Und keiner wird dich kennen. Катя Брандис
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„Wir brauchen noch ein Motto für nächste Woche“, sagt Lorenzo, fährt seinen Laptop hoch und ruft Treibgut auf, ihren gemeinsamen Blog. Er fotografiert dafür, sie schreibt. „Diesmal bist du dran.“
Maja weiß, dass er sie ablenken will, und ist ihm dankbar dafür. „Wie wär´s mit Frost und Asche?“ Es ist das Erste, was ihr in den Sinn kommt.
„Wow, du bist ja wirklich gut drauf“, grinst Lorenzo. „Ja, okay. Ich hab schon ein paar Motive dazu im Kopf. Und du? Artikel, Anekdote, Kurzgeschichte?“
„Vielleicht“, erwidert Maja. Am liebsten hätte sie so getan, als wäre alles in Ordnung, aber das ist furchtbar schwer. Und Lorenzo scheint es zu spüren. Er klappt den Laptop wieder zu und hockt sich im Schneidersitz auf sein Bett.
„Komm her“, sagt er sanft und sie geht zu ihm. Doch diesmal schmiegt sie sich nicht an ihn, um sich trösten zu lassen. Auf einmal ist es Wut, die sie fühlt, eine plötzliche heiße Wut auf die Welt. Sie küsst Lorenzo so heftig, dass er überrascht wirkt. Doch schon nach ein paar Momenten hat er sich darauf eingestellt, nimmt die Herausforderung an und küsst sie ebenso wild zurück. Wagemutig lässt Maja die Hände unter sein Kapuzen-Sweatshirt wandern, über die harten Muskeln seines Rückens, über seine glatte Brust, über die Ausbeulung in seiner Jeans. Sie zieht sich den Pullover und das Top über den Kopf, lässt beides auf den Boden fallen.
Was ist los mit ihr? Ein halbes Jahr lang hat sie diesen Moment hinausgezögert und jetzt ist die Furcht davor einfach weg. Wahrscheinlich wird es wehtun – na und?
Lorenzo steht nur noch einmal kurz auf, um die Tür seines Zimmers abzuschließen und in einer Schublade hektisch nach etwas zu kramen – aha, einem Kondom – , dann kehrt er zu ihr zurück. Seine Lippen tasten sich voran, gleiten über ihre Haut, berühren geheime Stellen ihres Körpers. Er wirkt ein klein wenig nervös, schaut immer wieder zu ihr hoch, wartet auf ein Stopp, das nicht kommt. Ein warmer Schauer rieselt durch Majas ganzen Körper, ihr Atem geht schnell.
„So? Ist das gut so, oder ...?“ Lorenzo hält kurz inne. „Ja, ja, und ja“, flüstert Maja, sie will, dass er weitermacht, merkt er nicht, dass es ihr gefällt? Wieso hört er auf? Vielleicht, weil sie jetzt dran ist? Ihre Hände tasten sich vor und Lorenzo keucht auf. Maja streift ihren Slip ab, und endlich kommen von Lorenzo keine Fragen mehr. Wo hört sein Körper auf und beginnt ihrer?
Ja, es tut wirklich einen Moment lang weh und ist auch ziemlich schnell vorbei, aber das macht nichts. Ganz eng liegen sie beieinander und halten sich fest, nackt und verschwitzt unter der Daunendecke. Wow. Sie haben es getan. Sehr viel erwachsener als vorher fühlt Maja sich nicht, vielleicht kommt das noch.
Lorenzo streicht über ihre Wange, lässt einen Finger über ihre Stirn, ihre Nase, ihr Kinn gleiten. So unsagbar zärtlich, dass Maja fast die Tränen kommen. Aber sie kann jetzt nicht weinen, das würde er falsch verstehen.
„Wie gut, dass du mich damals gesucht und gefunden hast“, flüstert sie ihm zu. „Wenn du das nicht getan hättest ...“
„Daran will ich gar nicht denken“, wispert Lorenzo. „Es gibt so viele verpasste Gelegenheiten im Leben ... aber manchmal hat man eben auch Glück ...“
Glück? Hat sie Glück gehabt im Leben? Wenn Maja Lorenzo ansieht, dann steigt eine große Wärme in ihr hoch. Ja. Die furchtbare Zeit in Marburg ist Vergangenheit, ganz sicher ist sie das!, und Lorenzo ist ihre Zukunft. Noch nie hat sie jemanden getroffen, mit dem sie sich so auf Anhieb verstanden hat, mit dem sie so vieles teilen kann.
Irgendwie spürt Lorenzo, dass ihr so einiges durch den Kopf geht, er stützt sich auf einen Ellenbogen und betrachtet sie nachdenklich. Doch Maja will jetzt kein Problemgespräch, sie will genießen, wie sie sich jetzt fühlt. Ganz und gar lebendig. Froh. Geborgen. Das ist ja wohl ein Zeichen, dass sie das Richtige getan haben, oder?
Langsam verfliegt ihre andächtige Stimmung.
„Gut, dass du deine Simpsons-Socken nicht anhattest“, murmelt Maja. „Die Dinger sind so albern, die hätten mich wahrscheinlich im letzten Moment noch abgetörnt.“
Lorenzo grinst im Halbdunkel. „Ach, die hättest du mir doch in Sekundenbruchteilen vom Leib gerissen. Was hast du eigentlich heute gegessen? Was auch immer es war, wir müssen mehr davon kaufen.“
„Ich hätte im Schullabor nichts von diesem neuen Wirkstoff probieren sollen“, frotzelt Maja.
„Damit gewinnst du hundert Pro bei Jugend forscht“, behauptet Lorenzo und streckt seinen durchtrainierten Körper. Kaum zu glauben, dass er als Kind dick gewesen ist und seine Mitschüler ihn “Klops“ gerufen haben. Maja hat es erst geglaubt, als er ihr die Fotos gezeigt hat. Erkannt hat sie ihn nur an den Haaren, dem kleinen Grübchen im Kinn und dem Ausdruck in den Augen.
Maja legt den Kopf auf Lorenzos sommersprossigen Bauch, so dass ihre langen Haare über seinen Körper strömen. „Na, dann drück mir mal die Daumen“, murmelt sie und küsst seine warme Haut. In Wirklichkeit experimentiert sie nicht mit neuen Wirkstoffen, sondern mit einem Warngerät, das einen darauf aufmerksam macht, wenn in der Küche zu viele Schimmelsporen herumfliegen. So richtig ausgereift ist das Ding noch nicht, aber es macht Spaß, daran weiterzuarbeiten.
„Kannst du noch bleiben?“, fragt Lorenzo, sein Blick streift seinen Wecker. „Wie wär´s mit einem Snack? Später muss ich leider noch los. Dutzende von Pizzas warten darauf, ausgeliefert zu werden an lauter Leute, die nicht wissen, dass man am Abend keine Kohlehydrate mehr essen sollte.“
Maja fällt ein, was sie daheim erwartet, und ihre Stimmung sackt ab. Sie schüttelt den Kopf. „Besser, ich bin zum Abendessen daheim. Meiner Mutter geht´s nicht so gut.“
Lorenzo wirft ihr einen forschenden Blick zu, doch er fragt nicht nach. „Schade“, sagt er nur. „Aber morgen sehen wir uns, oder?“
„Ja, logisch“, antwortet Maja, und als sie ihn ansieht, kann sie ihr Glück kaum fassen. „Ach, übrigens, habe ich dir heute schon gesagt, dass ich dich liebe?“
Auf seinem Gesicht geht die Sonne auf. „Hm, heute noch nicht, da bin ich mir ziemlich sicher.“
„Ich liebe dich“, flüstert Maja und Lorenzo küsst sie lange.
Dann wirft sich Maja ein T-Shirt über und tappt auf bloßen Füßen zur Dusche.
Giftige Gedanken
Unmöglich. Unmöglich, jetzt zu schlafen. So viel ist geschehen. Maja spürt den Gefühlen von vorhin nach, erinnert sich an Lorenzos Berührungen und lächelt in sich hinein. Ein bisschen wund fühlt sich ihr Körper an, aber das wird vorübergehen. Sie haben es getan. Endlich. Und ausgerechnet heute, nach diesem schrecklichen Brief. Total strange. Den richtigen Moment hat sie sich romantischer vorgestellt, irgendwie. Aber das hier ist eben die richtige Welt und nicht Hollywood...
Dieser Brief. Maja fragt sich, ob ihre Mutter jetzt ebenso wach liegt – wahrscheinlich schon. Fünf Tage. In fünf Tagen ist Robert Barsch frei, und was dann? Wie ein giftiger Dunst steigen die Erinnerungen in Maja hoch.