Die Schule auf dem Baum. Gunter Preuß

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Die Schule auf dem Baum - Gunter Preuß

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Jungen gesprochen?"

      "Ja", sage ich. "Ich habe mit ihm gesprochen."

      "Mit allem Nachdruck?"

      "Er hat einen Verweis erhalten!"

      "Die Eltern", sagt Frau Wendisch. "Kümmern sich denn seine Eltern nicht um ihn?"

      "Doch. Ja", sage ich. "Ich habe den Eindruck."

      "Aber was sollen wir denn tun?" Der Kugelschreiber bohrt sich in das Holz.

      "Tja", sage ich. "Vielleicht sollten wir den Baum fällen." Ich lache, die Hand vor dem Mund.

      Frau Wendisch sieht mich erstaunt, dann misstrauisch an. Sie sagt: "Für Späße habe ich jetzt nicht die Nerven, Herr Hausmann. Warum steigt der Junge nur immer wieder auf den Baum? Was - was will er denn da oben?"

      "Tja", sage ich. "Das ist die Frage. Was will er da oben?"

      Frau Wendisch malt mit dem Kugelschreiber Blumen auf ein Blatt Papier. "Ist Ihnen in Ihrem langen Lehrerdasein schon einmal so etwas passiert?", fragt sie. "Setzen Sie sich doch!"

      Ich setze mich auf den Besucherstuhl. Der ist hart. Sie reicht mir ein Kissen. Ich sage: "Nein. Das ist es ja. Ich fühle mich wie ein Anfänger. Nach all den Jahren. Jahrzehnten. Da geschieht etwas. Ich finde keine Erklärung."

      Frau Wendischs Stimme ist jetzt weich und fragend. Ihre Lippen sind voller und etwas geöffnet. Sie sagt erleichtert: "Es beunruhigt Sie also auch?"

      "Ja", sage ich. "Es verschafft mir Herzklopfen. Eine heiße Stirn und kalte Hände."

      "Hier", sagt Frau Wendisch. Sie streckt mir über den Schreibtisch ihre Hand entgegen.

      Ich zögere. Dann berühre ich ihre Hand.

      "Aber Ihre Hand ist warm", sage ich. "Ganz warm".

      "Ja?" Frau Wendisch ist überrascht. Sie sagt: "Aber Ihre Hand ist es auch. Sie ist heiß."

      "Heiß", sage ich. "Mein Gott, heiß, sagen Sie."

      Für ein paar Augenblicke halten wir über den Schreibtisch hinweg gegenseitig unsere Hände.

      Wir sitzen ruhig auf den Stühlen. Durch das Fenster ist die alte Kastanie zu sehen. Im dichten grünen Laub sitzt der Junge.

      "Eine verrückte Welt", sage ich.

      "Ja", sagt Frau Wendisch. "Ja, manchmal ja."

      "Immer", sage ich. "Immer".

      "Aber...", sagt die Direktorin.

      Wir stehen auf. Der Abstand zwischen uns wächst wieder. Ich will das nicht.

      Ich sage: "Sagen Sie jetzt nichts. Ich bitte Sie."

      Sie antwortet: "Das geht so nicht. Auch wenn ich es wollte. Sie wissen es selbst."

      Irgendetwas zerbricht zwischen meinen Händen. Ich taumle in einen Nebel hinein.

      Frau Wendisch ruft: "Beruhigen Sie sich. Bitte beruhigen Sie sich. - Es hat keinen Sinn, sich so aufzuregen. Sind Sie – sind Sie wieder in Ordnung?"

      "Ja", sage ich, zurückgekehrt in diese Dingewelt. "In Ordnung."

      Frau Wendisch sagt: "Für nächste Woche hat sich der Schulrat angesagt. Was ist, wenn der Junge dann auf dem Baum sitzt?"

      "Das kommt in Ordnung", sage ich. Wir haben einen Moment lang geträumt. Was wohl? Aber Lehrer sind keine Träumer. Sie sind Realisten. "Ich bringe das in Ordnung."

      Ich spreche zu Hans Schorn. Wieder und wieder. Er schweigt. Manchmal sieht er mich kurz an. Dann schreie ich: "Was denkst du dir eigentlich?" Sein Gesicht erinnert nicht mehr an das eines Mädchens. Es ist das eines Jungen geworden. Was passiert denn da, wovon ich nichts weiß?

      Ich bitte ihn. Ich drohe ihm. "Du must vom Baum herunter."

      Ich spreche mit Hans Schorns Eltern. Ich spreche mit ihnen über dieses und jenes, über alles. Nur nicht darüber, dass ihr Sohn auf dem Baum sitzt. Sie könnten mir dazu nichts sagen. Beide sind praktische Menschen, den Kopf voller Alltagssorgen.

      Ich sehe zu, wie ein paar ältere Schüler Hans Schorn verprügeln. Ich bin gegen Gewalt, und doch steckt sie in mir wie in jedem Menschen. Unbegreifliches hatte starke Anziehungskraft, es macht zuerst neugierig und bald aggressiv. Hans Schorns Gesicht ist blutverschmiert. Ein Clownsgesicht.

      Horst Rappke und Christa Mällmann küssen sich auf dem Schulhof. Vor Hans Schorns Augen. Betritt Christa Mällmann den Schulhof, sucht ihr Blick Hans Schorn. Sie rümpft die Nase. Sie kämmt sich mit weichen, ausholenden Bewegungen.

      Fast jeden Tag sitzt der Junge auf dem Baum. Minuten. Oder gar Stunden.

      Die junge Direktorin geht mir aus dem Weg. Und ich ihr. Einmal stoßen wir im Flur zusammen. Es ist, als hätten wir einander gesucht. Wir entschuldigen uns. Und laufen voreinander weg.

      Der Tag, an dem der Schulrat kommt, rückt naher. Unaufhaltsam. Hans Schorn sitzt auf der alten Kastanie.

      Mitten in meinem Unterricht springen Schüler auf und rennen zu den Fenstern. Die Mädchen müssen auf die Toilette. Es wird getuschelt. Zettelchen werden hin- und hergereicht.

      Die Schüler, die nach draußen gegangen sind, kommen nicht ins Klassenzimmer zurück. Türen knallen. Auf dem Flur hallen Schritte. Einer ruft nach dem anderen. Die Lehrer lassen ihre Kommandostimmen erklingen.

      Hans Schorn sitzt auf der alten Kastanie. Jeden Augenblick muss der Schulrat eintreffen. Nach neuesten Meldungen mit einer Gruppe ausländischer Lehrer. Sie wollen die neue Schule sehen. Ein Modell für kommende Schulen.

      In der zweiten Stunde findet kein Unterricht mehr statt. Lehrer und Schüler haben sich auf dem Schulhof versammelt. Außer der Direktorin und mir steht keiner allein. Wir blicken zur Krone der alten Kastanie. Die Sonne sticht schon. Die Blätter rascheln. Sie knistern. Hier und da blitzt es schon rot und gelb auf im Grün. Als wollte sich ein Feuer entzünden.

      Frau Wendisch steht am Schultor. Jetzt erscheint sie mir besonders schmal und klein, und zum ersten Mal empfinde ich sie kindhaft zerbrechlich. Ihr Gesicht ist bleich. Die schwarzen Augenbrauen und die dunkelroten Lippen wirken wie aufgeklebt. Sie hat vergangene Nacht nicht geschlafen. Ich bin durch meinen Garten gelaufen. Am Zaun entlang. Nicht wegen des Schulrates. Ich kenne den Mann nicht. Ich fürchte sein Urteil nicht. In meinem Alter bin ich außerhalb seiner Bewertung.

      Langsam löse ich mich von den anderen. Schließlich reiße ich mich los. Ich gehe zur alten Kastanie. Ich versuche, sie zu ersteigen. Die Schuhe finden in den Einschusslöchern keinen Halt. Ich ziehe die Schuhe aus. Die Strümpfe. Etwa eineinhalb Meter komme ich vom Erdboden weg. Dann fehlt mir die Kraft. Hände und Füße verkrampfen. Ich falle.

      Wieder versuche ich, den Baum hochzukommen. Die Erde will mich nicht loslassen. Sie zieht mich immer wieder zurück. Ich falle hart. Noch habe ich mir nichts gebrochen.

      Zwei Schüler kommen mit einer Leiter. Es sind Horst Rappke und Christa Mällmann. Sie lehnen die Leiter an den Stamm. Dann treten sie zurück.

      Ich ersteige die Leiter,

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