Und keiner wird dich kennen. Катя Брандис
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Читать онлайн книгу Und keiner wird dich kennen - Катя Брандис страница 5
„Darf ich noch ein Brötchen süß?“, fragt Elias, sein hellblondes Haar steht noch ungekämmt zu Berge. Er mustert hoffnungsvoll das Glas mit der Schokocreme. Sein grün-orangener Kuscheldrache sitzt neben ihm auf dem Frühstückstisch und scheint die Schnauze in Richtung Schokoglas zu recken.
„Na gut, ausnahmsweise“, antwortet Lila. „Und lass uns mal besprechen, wen du zu deinem Geburtstag übernächste Woche einladen willst.“
Elias blickt auf seinen Teller. „Weiß nich. Nur Lorenzo.“
Maja muss lächeln. Das ist süß, aber eigentlich hatte ihnen eher eine Kinderparty vorgeschwebt. „Wen magst du denn in deiner Klasse?“, versucht sie nachzuhelfen.
„Eigentlich niemand“, sagt Elias. „Die sind alle doof.“
„Ach, wir müssen auch gar keine Party machen“, sagt Lila rasch. „Wie wär´s, wenn wir drei und Lorenzo zusammen Pommes essen gehen?“
Zum Glück nickt Elias und versucht sogar ein Lächeln. Maja lächelt zurück. Was für ein Mist, dass er in seiner Klasse immer noch keinen Anschluss gefunden hat. Wahrscheinlich ist er den anderen zu schüchtern, oder zu uncool. Es tut weh, sich vorzustellen, dass ein lieber Kerl wie er jeden Tag allein auf dem Pausenhof steht und sein Brot in sich hineinmümmelt. Lorenzo hat erzählt, dass er früher auch gemobbt wurde, und unterhält sich immer total nett mit Elias, wenn er Maja besucht. Kein Wunder, dass Elias ihn mag.
Irgendwie schleppt sich Maja durch den Schultag. Lorenzo ist ein Jahr älter als sie und eine Stufe über ihr, sie sieht ihn nur in den Pausen und in der Mensa. Aber allein sind sie keinen Moment lang, und Maja freut sich schon auf den Abend mit ihm. Ob sie wieder miteinander schlafen werden? Will sie das? Sie ist noch nicht ganz sicher, die Stimmung muss passen.
Als Maja heimkommt, wirft sie sich völlig erschöpft aufs Sofa. Mit Jana hat sie ausgemacht, dass sie gegen fünf Uhr anruft, um ihr Kostüm für die Party abzusprechen. Patrick selbst wird als „Man in Black“ gehen, so viel ist schon klar, aber Jana schwankt noch zwischen Lara Croft und irgendeiner Figur aus den Tolkien-Verfilmungen. Maja hat noch keine wirkliche Idee. Sie fühlt sich in der Stimmung für ein King-Kong-Kostüm, am liebsten würde sie jetzt sofort den einen oder anderen Wolkenkratzer umkippen.
Elias ist auch aus Schule und Hort zurück. Mit zwei Vulkan-Büchern unter dem Arm verzieht er sich in sein Zimmer, steckt dann aber noch mal den Kopf durch die Tür und schaut sie mit Dackelblick an. „Hilfst du mir nachher noch, an meinem Vulkan weiterzubauen?“
„Okay“, sagt Maja und seufzt. Elias bastelt seit Wochen an einem fast einen Meter hohen Vulkanmodell aus Pappmaché, das er mit rot-gelben Lavaströmen bemalt hat.
„Er soll nämlich richtig Feuer spucken, und ich weiß nicht, wie ich das hinkriegen soll“, meint Elias.
„Ich müsste mal im Internet nachschauen, ob so was überhaupt geht“, wendet Maja ein. „Außerdem klingt das ziemlich gefährlich.“
„Aber es ist wichtig, dass der Vulkan richtig ausbrechen kann! Sonst kann ich doch nicht ...“
Es ist fünf Uhr und das Festnetz-Telefon klingelt. Ganz kurz wundert sich Maja, warum sich Jana nicht auf dem Handy meldet, aber da hat sie schon abgenommen.
Doch es ist nicht Janas Stimme, die aus dem Hörer dringt. Sondern die eines Mannes. Maja erkennt sie sofort und ein eisiger Schauer rieselt durch ihren ganzen Körper.
„Ihr dachtet, ihr seid mich los, was?“, sagt der Mann. „Aber ich weiß, wo ihr seid. Sag deiner Mutter, sie soll zu mir zurückkommen. Sonst killen wir euch ...“
Das Telefon fällt Maja aus der Hand und kracht auf den Boden.
Nein!
Nein!
Flucht
Zur Schule zu gehen, kommt nicht mehr in frage, zu riskant. Eine halbe Stunde später sitzen sie alle drei bei der Polizei, vor ihnen eine Beauftragte für Familie und Kinder. Lila schreit beinahe. „Wie konnte denn das passieren? Wie kann dieser Mistkerl überhaupt an ein Telefon herankommen, wenn er in Haft ist?“
Die dunkelhaarige Polizeibeamtin, die Koretzki heißt oder so ähnlich, verzieht das Gesicht. „Natürlich darf er im Gefängnis normalerweise nicht telefonieren, das versteht sich von selbst. Aber wenn die wirklich entschlossen sind, schaffen sie es doch irgendwie, sich ein illegales Handy zu besorgen. Oder Drogen, oder sonstwas. Aha, ich sehe in den Unterlagen, dass die Gefängnisverwaltung mehrere seiner Briefe an Sie gar nicht erst an Sie zugestellt hat, weil sie Drohungen enthielten.“
Um Maja dreht sich alles, sie kann kaum klar denken. In ihrem Gehirn läuft eine Endlosschleife. Ihr dachtet, ihr seid mich los, was? Wieso hat sie den Hörer überhaupt abgenommen? Das hat sie jahrelang nicht getan, wer etwas von ihr wollte, musste auf den Anrufbeantworter sprechen. Aber ich weiß, wo ihr seid. Wie hat er das nur herausgefunden? Und die Nummer?
Das Gespräch rauscht an ihr vorbei. „Was ist mit Sicherheitsverwahrung? Können Sie ihn nicht drinbehalten, wegen Rückfallgefahr oder so was? Diese Briefe zeigen doch klar und deutlich, dass er mit uns noch etwas vorhat!“ Lilas Stimme ist noch immer laut, viel zu laut.
„Ich fürchte, so etwas ist rechtlich leider nicht möglich. Wir werden ihn uns natürlich vorknöpfen und ihm klarmachen, dass wir ihn im Auge behalten.“
„Gefährderansprache, ja klar. Hat die Polizei in Marburg auch schon gemacht, aber besonders beeindruckt hat ihn das nicht! Er hat einfach weitergemacht! Dieser Mann meint es ernst, wenn er uns droht!“
„Bitte beruhigen Sie sich, Frau Köttnitz. Ich weiß, das ist eine wirklich schwere Situation für Sie. Ich werde auf jeden Fall den Kollegen Bescheid geben, damit sie auf Streife besonders häufig an Ihrem Haus vorbeifahren.“
Lila hat den Arm um Elias gelegt, hält ihn ganz nah bei sich. Stumm und verstört hört er zu, am liebsten würde Maja ihm die Ohren zuhalten.
Mit einem schnellen, besorgten Blick prüft Lila, wie es ihm geht, dann atmet sie tief durch. „Danke.“ Maja erkennt den Ton in ihrer Stimme – ihre Mutter versucht gerade, ruhig und vernünftig zu klingen. „Aber ich glaube nicht, dass das reicht. Sie wissen natürlich nicht, was in Marburg schon alles passiert ist. Ist Ihnen klar, dass Herr Barsch wahrscheinlich nicht allein handelt?“
„Sind Sie sicher?“ Die Polizeibeamtin klingt skeptisch. „Stalking und häusliche Gewalt sind gewöhnlich...“
Maja spürt, wie ihre Mutter neben ihr tief Luft holt. „Anders ist nicht zu erklären, was wir erlebt haben. Auf uns ist geschossen worden, während Robert Barsch schon in Haft war. Das steht sicher auch in irgendeiner Akte, vielleicht können Sie mal nachschauen.“
„Zum Glück sind wir nicht getroffen worden“, meldet sich Elias schüchtern zu Wort. „Es hat nur ziemlich laut geknallt.“
„Du erinnerst dich noch daran?“ Die Polizeibeamtin ist erstaunt. „Obwohl das drei Jahre her ist? Wie alt bist du denn?“
„Sieben“, sagt Elias leise und schmiegt sich noch enger in Lilas Arm.
Auch