Das Organkartell. Rainer Rau
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Dass die Beamten so schnell vor Ort waren, war einem Zufall zu verdanken. In einem Nachbarort, nur zehn Kilometer entfernt, wurde gerade ein Seminar in psychische und psychosomatische Opferbetreuung für eine Sondereinsatzgruppe des LKA abgehalten. Da die Truppe immer einsatzbereit sein muss, waren auch sämtliches Equipment und alle Waffen vor Ort.
Der Tiger betrachtete sich das ganze Treiben um ihn herum und legte sich, alle viere von sich streckend, aufs Gras. Er sah die Menschen um sich herum genau, es erschreckte ihn jedoch nicht. Nun war er nicht mehr durstig. Nun war er müde und wollte sich ausruhen.
Dann, nach endlos langer Zeit erschien ein Tierarzt. Man hatte mit Dr. Kunze einen Experten, der sich mit exotischen Raubkatzen auskannte, schnell übers Internet ausfindig gemacht und angefordert. Dr. Kunze hatte lange Zeit mit seiner Familie in verschiedenen Ländern Afrikas gelebt und sich auf Großkatzen spezialisiert, über die er auch seine Doktorarbeit verfasste. Vor einigen Jahren, als seine Frau an einer seltenen Hautkrankheit litt und die Sonne Afrikas nicht mehr ertrug, waren sie ins weniger sonnenreiche Deutschland zurückgekehrt. Seit dem war er Leiter der stationären Abteilung für Großtiere der örtlichen Veterinärklinik.
Nach einem kurzen Gespräch mit dem ebenfalls erschienen Einsatzleiter der Schutzpolizei des Kommissiariats 11 entschied der Arzt, den Tiger nicht mit einem Betäubungsgewehr, sondern mit einem Blasrohrpfeil zu betäuben, da dieses wesentlich schonender für das Tier sei. Voraussetzung war, dass er nahe genug an das Tier herankam.
Der Einsatzleiter war zwar der Meinung, dass man kein Risiko eingehen sollte, da ihm der Tiger aber recht friedlich erschien, stimmte er dem Arzt schließlich zu.
»Gut Doc. Aber Sie wissen schon, welches Risiko Sie da eingehen!?«
»Ich erkenne am Benehmen der Tiere, ob sie angriffslustig sind oder nicht. Der hier ist friedlich wie ein Reh. Er ist nicht verletzt und egal woher er kommt – er wurde gut behandelt, denn er hat uns registriert und ist nicht im Geringsten aufgeregt. Er ist den Umgang mit Menschen gewohnt.«
»Ok. Dann blasen Sie halt in das Rohr.«
So begab sich Dr. Kunze mit dem Blasrohr, in dem der Pfeil mit einem Cocktail aus schnell wirkenden und nachhaltigen Betäubungsmitteln steckte, auf das Nachbargrundstück.
Mittlerweile erschien ein Übertragungswagen des 3. hessichen Fernsehprogramms. Kurz darauf einer von RTL. Anschließend kamen weitere Ü-Wagen verschiedener Sender. Man hatte wohl einen Insidertipp bekommen, denn die neuen digitalen Funkgeräte der Polizei ließen ein Abhören des Polizeifunks nicht mehr so leicht zu, wie die analogen Geräte.
Der Tierarzt konnte durch einen Spalt in der Hecke vom Nachbargrundstück aus, den Tiger beobachten. Da dieser friedlich im Gras lag, ging der Arzt vorsichtig um die Hecke herum und richtete langsam das zwei Meter lange Blasrohr auf ihn.
Hätte er gewusst, dass der Tiger ihm auch ohne Betäubung in einen Käfig gefolgt wäre, hätte er sich die Mühe mit dem Blasrohr sparen können.
Das Kamerateam nahm Position auf dem Dach des
Ü-Wagens auf. Hierbei stand nicht fehlender Mut der Reporter, sondern einfach eine bessere Sicht auf den Tiger als Entscheidungskriterium im Raume. Gerade als sie die ersten Aufnahmen machten, traf der achtzehn Zentimeter lange Pfeil sein Ziel am Halse des Tigers.
Dieser zuckte erschrocken zusammen. Er hatte den Tierarzt, der bis auf wenige Meter an ihn herangeschlichen war, zwar genau gesehen, jedoch keine Gefahr vermutet.
Er stützte sich auf die Vorderbeine und wollte sich erheben. Das Betäubungsmittel wirkte aber schon und so legte er sich wieder hin und schlief ein.
Der Einsatzleiter war zufrieden. Es ging nun keine Gefahr mehr von der Raubkatze aus und er konnte den Einsatz abbrechen.
Er wurde sofort von einem Reporter befragt.
»Herr Hauptkommissar Kleber, wie erklären Sie sich die Anwesenheit eines ausgewachsenen Tigers in einem dicht besiedelten Wohngebiet?«
»Nun, darüber können wir zum jetzigen Zeitpunkt nur spekulieren. Möglich ist es aber, dass er aus einem Wanderzirkus ausgebrochen ist.«
»Was geschieht nun mit ihm?«
»Wir werden ihn sofort nach Frankfurt in den Zoologischen Garten bringen. Dort kann man ihn artgerecht unterbringen, bis wir den Halter ermittelt haben. Ein Tierarzt mit Wildkatzenerfahrung wird ihn dorthin begleiten.«
Wie auf Kommando fuhr ein Wagen mit einem Pferdeanhänger vor und der Tiger, der vom Tierarzt noch kurz untersucht wurde, wurde auf einer Zeltplane, von den Helfern der Feuerwehr hinein getragen.
Dies trug dazu bei, dass der kleine Kevin sich traurig auf Mamas Schoß setzte.
»Können wir den Löwen nicht behalten?«
»Nein Kevin. Erstens ist das ein Tiger und zweitens sind die sehr gefährlich. Mit wilden Tieren kann man nicht spielen.«
»Warum nicht?«
»Wie die zu jeder Zeit zubeißen können.«
»Warum tun die das denn?«
Die Antwort kam nun schnell von Kevins Schwester.
»Weil kleine Brüder immer nervige Fragen stellen.«
»Mama. Stimmt das?«
Während dieser Dialog noch eine Weile so weiter ging, befand sich der Tiger auf dem Weg zur Autobahn und traf eine Stunde später im Zoo Frankfurt ein.
Hauptkommissar Kleber ließ, in der Dienststelle angekommen, seine Beamten nach einem Wanderzirkus suchen.
Schnell wurde jedoch allen klar, dass im Radius von fünfzig Kilometern kein Zirkus sein Domizil aufgeschlagen hatte. Es gab zurzeit lediglich einen einzigen großen Zirkus, der in der Manege Tiger durch Feuerreifen springen ließ. Der hatte sein Domizil in Süddeutschland aufgeschlagen. Ein Anruf beim Direktor ergab, dass es keinen Fehlbestand im Zirkus gab. Die Nachfrage nach einem entlaufenen Tiger ging per
E-Mail an alle Zoologischen Gärten in Deutschland und wurde von diesen sofort negativ beantwortet.
Kleber fluchte.
»Wenn der aus einer illegalen, privaten Haltung entflohen ist, finden wir den Besitzer wahrscheinlich nie. Der wird sich auch nicht bei uns melden, denn erstens bekommt der eine saftige Strafe und zweitens sieht der den Tiger nicht wieder.«
Ein Beamter gab seinen Senf dazu.
»Schade, dass die Katze nicht reden kann. Wer sich illegal eine Wildkatze hält und sie dann auch noch entkommen lässt, ist doch gemeingefährlich.«
Sein Kollege meinte, dass die Katze selbst doch wohl eher gefährlich wäre.
»Obwohl, so gefährlich war sie gar nicht. Ich hatte den Eindruck, sie war eher zahm.«
»Stimmt. Hat nicht mal wie ein Löwe gebrüllt.«
»Tiger brüllen nicht wie Löwen. Eher wie Tiger.«
»Ich glaube, der wurde schon von Geburt an von
Menschen