Kleine Flügel machen Freunde. Alexandra Bauer

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Kleine Flügel machen Freunde - Alexandra Bauer

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Spalte, als er merkte, wie der winzige Felsvorsprung unter seinen Füßen nachgab. Kleine Steinbröckelchen kullerten aufschlagend in die Tiefe. Das Gewicht seines Körpers zog ihn in die Tiefe und Thubano hatte plötzlich keinen Halt mehr. Seine Kral­len rutschten langsam aber stetig aus der Spalte.

      Thubano fiel schreiend in den Abgrund.

      Unwillkürlich benutzte er seine Flügel, doch außer einem flatternden Geräusch zeigten sie keine Wirkung.

      So dauerte Thubanos Sturz an.

      Der kleine Drache stellte sich das liebe Gesicht seiner Mutter vor und er dachte an die Worte seines Vaters. Er wünschte sich sehnlichst, seine Eltern noch einmal sehen zu können. Dann schloss er die Augen und wartete, dass bald alles vorbei sein würde.

      Da wurde er mit einem Ruck gepackt und sein Sturz jäh gebremst. Es musste das Ende sein!

      Thubano fühlte aber keinen Schmerz und blickte verwundert nach oben - mitten in die ruhigen, schwar­zen Augen seines Vaters.

      Krowál steuerte mit kräftigen Flügelschlägen auf die Spitze der Felswand zu und setzte Thubano sanft ab. Zitternd drückte sich Thubano an seinen Vater.

      Dieser erwiderte für einen kurzen Augenblick die Um­armung, dann stellte er sich vor ihn hin.

      „Du dummer Kerl“, meinte er mit bewegter Stim­me, „dir ist hoffentlich nichts passiert. Ich wollte in der Höhle nicht grob zu dir sein und dir unrecht tun. Ich wehre mich doch nur dagegen, dass du in die Welt ziehst, weil ich dich nicht verlieren will. Du bist nicht wie die anderen Drachenkinder und ich habe Angst, dass dir etwas zustößt. Ich habe dich doch lieb!“

      Thubano schaute seinen Vater bestürzt an.

      Noch nie hatte ihm sein Vater seine Gefühle so deut­lich gezeigt. Bis zum heutigen Tag hatte Thubano so­gar geglaubt, dass Krowál keine solchen Empfindun­gen besaß. Insgeheim hatte er seinen Vater deshalb geliebt und bewundert. Er ließ sich nicht von Gefüh­len leiten und konnte immer sachliche und gerechte Entscheidungen fällen.

      Drachen von Thubanos Rasse waren von Geburt an dunkelgrün und wurden mit zunehmendem Alter im­mer heller, bis sie im Alter weiß waren.

      Krowál war würdevoll und prächtig. Sein Weiß strahlte heller als die Schneefelder im Winter und die prachtvolle Mähne aus Silberhaar schillerte klarer als der Vollmond in einem Bergsee. Das Spiel seiner Mus­keln zeigte seine Kraft und sein Gang seine Würde.

      Die Achtung der anderen Drachen hatte Krowál we­gen seiner Beherrschtheit und Weisheit erlangt. Thubano hatte immer so werden wollen wie er.

      „Warum sagst du nichts?“, fragte Krowál.

      Thubano zuckte mit den Achseln.

      „Ich weiß nicht“, sagte er verlegen.

      „Komm wieder nach Hause. Das Drachental ist zwar nur ein kleiner Ort, aber man kann hier ein schönes Leben verbringen“, meinte Krowál.

      Der Drachenjunge schüttelte den Kopf.

      „Ich kann nicht, Vater. Ich möchte wissen, ob es noch andere wie mich gibt. Vielleicht finde ich auch einen Freund, der mich nicht sofort verlässt, weil ich nicht fliegen kann.“

      Krowál nickte.

      „Ich verstehe dich, so sehr ich es auch bedauere. Versprich mir aber immer aufzupassen und das hier zu gebrauchen, wenn du in Gefahr gerätst!“

      Mit diesen Worten hängte Krowál Thubano eine Ket­te um den Hals. Eine braungräulich schimmernde Wurzel hing daran, die spiralig gedreht war.

      „Was soll ich damit?“, fragte Thubano verwundert und befingerte die Kette. „Es ist nur eine Wurzel.“

      „Das ist eine Zauberwurzel. Wenn du die Augen schließt und die Worte ,Akurim narim dialinum‘ sagst, wird mich ihr Zauber zu Hilfe rufen. Ich bin dann au­genblicklich bei dir! Du kannst die Kette mit der Wur­zel so oft benützen, wie du in Not bist. Missbrauche sie aber nicht! Rufe nur, wenn du keinen anderen Aus­weg siehst!“

      Thubano konnte sich die Worte nicht gleich behal­ten und sie mussten ein paar Mal üben, bis er sie richtig beherrschte.

      Schließlich nahm Krowál Thubanos linke Hand und schrieb mit dem rechten Finger seiner Klaue den Zau­berspruch hinein. Dabei murmelte er die Worte mehr­mals vor sich hin. Dann lächelte er zufrieden: „So, nun wirst du den Spruch nie mehr vergessen!“

      Er umarmte Thubano ein letztes Mal. Dieser spürte den regelmäßigen Herzschlag seines Vaters und wusste, dass ihre Zuneigung ewig sein würde. Krowál machte sich los, entfaltete seine mächtigen Flügel und hob sich in die Lüfte. Für einen Augenblick verharrte er in der Luft.

      „Vergiss die Worte nicht“, beschwor er seinen Sohn, wandte sich ab und flog zur Drachenhöhle zurück.

      „Akurim narim dialinum“, flüsterte Thubano, während er mit der rechten Klaue über seine linke Handfläche fuhr.

      „Bestimmt nicht, Vater! Bestimmt werde ich den Spruch nie vergessen!“ rief Thubano aus und das Echo kam von den Bergen zurück.

      Von einem kühlen Bach und der Macht des Feuers

      Thubano drehte dem Drachental den Rücken zu und sah zum ersten Mal die Landschaft hinter den Bergen. Öde, steinig und unendlich weit dehnte sie sich vor ihm aus.

      „Oh, meine armen Füße“, seufzte er laut. „Ich wünschte, Vater, du hättest mich ein paar hundert Meter weiter abgesetzt.“

      Er nahm die Zauberwurzel, die um seinen Hals hing, und betrachtete sie eingehend.

      „Nein“, bestimmte er dann, „ich schaffe es alleine. Das ist keine Situation, aus der ich keinen Ausweg weiß!“

      Tapfer begann er seinen Weg über ein Geröllfeld und schon nach kurzer Zeit taten ihm die Füße weh.

      Zuerst wollte er wieder umkehren, doch dann dachte er an Galon, den munteren Drachen, der in diesem Augenblick sicherlich über ferne Wälder und Wiesen flog und die Welt erkundete. Und dieser Gedanke trieb ihn voran. Thubano wandte sich nach Nordwesten. Hier schien der Weg über die Gipfel am kürzesten. Zum Süden und Osten hin dehnte sich das Drachen­tal bis zu einem weiten Meer aus, während es Rich­tung Norden an einen großen Kontinent grenzte.

      Nun war er froh, die Karten des alten Baralon aus­giebig studiert zu haben. Der alte Drache war über achttausend Jahre alt und hatte sich im Drachental zur Ruhe gesetzt. Dort verbrachte er seine Zeit damit, Karten seiner Reisen anzufertigen. Oft genug hatten die Ausführungen und Geschichten des alten Drachen über seine Kriege und Abenteuer Thubano verzaubert: Und oft hatte er zusammen mit dem Alten die Karten betrachtet und gemeinsam hatten sie weite Gedanken­reisen unternommen.

      Die Sonne war längst auf ihren höchsten Punkt ge­wandert und die Luft war angenehm warm. Thubano atmete tief ein. Vor ihm lag eine grüne Ebene, die sich bis zum Horizont ausdehnte. Die Sonnenstrahlen wur­den von der Wasseroberfläche der Flüsse und Seen eingefangen und als glitzernder, silberner Sternenregen

      zurückgeworfen.

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