Spuren von Gestern. Werner Heinemann

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Spuren von Gestern - Werner Heinemann

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an ging es sofort mit der Scheiße los“, wird er nicht müde, seine eigene Geburtsstunde zu kommentieren.

      Tatsächlich tat er sich schwer, fasste nur mühsam Fuß und es ging ihm nichts von der Hand. So steht er bis heute immer im Abseits, am Rand, allein, kontaktlos. Er ist ein verschlossener Eigenbrötler, der in seinem eigenen, für niemanden zugänglichen Universum lebt. Gelingt es eine Bresche in seine abwehrenden Mauern zu schlagen, wird er etwas zugänglicher, aber lässt dennoch niemanden wirklich an sich heran. Dann aber übertreibt er drastisch: „Von der Scheiße, die niemals aufhört, Scheiße zu sein.“

      Dörrmeier, sein Flurnachbar, sagt: „Eine Traurigkeit beherrscht ihn; er ist traurig, einfach immer nur traurig.“

      Von den wenigen Leuten, denen er nicht gleichgültig zu sein scheint, raten schon mal welche, dass er seine Schwermut behandeln lassen müsse. Doch dann blockt er sofort ab und antwortet darauf nichts. Die meisten Leute nehmen ihn gar nicht wahr. Er weiß, was die Übrigen von ihm halten. Da ist die Rede von:

      „Dieser selbstmitleidige Tropf ...“

      „Der hat bestimmt was auf dem Kerbholz ...“

      „Ein derart ausuferndes Minderwertigkeitsgefühl ...“

      „Selbstverachtung äußert sich oft arrogant ...“

      „Ein unheimlicher Menschenhasser ...“

      „Duckmäuser markieren immer ein Stück Unnahbarkeit ...“

      „Ein schweigsamer, beleidigender Ignorant ...“

      „Stellt eine schwermütige Zumutung dar ...“

      „Ein Schläfer, ein gefährlicher Vulkan ...“

      Und so weiter, und so weiter ...

      Flurnachbar Dörrmeier sagt: „Er hat den Blues, aber hat dennoch Humor. Er ist eben einfach nur traurig. Warum? Wer weiß?“

      Nun ist er in Rente und geht trotzdem morgens wie bisher, die alte Aktentasche unterm Arm, aus dem Haus. Aber jetzt taucht er später als früher im Viertel wieder auf. Er steht in Hansis Zapfhahn an der Theke und trinkt wie immer wortkarg und brummig ein Bier, das er stets sofort bezahlt. Grußlos wie er gekommen ist, geht er nach Hause, wenn er ausgetrunken hat.

      Samstags kauft er beim Discounter ein und am Sonntagnachmittag steht er während Heimspielen der 1. Fußballherren der Kreisliga in der Nordkurve als einziger Zuschauer. Bei Auswärtsspielen und spielfreien Tagen läuft er ziellos durch die Stadt.

      Dörrmeier sagt: „Er ist ein Clown; ein guter Clown. Denn nur ein trauriger Clown, kann ein guter Clown sein.“

      Das will niemand so recht akzeptieren. Doch Dörrmeier bleibt bei seiner Aussage.

      Die 1. Fußballherrenmannschaft hat ein Auswärtsspiel und Studentinnen veranstalten in der Fußgängerzone eine Befragung der Passanten. Die Leute müssen drei Bilder, einen Schwarzafrikaner, einen Gorilla und Donald Trump, spontan mit einem Begriff bezeichnen. Die Studentinnen sind mit den Nennungen Gorilla und Donald Trump einverstanden, aber dass er auf einem Bild einen Neger erkannt hat, versetzt sie in unwissenschaftliche Hysterie.

      Er setzt sich brüllend zur Wehr: „Rassismus? Ich, ein Rassist? Ich bin selbst mein ganzes weißes Leben lang ein weißer Nigger gewesen!“

      Irgendwie passend zur Szenerie spielen Straßenmusiker einen Blues.

      Blumenstiel

      Niels Blumenstiels Bruder Holger, der mir seit unserer Sitznachbarschaft auf der Gegentribüne in der Volkswagenarena bekannt ist, hat schriftliche Aufzeichnungen über Lebensumstände seines Bruders Niels gemacht und mir diese mit den Worten „mach was draus“ übergeben. Jedoch Wolfsburg dient nicht als Szenerie der brüderlichen Geschichte, die auf Art und Weise eines Polizeiprotokolls mit einer alten, mechanischen Schreibmaschine einschließlich dem hakenden Buchstaben G getippt wurde, sondern sie ereignete sich überwiegend im tiefsten Süden Niedersachsens.

      Außer aus der Kellerwohnung konnte man aus den nördlich ausgerichteten Hausfenstern bei guter Sicht den Brocken im Harz klar erkennen. Auch die Sprungschanze auf dem Wurmberg sah man dann deutlich. Das Grundstück, auf dem das Mehrfamilienhaus stand, gehörte dem Witwer Heinz Goldmann, der selbst in der linken Parterrewohnung wohnte und von seiner Altersrente und den Mieteinnahmen ganz komfortabel lebte. Sein glücklich und zufriedenes Idyll wäre perfekt gewesen, wenn da nicht manchmal Ärger durch einen Mieter gestört hätte.

      In der anderen Haushälfte, Goldmann gegenüber, wohnte die von ihrem Mann geschiedene Frau Doktor Mona Lisa Pechstein-Schwefel, im Obergeschoss links der Küchenmeister Hubert Nagel und seine Frau Rosa und rechts von ihnen residierte der ledige Polizeihauptkommissar Fred Engel.

      Die Dachgeschosswohnung wurde von der Mediengestalterin Stefanie Bogert bewohnt, die bemerkenswerterweise Wert darauf legt, als Fräulein angeredet zu werden, was ihr unter anderem auch schon einen Arbeitsplatz gekostet hatte.

      „Das Fräulein assoziiere ich mit der Freiheit, die auch eine emanzipierte Frau nur in den seltensten Fällen für sich in Anspruch nehmen kann. Ich will ganz bewusst ein nicht emanzipiertes Fräulein sein, um jedermann deutlich zu machen, dass ich auch ideologisch frei bin. Ich bin Fräulein und frei!“, argumentierte sie.

      Doch ihre eigenwillige Argumentation wurde unter anderem auch behördlicherseits angefochten. Die Systeme der Stadtverwaltung sahen das Fräulein auch im Schriftverkehr nicht mehr vor. Stefanie Bogert monierte dies und machte den Fehler, darauf hinzuweisen, dass es ihr nicht um ihre ohnehin nicht mehr vorhandene Jungfräulichkeit zu tun sei, sondern um ihre Freiheit als Fräulein. Die Verwaltung stellte daraufhin neben Paragrafen zusätzlich klar, dass sie nach den veralteten, unzeitgemäßen Vorstellungen ohne nachweisbare Jungfernschaft eher als gefallenes Mädchen als ein Fräulein gegolten hätte. Auch insofern bliebe es in jedem Fall bei der korrekten Ansprache Frau, hieß es.

      Beim Finanzamt hatte Stefanie Bogert mit ihrem Protest mehr Erfolg; der Beamte strich die Anrede Frau im Steuerbescheid und ersetzte sie handschriftlich durch Fräulein. „Hoffentlich kann er dadurch keinen Ärger bekommen“, befürchtete Fräulein Bogert nachträglich.

      Kinder wohnten in dem Haus schon lange nicht mehr. Und die Kellerwohnung gegenüber den Versorgungsräumen wurde von Niels Blumenstiel bewohnt. Die Betonung liegt auf wurde, denn Blumenstiel war verschwunden.

      Heinz Goldmann hatte als Vermieter schon einiges erlebt. Messie und Mietnomade waren ihm keine Unbekannten. Und bei allem Verständnis für krankhafte Neigungen und Nachsicht gegenüber ausgelebter krimineller Energie, fühlte Goldmann sich doch angesichts des Schadens, den solche Leute ihm zufügten, mitunter ziemlich allein gelassen.

      Niels Blumenstiel blieb Goldmann zwar mit seinem Verschwinden vier Monatsmieten schuldig, die aber nach einer verrechneten Mietskaution in Höhe von zwei Mieten einen ertragbaren Verlust darstellten. Hinzu kamen allerdings unter anderem noch Kosten durch die Räumung und Entsorgung des überschaubaren und minderwertigen Mobiliars. Blumenstiel hatte die Wohnung, nachdem er den Personal Computer, die Stereoanlage und den 58 Zoll Flachbildfernseher irgendwie nach irgendwohin sichergestellt hatte, besenrein zurückgelassen.

      „Naja, wenn der Blumenstiel auch nicht mehr der Jüngste war, war er doch eigentlich ein dummer Hanswurst“, urteilte Goldmann und ließ damit durchblicken, dass er härteren Tobak, dem ihm Mieter mitunter bereiteten,

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