Weltenlied. Manuel Charisius

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Weltenlied - Manuel Charisius Saga der Zwölf

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hören, wie jeder Herzschlag seines Freundes dessen Todesangst vervielfachte. Abwehrend hob Arrec eine Hand, sein Unterkiefer bewegte sich wie vor Schmerzen.

      Was soll das?, knurrte Léun.

      Arrec stieß einen leisen Schrei aus.

      Ein klappendes Geräusch.

      Léun spürte die Anwesenheit eines dritten menschlichen Wesens.

      Káor!, donnerte eine tiefe Männerstimme. Káor ý bóhin!

      Léun stutzte. Er wandte den Kopf.

      Zeig ihm keine Furcht, befahl sich der Waldhüter in Gedanken. Bloß keine Furcht zeigen.

      Breitbeinig und mit geballten Fäusten stand er im Eingang, die Augen weit aufgerissen, die Zähne drohend entblößt. Gegen das Licht, das von außen in die Hütte fiel, wirkte seine Erscheinung hoffentlich furchteinflößend. Natürlich roch die Raubkatze seine Angst, das wusste er. Hauptsache, er lenkte sie von dem Jungen und seinem Vater ab. Letzterer kauerte mittlerweile wimmernd in einer Ecke.

      Bei allen Göttern, dachte Héranon, was für ein prächtiges Tier.

      Káor – es konnte nur Káor sein – hatte kurzes, seidiges Fell und eine herrlich ausladende, goldene Mähne. Zum Bauch hin wurde sie dunkler, um im selben Schwarzbraun auszulaufen, das quastenartig seine Schwanzspitze zierte. Das Gesicht des Löwen war breit, die Nase dreieckig wie bei allen Katzen. Fingerlange Reißzähne ragten aus den halbgeschlossenen Lefzen hervor. Mit einem einzigen Biss seiner massigen Kiefer könnte Káor mühelos Héranons Oberschenkel zermalmen.

      Jetzt zog er sich unbeholfen in den Schatten der offenstehenden Tür zurück. Vielleicht blendete ihn das Licht. Umso besser, dachte der Waldhüter, schließlich brauchten die Leute, die draußen schon zusammenliefen, den Löwen nicht unbedingt zu sehen. Das war die Gelegenheit, um den Jungen und seinen Vater aus ihrer misslichen Lage zu befreien.

      »Raus«, sagte Héranon leise.

      Die beiden rührten sich nicht. Der beruhigende Tonfall stand wohl in zu großem Widerspruch zu seinem Befehl.

      »Raus aus der Hütte«, wiederholte er in unveränderter Stimmlage. »Geht zügig an mir vorbei. Los!«

      Der Junge war weniger begriffsstutzig als sein Vater. Er rückte von der Wand ab, fuhr sich durch das strähnige Haar und näherte sich dem Reishändler.

      Der Löwe merkte es, nahm ihn mit dem Blick ins Visier, kräuselte den Nasenrücken und fauchte halb verunsichert, halb angriffslustig.

      »Káor ý bóhin!«, brüllte Héranon.

      Das half. Der Löwe senkte das Hinterteil ab und blieb, auf die Vordertatzen gestützt, sitzen. Mit der Zunge säuberte er sich die Nase und starrte den Waldhüter an wie ein Hund, der sich von seinem Herrn eine Leckerei erhoffte.

      Langsam und mit einem letzten ängstlichen Blick auf Káor schlurfte der schwarzhaarige Junge auf seinen Vater zu, der unverständliche Laute winselte. Er nahm ihn bei der Hand und zog ihn hinter sich her auf den Eingang zu.

      Kaum waren die beiden an Héranon vorbei nach draußen getreten, schloss er die Tür, ohne dem Löwen den Rücken zuzukehren.

      »Wie ich es mir dachte«, raunte er. »Káor hat dich erwählt. Respekt, Kerl – was hätte ich darum gegeben, an deiner Stelle zu sein. Nicht dass ich mich beklagen will …«

      Der Löwe hörte auf, sich die Nase zu schlecken, und schloss die Augen halb.

      Héranon trat einen Schritt auf ihn zu. Und noch einen. Er achtete auf die kleinste Regung der Raubkatze. Káor ließ zu, dass er in seinen engsten Körperumkreis vordrang – der gleichzeitig den vorteilhaftesten Kampfbereich des Löwen darstellte. Schließlich war er eine Armlänge von ihm entfernt.

      Héranon roch den gefährlich heißen Atem des Raubtiers, sah jedes einzelne Schnurrhaar, dick wie ein Zahnstocher, und die wie flüssiges Gold schimmernde Iris seiner Augen, die zwischen schwarzgeränderten Lidern hervorleuchtete. Vorsichtig streckte er den Arm aus, näherte langsam die nach oben gekehrte Handfläche dem Löwengesicht …

      … bis seine Finger Fell spürten. Es war borstig, von störrischem Wuchs. Der Kopf des Löwen strahlte immense lebendige Wärme aus – Héranons Handfläche begann zu prickeln. Káor schloss die Augen, entblößte die enormen Reißzähne und presste mit forderndem Brummen die Wange gegen seine Hand.

      Nicht mit seiner gesamten Körperkraft hätte der Waldhüter diesem unsanften Druck etwas entgegensetzen können. Nicht mit seinem gesamten Willen hätte er sich zu dem Versuch verleiten lassen. Das zärtliche Vertrauen, das Káor ihm entgegenbrachte, rührte Héranon. Káor war ein besonderer Löwe. Jede gewöhnliche Raubkatze hätte ihn längst in Stücke gerissen.

      »Die da draußen warten auf uns«, gab er zu bedenken.

      Káor schnaubte und stupste ihn mit der Schnauze gegen den Unterarm.

      »Káor ý sunder íro Léun«, sagte Héranon nicht ohne gebührende Ehrfurcht und zog die Hand zurück.

      Léun fühlte, wie er unendlich müde wurde. Der Waldhüter und die Hütte um ihn herum verschwammen. Er fiel. Furcht wirbelte durch seinen Geist, jedoch nicht so grell wie kurz zuvor. Sie fühlte sich eher dumpf an, wie ein abklingender Schmerz. Auf einmal schien er wie nach einem Sturz aus großer Höhe hart auf hölzernen Bohlen zu landen.

      Mühsam richtete er sich auf, versuchte, seine flatternden Lider zu öffnen und klar zu sehen. Seine Knochen fühlten sich an, als hätte sie jemand mit einem Dreschflegel bearbeitet. Um ihn herum lagen die Trümmer von Möbeln und Geschirr verstreut. Inmitten all dem Chaos stand Héranon und blickte ihn ernst, aber nicht unfreundlich an.

      »Willkommen zurück, Kerl«, sagte er. »Steh auf.«

      »W…was war das?«, stöhnte Léun.

      »Später. Erst einmal musst du hier weg. Steh auf!«

      Mühsam stemmte sich Léun auf alle Viere hoch. Unwillkürlich suchte er mit einer Hand die Decke um seine Hüften und fand sie nicht. Auf einmal überkam ihn ein solcher Schwindel, dass er glaubte, den ganzen Reis wieder ausspucken zu müssen. Schwarzer Nebel waberte vor seinen Augen, und in seinen Ohren gellten Jahrmarktpfeifen. Der Arm, auf den er sich stützte, knickte ein. Wie ein nasser Sandsack fiel er auf die Seite.

      »Bei Ygéno, Gott allen gesunden Lebens, reiß dich zusammen! Die Leute denken sonst bloß … aber ja, sollen sie doch. Warte, ich such dir was zum Anziehen.« Héranon verschwand in einem Nebenraum.

      Léun hörte ein Klappern, mit dumpfem Rumoren wühlte der Waldhüter irgendwo herum. Endlich wurde die Sicht wieder klar, und die Kraft kehrte in seine Glieder zurück. Er richtete sich auf. Noch bevor ihm vollends bewusst geworden war, dass er schon wieder nichts am Leib trug, kam aus dem Durchgang zum Nebenzimmer etwas Großes, Dunkles geflogen. Es traf ihn im Gesicht. Er unterdrückte einen Schreckensschrei – doch es war nur ein verschwitztes Kleidungsstück.

      »Überziehen, los«, rief ihm Héranon leise zu. »Und beeil dich gefälligst!«

      Das Hemd war ein bisschen eng und hätte eine Wäsche vertragen, aber es war besser als nichts.

      »Hier

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