern zu unterhalten, hielt ihnen die Visitenkarte eines Mitglieds seines Stammes unter die Nase, der irgendwo erfolgreich als Anwalt arbeitete und forderte dann seine ungebetenen Gäste durch ein unmissverständliches Zeichen auf, sich schnell wieder zu entfernen.
Die merklich irritierten Bleichgesichter kamen der Forderung unverzüglich nach und vereinbarten einen Termin mit dem Anwalt, dessen Name auf der Visitenkarte stand. Bei dem ersten Gespräch wurden den beiden hochrangigen Vertretern schnell klar, dass es sich bei der Annahme, der Stamm der Namenlosen bestehe nur aus zurückgebliebene Idioten, um eine der größten Fehleinschätzungen in der erfolgreichen Unternehmensgeschichte des Ölkonzerns handelte. Der Anwalt las sich den Vertragsentwurf des Ölkonzerns kurz durch, lächelte dann seine Gäste freundlich an, zerriss den Vertragsentwurf und legte ihn dann ordentlich im Papierkorb ab.
„Meine