Und keiner wird dich kennen. Катя Брандис

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Und keiner wird dich kennen - Катя Брандис

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die leider jeder zu kennen scheint. Biene Maja. Wenn sie anders heißt, hat sich das endlich erledigt. „Schnaufi“ wird sie ja wohl auch keiner mehr rufen, den Namen hat sie sich beim Waldlauf eingefangen. Zu Anfang war sie einfach untrainiert, weil sie in Marburg wegen Robert Barsch so viel im Haus war. Seit sie mit Lorenzo laufen geht, hat sich ihre Fitness wieder eingependelt.

      Nie wieder, flüstert eine Stimme in ihr. Nie wieder mit Lorenzo laufen gehen. Maja versucht, den Gedanken abzublocken, nicht an sich heranzulassen, doch es klappt nicht, schon fangen ihre Augen an zu brennen.

      Unten klappert die Tür, Frau Singerl ist wieder da. Lila hat ihr Geld zum Einkaufen gegeben, da sie in der Eile des Packens ihre Haarbürste vergessen und außerdem keine Socken für Elias eingepackt hat. Außerdem können sie ja nicht die ganze Zeit irgendetwas zu essen schnorren und Lila hat ihnen für heute Abend Spaghetti versprochen. Da schaute Elias tatsächlich etwas fröhlicher drein. In dem Alter ist man noch so leicht zu trösten ...

      Frau Singerl keucht die Treppe hoch, drei Paar rosa-weiß geringelte Söckchen in der Hand. Na, wenn Elias die sieht, wird er umfallen, denkt Maja mitleidig und hört mit halbem Ohr mit, wie die Singerl erklärt, dass sie im Geschäft in der Nähe keine anderen mehr hatten, und weiter schaffe sie es einfach nicht mit ihren schmerzenden Füßen.

      Alissa.

      Der Name hat sich in Majas Kopf gesetzt, kommt immer wieder zurück wie ein besonders hartnäckiger Ohrwurm. Ist das ein gutes Zeichen? Vermutlich schon. Auf Socken wandert Maja ins Bad, stützt sich am Waschbecken ab und starrt in den Spiegel. Alissa, sagt sie lautlos, probiert den Klang aus, stellt sich vor, jemand würde dieses Mädchen rufen, das sie aus dem Spiegel heraus anblickt. Wer ist diese Alissa? Wer könnte sie sein? Ist sie irgendwie anders als Maja? Stärker? Schöner? Vielleicht – der Name klingt irgendwie edel. Bestimmt ist sie auch lebhafter, fröhlicher. Nicht so sehr ein Kopfmensch. Vielleicht hat sie nicht ganz so gute Noten und dafür endlich mal eine beste Freundin.

      Zögernd lächelt Maja sich an. Ein neuer Anfang ist auch eine neue Chance. Sie könnte vieles von Anfang an besser machen. Zum Beispiel vor dem ersten Waldlauf anfangen zu trainieren. Aufhören, sich mit Kuli irgendetwas auf die Hände zu notieren, denn eigentlich sieht das dämlich aus. Mehr lächeln, freundlicher zu anderen sein, damit die anderen sie von Anfang an sympathisch finden. Alle alten Fehler sind vergessen, alle Peinlichkeiten weg.

      „Maja, magst du eine Runde Uno mitspielen?“ Lilas Stimme. Maja zuckt zusammen, wie lange hat sie hier gestanden, sich selbst im Spiegel angestarrt? Verlegen wäscht sie sich die Hände und ruft: „Komme schon!“

      Wird das neue Leben eine Katastrophe? Oder irgendwie erträglich?

      Ohne Lorenzo ist doch sowieso alles nichts, denkt Maja und muss die Zähne zusammenbeißen, um nicht schon wieder loszuheulen.

      Irgendetwas stimmt nicht, Lorenzo spürt es. Bei Maja geht keiner ran, weder auf dem Festnetz noch auf dem Handy. Sie antwortet weder auf Mails noch auf SMS, gepostet hat sie auch nichts mehr. Keiner ihrer Freunde weiß etwas.

      Die Unruhe frisst ihn auf, auf nichts kann er sich mehr konzentrieren. Sein Coach ist nicht begeistert, als er sich beim Basketballtraining entschuldigen lässt und eine Erkältung vorschiebt. Stattdessen hockt er vor dem Computer und scrollt sich durch eine Liste von Krankenhäusern. „Entschuldigen Sie, ist bei Ihnen jemand mit dem Namen Köttnitz eingeliefert worden? Nein? Vielen Dank.“

      Wahrscheinlich völlig albern. Aber was soll er denn sonst tun? Beleidigt in einer Ecke hocken, weil Maja sich nicht mehr meldet? Sie liebt ihn, da ist er sicher, so etwas spürt man doch, verdammter Mist. Sie fehlt ihm ganz furchtbar. Er kann ihr zwar in die Augen schauen, aber nur auf dem Bildschirm – dort hat er sein letztes Foto von ihr als neuen Hintergrund eingerichtet. Nachdenklich wirkt sie auf diesem Bild, fast traurig, irgendetwas beschäftigt sie. Ja, genau, und sie war auch vorher schon ziemlich fertig, als sie ihn beim Training abgeholt hat! Irgendetwas war passiert, aber sie wollte ihm nicht sagen, was.

      Er hält es nicht mehr aus, er muss etwas tun, jetzt. Zum Beispiel zu ihr fahren, wieso hatte er diese Idee nicht gleich? Lorenzo schwingt sich auf sein Mountainbike und radelt los, der kalte Wind schneidet in seine Wangen und die Reifen finden nur schwer Halt auf der vereisten Straße. Noch ist es hell, und zwanzig Minuten später sieht er das gelbe Mietshaus, in dem Maja wohnt, vor sich aufragen. Lorenzo klingelt, wartet, klingelt noch mal und noch mal. Keine Reaktion.

      Hinter der Tür rührt sich etwas, ein Nachbar kommt heraus, ein quadratisch gebauter Mann um die sechzig mit Schmalzhaaren. Das ist seine Chance. „Entschuldigen Sie ... ich versuche, Maja Köttnitz zu erreichen ...“

      Der Mann schaut ihn an wie einen Irren. „Dann besuch sie doch bei Fatzebuk oder so was, das macht ihr Teenies doch die ganze Zeit.“

      Mit Verspätung wird Lorenzo klar, dass er Facebook meint. „Äh, ja, aber jetzt bin ich nun mal hier... die Familie scheint nicht da zu sein, wissen Sie, was bei denen los ist?“

      „In welchem Stock wohnen die?“, fragt der Mann, und Lorenzo geht auf, dass dieser Typ keine Ahnung hat, wen er meint.

      Zum Glück kommt kurz darauf noch eine Nachbarin mit Business-Kostüm und Border-Collie vorbei. Doch auch sie zuckt die Schultern. „Ich glaube, die sind im Urlaub.“

      Im Urlaub? Das kann nicht sein. Es sind keine Ferien und außerdem hätte Maja ihm das doch gesagt!

      Durchgefroren und verwirrt gibt Lorenzo schließlich auf. Zu allem Übel rutscht ihm das Rad auf dem Rückweg unter dem Hintern weg, er findet sich mit fies schmerzendem Handgelenk auf der Straße wieder. Shit, hoffentlich ist das nicht gebrochen, sonst war´s das mit dem Fotografieren und Basketballspielen! Nein, zum Glück nicht, er kann die Hand noch bewegen. Doch als Lorenzo sich durchs Gesicht wischt, ist auf dem Handschuh Blut. Und das Vorderrad seines Mountainbikes ist hoffnungslos verbogen. Verdammt, jetzt muss er das Ding heimschieben, und das kann dauern.

      Es ist längst dunkel, als Lorenzo endlich zurück ist. Er spürt seine Füße kaum noch, als er sich die Treppe hochquält. Erleichtert schließt er die Tür auf, zieht seine Jacke aus, will seine Mütze auf den Garderobenschrank werfen ... und sein Blick fällt auf etwas, das dort liegt. Ein Brief für ihn. Aber nicht irgendeiner. Diese Handschrift kennt er. Maja! Der Brief ist von Maja! Lorenzo ergreift ihn, reißt ihn auf, liest die wenigen Worte.

      Dann setzt er sich auf das ungemachte Bett in seinem Zimmer. Starrt an die Wand. Der Briefumschlag liegt auf dem Boden.

       Wir müssen weg.

      Maja ist weg. Warum? Wohin? Was soll das alles?

      „Lorenzo, Essen ist fertig! – He, wie siehst du denn aus?!“ Laute, die keinen Sinn ergeben. Ein weißes Rauschen in seinen Ohren.

       Weg. Wir müssen weg.

      Daran zu denken, fühlt sich an, als hätte ihn ein Geist berührt. Eine Gänsehaut überzieht seine Arme. Plötzlich steht seine Mutter vor ihm, sagt irgendetwas, greift ihn schließlich am Arm. Lorenzo schüttelt ihre Hand ab, plötzlich wütend. Er wirft die Tür seines Zimmers hinter sich zu, schließt ab und wirft sich wieder aufs Bett.

       Weg.

      Wohin?

      Scheiterhaufen

      „Wo sind meine Sachen?“, fragt Robert Barsch und der Justizvollzugsbeamte

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