Und keiner wird dich kennen. Катя Брандис

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Und keiner wird dich kennen - Катя Брандис

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Schneesturm, um zu Lorenzo zu gelangen.

      Ihre Mutter steht auf, geht unruhig umher. „Immerhin wäre es nicht allzu schlimm, unsere Verwandten nicht mehr zu sehen. Man muss es einfach mal laut aussprechen: Seit Oma gestorben ist, interessiert sich Opa Friedrich deutlich weniger für seine Enkel und mehr für seine Modelleisenbahn und dafür, mit seinen Kumpels ein Bierchen trinken zu gehen.“

      „Bleibt nur Ralph.“ Maja denkt eher laut, sie horcht in sich hinein und versucht auszuloten, wie sie ihm gegenüber fühlt. Ihr Vater Ralph hat sich schon vor einer Ewigkeit von Lila getrennt, Maja hat keine Erinnerung mehr daran, sie war noch zu klein. Inzwischen hat Ralph in der Nähe von Hannover eine neue Familie mit zwei Kindern, die eigentlich Majas Halbgeschwister sind, sich aber nicht sonderlich für Maja zu interessieren scheinen. Sie haben kaum noch Kontakt, höchstens eine Weihnachtskarte kommt mal, auf der alle vier Familienmitglieder strahlend mit albernen rot-weißen Mützen posieren. Zum Kotzen.

      Maja merkt, dass Lila sie beobachtet. Und weil es Zeit ist, vollkommen ehrlich Bilanz zu ziehen, sagt sie hart: „Ralph wird uns eigentlich nicht vermissen.“

      Lila wirft ihr einen mitfühlenden Blick zu, widerspricht aber nicht. Und Elias´ Vater ist auch kein Thema, er stammt aus Norwegen und hat in einer Bank in Frankfurt gearbeitet. Lila war sehr verliebt in ihn, aber nach Ablauf seines Vertrages ist er in seine Heimat zurückgekehrt. Zu diesem Zeitpunkt war Lila schon schwanger, wusste es aber noch nicht. Für ihn hätte es so oder so keinen Unterschied gemacht. Er zahlt keinen Unterhalt und schreibt auch nicht mehr. Elias hat sich zwar schon im Kindergartenalter vorgenommen, Norwegisch zu lernen, aber über „God dag“ – Guten Tag – und ähnliche Floskeln hinaus hat er es noch nicht gebracht.

      „Wäre schon ein sehr mieses Gefühl, wenn ich Leonie, Mara und Simone nie wiedersehen könnte“, meint Lila. „Aber ich würde es überleben.“

      Maja sieht, dass in ihren Augen Tränen schimmern. In Offenbach hat Lila kaum jemanden kennengelernt, doch den Kontakt zu ihrer „Mädels-Clique“ in Marburg hatte sie weiter gepflegt. Diese „Mädels“, vor allem ihre Sandkastenfreundin Leonie, die ziemlich schräge Boutiquenbesitzerin Mara und ihre ehemalige Kollegin Simone haben sie in der schlimmen Zeit so gut es ging unterstützt. Ob sie erraten werden, was geschehen ist, wenn sie gar nichts mehr von Lila hören? Oder werden sie einfach nur denken, sie sei eine schlechte Freundin?

      Maja hält noch immer ihr ausgeschaltetes Handy fest, sie denkt an all die Nummern und Adressen, die darauf gespeichert sind. Wie es wohl wäre, all diese Nummern und Adressen zu löschen? Allein der Gedanke daran ist scheußlich.

      Britta. Koray. Patrick. Jana. Martina. Cheyenne. Wie viel würde es ihr ausmachen, sie alle nie wiederzusehen? Viel. Aber sie kennt sie erst seit drei Jahren. Zur Abwechslung ist Maja froh, dass sie in Offenbach keine beste Freundin gefunden hat.

      Nur der Gedanke daran, dass sie Lorenzo aufgeben soll, reißt ihr das Herz in Fetzen. Der Brief, den sie ihm geschrieben hat, brennt noch in ihrer Tasche, sie hat noch keinen Briefkasten gefunden, in den sie das Ding heimlich schmuggeln könnte. Wahrscheinlich macht Lorenzo sich jetzt gerade furchtbare Sorgen, wo sie abgeblieben ist. Schon jetzt sehnt sie sich so stark nach ihm, dass es fast wehtut. Wenn sie ihn wiedersieht, wird sie jede seiner Sommersprossen einzeln küssen.

      Noch immer geht Lila im kleinen Zimmer hin und her, sie tastet nach ihren Kippen, lässt sie dann aber doch stecken. Besser so. Wahrscheinlich fliegen sie alle drei mitsamt Gepäck hochkant raus, wenn Lila hier drinnen qualmt.

      „Es wäre heftig, noch mal ganz neu anzufangen – aber ich weiß wirklich nicht mehr, was wir anderes tun sollen“, sagt Lila. Sie streift Elias mit einem Blick und sagt dann: „Elias, ich habe wirklich furchtbaren Durst, könntest du mir aus dem Bad einen Schluck Wasser holen? Becher stehen da.“

      Elias nickt und tappt auf Socken aus dem Zimmer. Grimmig blickt Maja ihre Mutter an – was genau darf Elias nicht hören?

      Etwas leiser fährt Lila fort: „Robert will uns töten, das hat er uns oft genug angedroht. Wir sind in Lebensgefahr, das müssen wir uns einfach klarmachen. Ist dir das klar, Maja? Ich würde es nicht ertragen, wenn euch etwas passieren würde ...“

      Auf einmal begreift Maja, was er Lila vor Gericht angedroht hat. Dass er ihre Kinder töten wird ... und ihre Kinder, das sind Elias und sie. Der Gedanke hat etwas Unwirkliches.

      Schon ist Elias zurück und Lila bedankt sich lächelnd für das Wasser. Sie stürzt es herunter und sagt: „Wenn wir unsere Namen behalten, ist die Chance leider groß, dass er uns findet, auch wenn wir noch mal umziehen.“ Sie legt den Arm um Elias. „Ich weiß nicht, wie er es macht. Vielleicht per Computer, ihr wisst ja, das ist sein Spezialgebiet.“

      „Wir könnten versuchen, ihn zu töten“, schlägt Elias vor, ohne eine Miene zu verziehen, und Maja und Lila bleibt der Mund offen stehen. Solche Sprüche hat Maja von ihrem Bruder noch nicht oft gehört, er ist eigentlich ein sanfter Typ – manchmal vielleicht zu sanft, um sich auf dem Schulhof zu behaupten.

      „Besser nicht, Schatz“, versucht Lila zu scherzen. „Wir bekämen Ärger dadurch.“

      Maja stellt sich vor, wie es Lorenzo gehen würde, wenn sie, seine Freundin, tot wäre. Blutüberströmt auf dem Boden, weil Robert Barsch sie mit einem Messer in der Hand vor der Schule abgefangen hat. Würde er neben ihr niederknien, ohne auf das Blut zu achten? Ihren Kopf in seinen Schoß betten? Weinen ganz sicher, Lorenzo weint auch schon bei traurigen Filmen, obwohl er sein Bestes tut, es zu verbergen.

      „Was ist eigentlich mit der Schule?“, fragt Maja.

      „Du gehst erstmal nicht mehr hin“, sagt Lila entschlossen. „Ich melde euch beide morgen krank.“

      „Scheiße!“, rutscht es Maja heraus. „Morgen ist doch Probe.“ In zehn Tagen hat ihre Theateraufführung Premiere; Lorenzos Freund Cedric hat das Stück geschrieben und Maja hat eine wichtige Nebenrolle. Hatte, muss sich Maja korrigieren. Langsam wird ihr klar, dass es damit nichts werden wird. Und ihr Jugend-forscht-Projekt kann sie auch abschreiben, in ein paar Tagen sind die Schimmelkulturen alle außer Kontrolle und weiterarbeiten kann sie daran sowieso nicht mehr. Und eigentlich ist das alles auch gar nicht wichtig im Vergleich zu den Problemen, die sie gerade haben.

      „Maja hat das Sch-Wort gesagt!“, meint Elias. „Bekommt sie jetzt eine gelbe Karte?“

      „Nein“, sagt Lila müde. „Ich würde es auch gerne sagen, das Sch-Wort.“

      Maja steht auf, geht zur Tür, lauscht. „Frau Singerl guckt Fernsehen. Ziemlich laut auch. Ich glaube, wir könnten es jetzt alle mal sagen, wenn wir Lust haben.“

      Und dann brüllen sie alle zusammen „Scheiße!“, so laut sie können, und danach grinst Elias, Lila sieht nicht mehr so angespannt aus und Maja fühlt sich ein kleines bisschen besser.

      Sie stützt den Kopf in die Hände. Was würde Lorenzo ihr raten? Klare Sache: Er würde sagen Geh!, so schwer es ihm auch fallen würde. Lorenzo liebt sie, und er würde nicht wollen, dass sie verletzt oder getötet wird. Oder dass ihrer Familie etwas passiert. Aber würde sie es überleben, von ihm getrennt zu sein? Maja ist nicht sicher.

      Ihrer Mutter geht etwas ganz anderes durch den Kopf, wie es aussieht, denn plötzlich sagt sie: „Ich glaube, wenn wir noch mal neu anfangen müssen, dann will ich nicht mehr den gleichen Job machen wie bisher.“

      „Wieso nicht?“ Maja ist verblüfft, bisher hat sie gedacht, dass ihre Mutter ihren Job mag. Zumindest hat sie sich nicht darüber beschwert, kein

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