Spuren von Gestern. Werner Heinemann

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Spuren von Gestern - Werner Heinemann

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in diesem Moment quere ich die Mitte des geräumigen Rathausplatzes. In weiser Voraussicht haben viele Passanten schon vor dem Wolkenbruch sich nur noch unter Überdachungen und Markisen fortbewegt. Entsprechend eng wird es dort durch die weniger weisen Zuzügler, die von ungeschützten Orten hastig ins Trockene eilen.

      Die Körpersprache, insbesondere die feindseligen Blicke der drei Damen sagen alles: Merkt der Opa nicht, dass hier für ihn kein Platz mehr ist? Doch ich quetsche mich unbeeindruckt zu ihnen, sodass sich eine der Damen empört näher an ihre Freundinnen drängelt. Obwohl ich nachrücke, bleibt der äußere Teil meiner linken Schulter dem feuchten Unwetter ausgesetzt.

      Wohl dem, der jetzt einen Schirm zur Hand hat. Diejenigen, die keinen haben, drängeln sich unter einen Regenschutz oder flüchten in die Geschäfte. Schräg gegenüber ist das Rats-Café. Die Scheiben sind beschlagen. Manch einer wird es nur wegen des Gewitters aufgesucht haben. Ein beschirmter Gast verlässt das Café. Obwohl ich dort aufgrund der Überbesetzung keine nennenswerte Steigerung der Willkommenskultur erwarte, entschließe ich mich, seinen freigemachten Platz im Café zu besetzen.

      Ich bin erstaunt, wie gut ich doch noch auf den Beinen bin. Nach ein paar Sätzen stehe ich auch schon an der Kuchentheke. Es ist tatsächlich übervoll in dem kleinen Café. Tropische Schwüle bildet ein dampfendes Kleinklima. Einige Leute schlürfen ein Heißgetränk im Stehen. Ich sehe mich um und spähe dabei akribisch jede Ecke aus, während sich um mich herum aus einem nicht versiegenden Quell meiner Klamotten kleine Seen auf dem Fußboden bilden. Bedrohlich krachend schlägt ganz in der Nähe ein Blitz ein. Noch verhaltener als vorher werden die Gespräche nach der donnernden Unterbrechung weitergeführt.

      Die beiden Serviererinnen machen auf mich einen gestressten Eindruck. Ihre Kollegin hinter der Kuchentheke fordert durch eine Durchreiche ebenfalls ziemlich gereizt sauberes Geschirr. Die Überforderung des Personals kommt mir ganz gelegen. Ich brauche hier vorerst nichts zu bestellen und stehe ganz komfortabel im Trocknen.

      Zufälle gibt´s! Ein einziger freier Sitzplatz - und ausgerechnet ich entdecke ihn! An einem Pfeiler steht ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen, von denen nur einer besetzt ist. Beim Annähern erkenne ich auch den Grund für den freien Stuhl. Am Tisch sitzt ein Hüne von einem Mann, der nicht den gepflegtesten Eindruck vermittelt.

      Während des nunmehr etwas zögerlicheren Annäherns erkenne ich, dass er eine seiner Plastiktüten unter und die andere auf dem Tisch an den Pfeiler gelehnt hat. Mit seiner rechten großen Pranke umschließt er vollständig ein etwas größeres Superexemplar von einem Kaffeepott. Ein leeres Kognakglas steht vor ihm auf dem Tisch. Er starrt vor sich hin.

      „Ist hier noch frei?“, frage ich ihn und schiebe auch schon mit meiner Linken den Stuhl zurecht.

      Mit ausdruckslosem Gesicht sieht er mich gleichgültig an. Während ich mich setzte, verharrt er ohne erkennbare Bewegung. Nur seine unbestimmbaren Augen verfolgen mich. Und immer noch schüttet es draußen aus Kübeln mit Blitz und Donner.

      Ich schiebe, um etwas mehr Platzfreiheit auf dem Tische zu erlangen, seine Plastiktüte etwas zu ihm hin. Er nimmt das wiederum nur mit seinen wertfrei beobachtenden Augen zur Kenntnis. Dann fährt aber plötzlich Leben in seinen gewaltigen Körper. Sein Kinn schiebt sich energisch nach vorn und seine Blicke dulden keinen Widerspruch.

      Er hat eine Serviererin entdeckt und fährt sie barsch auf sächsisch an: „Wo bleibt mein Kognak?“

      „Der kommt, wenn Sie dran sind“, antwortet sie schnippisch und dreht sich um, ohne von mir Notiz zu nehmen.

      Er sieht ihr nach und stellt anerkennend fest: „Aber einen schönen runden Apfelarsch hat sie ...“ Nach seinem Hinweis wird sie auch von meinen Blicken verfolgt. Die Gespräche der näheren Umgebung stocken kurzfristig.

      „Richtig schön apfelrund“, kommentiert er und beschreibt in der Luft mit seinen großen Händen zärtlich den idealen Apfel. „Oder nicht?“, fordert er eine Stellungnahme meinerseits.

      „Jau“, bestätige ich und entdecke zum ersten Mal in seinem unrasierten Gesicht eine Regung. Inmitten der grauen Stoppeln spielt ein ironisches Lächeln um seine Mundwinkel.

      Obwohl sein Alter schwer zu bestimmen ist, zähle ich ihn zu meiner Generation, weil wir Nieder- und Obersachsen uns auch zu Zeiten zweier realexistierender deutscher Staaten ähnlicher waren, als man politisch gewollt hat. Und das nicht nur wegen der Apfelärsche ...

      Er lehnt sich zurück und behauptet: „Ich habe heute mein Geld schon verdient.“

      Als er mit befriedigter Miene seine schlechten Zahnreihen präsentiert, vermute ich richtig, dass ich seine Behauptung ausführlicher von ihm erfragen soll. Ja, womit mag er sein Geld heute schon verdient haben, denke ich und frage: „Womit denn?“

      „Parkplatz blockiert“, erklärt er und lehnt sich, bevor er fortfährt, weit nach vorn. „Vor der Stadtsparkasse fragt ein gutbetuchter Wessi, ob ich die Parklücke für eine halbe Stunde für ihn freihalten kann. Er müsste dringend mal weg. Nach einer Viertelstunde kommt er wieder und drückt mir einen Schein in die Hand.“

      „Gab es denn Probleme während der Parkplatzbesetzung?“, will ich mit ehrlichem Interesse wissen.

      In seinen Mundwinkeln spielt wieder ein ironisches Lächeln. „Naja, zum Probleme machen hat es bei diesen Würstchen nicht gereicht. Die haben schlau erkannt, dass man mich so schnell nicht wegräumt.“

      Ich beobachte die Serviererin, die an einem Nachbartisch bedient, aus dem Augenwinkel und zucke zusammen, als es noch einmal kräftig donnert.

      Er schlürft vom Kaffee. Seine ungepflegten, langen Fingernägel sind allesamt schwarz gerändert. Ein dicker Furunkel über seiner rechten Augenbraue wässert, und er wischt zum wiederholten Male mit dem Handrücken darüber.

      „Der Kaffee ist kalt“, stellt er lapidar fest und urteilt dann, „aber besser als gar keiner.“

      Die Serviererin stellt den Kognak vor ihm hin und nimmt das leere Glas vom Tisch. Ohne Worte hält sie die Hand auf. Er wirft ein paar Münzen hinein.

      Bevor sie wieder abdreht, bestelle ich hastig: „Ich hätte gern zwei Kännchen Kaffee.“

      „Kännchen haben wir nicht, nur Pötte“, erklärt sie.

      „Doch wohl nicht etwa solche Suppenschüsseln?“, frage ich ungläubig und weise auf den Kaffeepott.

      „Sie brauchen sie ja nicht zu bestellen“, stellt sie klar.

      „Zwei, ohne Milch und Zucker!“, befehle ich gereizt.

      Wir sehen ihr nicht nach, sondern uns gegenseitig an. Er zeigt wieder seine desolaten Zähne. Dann trinkt er den kalten Kaffee aus.

      „Ich habe hier keinen Kredit, ich muss sofort zahlen. Wenn ich nicht beim Reinkommen mit dem Geldschein gewunken hätte, hätten sie mich sofort wieder rausgeschmissen“, behauptet er.

      Das habe ich mir so ähnlich bereits gedacht. Immer noch ungehalten über die Riesenbecher schimpfe ich: „Das ist eher was für kleine Pippis, die zusammengekauert die Schale mit beiden Händen umklammern und altklug ins Nichts hineindenken, um anschließend mit lauwarmer Plörre ihren Harndrang anzuregen.“ Ich weise auf den leeren Kaffeepott. Er grinst.

      Draußen regnet es immer noch. Schneller als erwartet bringt sie den bestellten Kaffee und will gleich weiter.

      „Ich

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