Spuren von Gestern. Werner Heinemann

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Spuren von Gestern - Werner Heinemann

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erhebt sein Kognakglas und prostet mir pathetisch zu. „Auf die deutsch-deutsche Freundschaft!“

      Ich halte ihm meinen heißen Kaffeepott zum Anstoßen entgegen. Er stößt an und kippt den Kognak hinunter. Für einen Moment versuche ich, mich an seine Stelle zu denken. Welche Gründe mögen es sein, dass er in dieser Gesellschaft offensichtlich ganz unten gelandet ist? Was mag er erlebt haben?

      Als hätte er meine Gedanken erahnt, beginnt er von sich aus zu erzählen. „Hauptmann der NVA, Mot.-Schützenregiment 22 – Thomas Müntzer – Mühlhausen“, stellt er sich vor und richtet dazu eigens seinen Oberkörper militärisch straff auf.

      Von meinem Sakko steigt sichtbar Wasserdampf auf. Ich drücke mit gekrauster Stirn mein Erstaunen aus. Mit meiner Überraschung scheint er gerechnet zu haben. Jedenfalls nötigt ihn wohl meine Mimik, sich näher zu erklären.

      „Kaum zu glauben, ist aber so“, sagt er bestimmt und fährt dann fort, „in den Fängen der Stasi war es dann aber mit der Glorie des Genossen Hauptmann schlagartig vorbei.“

      Er sieht mich prüfend an. Ich trinke zur Überbrückung vom Kaffee. Er fährt mit dem Handrücken wieder über seinen Furunkel.

      „Ein Wessi soll seinerzeit auf der Leipziger Messe Kontakt mit meiner Schwester geknüpft haben, um sie und vor allem mich auszuspähen. Sie saß für das Verbrechen gegen den realexistierenden Sozialismus ein paar Jahre in Hoheneck im Knast. Nachdem sie wieder raus war, habe ich sie noch einmal getroffen. Sie war ein ganz anderer Mensch geworden. Eher ein gehetztes, gebrochenes und scheues Tier. Kurz vor dem Mauerfall hat sie sich aufgehängt.“

      Ich kann seinen Blicken nicht standhalten und weiß, dass ich jetzt etwas sagen muss. Aber was? Er weiß sehr gut, welche Wirkung seine Rede bei mir hervorgerufen hat. Deshalb lässt er mir, ohne mich aus seinem Sichtfeld zu entlassen, ein wenig Zeit, um zu reagieren.

      „Und selbst? Konnte Ihnen die Stasi denn etwas nachweisen?“

      Er lacht höhnisch auf. Dann wieder sein ironisches Lächeln in den Mundwinkeln. Nein, dieser Mann ist kein Zyniker. Und wenn ich mich irren sollte, dann hat man ihn erst nach überlebtem Stasi-Gewahrsam zum Zyniker gemacht.

      Unaufgeregt schildert er die Folter durch die Stasi. In eine enge gemauerte Nische, die man das Wartehäuschen nannte, musste er, mit verkrümmten Gliedern hineingequetscht, stundenlang ausharren. Wie lange er hinter einer weißen Linie stehen musste, weiß er nicht mehr. Aber es waren Stunden, die man ihn im geschlossenen Wartburg in der Stadt herumkutschierte, weil er die Orientierung verlieren sollte. Er erfuhr durch einen Staatsapparat die unterschiedlichsten Verhörmethoden, Schlafentzug, Dunkelhaft, Lichtterror …

      „… aber warum erzähle ich das jemanden, der lediglich irgendwann mal etwas von der Stasi gehört hat?“, fragt er sich resigniert.

      „Ganz so ist es nicht“, wende ich ein.

      Das Café leert sich merklich. Das ist ein untrügliches Zeichen, dass der Gewitterregen aufgehört hat. Ich und die Feuchtigkeit bringen mein Sakko auch nicht mehr zum Dampfen. Dafür ist es mir ziemlich kühl geworden. Er sieht mich fragend an.

      „Ich habe das Stasi-Gefängnis in Dresden besichtigt. Den sozialistischen Waffenbruder, auch zeitweise den Genossen Putin, konnten die Stasi-Helden durch einen unterirdischen Tunnel bequem und unerkannt besuchen. Insgesamt kam mir das Folter-Verlies auch ohne Erläuterungen durch das Museumspersonal als Hort höchster Menschenverachtung vor“, erkläre ich ganz gegen meine Gewohnheit ausführlicher.

      „Menschenverachtung! Das trifft den materialistischen Kern“, bestätigt er und zeigt wieder sein ironisches Lächeln. „So sind sie bis auf den heutigen Tag, diese Menschheitsbeglücker.“

      „Aber wie sind Sie denn die Stasi wieder losgeworden?“, will ich wissen.

      Er grinst. „Ganz einfach. Eines Tages machten sie mir das Angebot, die NVA zu verlassen, über meine Stasi-Inhaftierung Stillschweigen zu wahren und mich als Werktätiger des Arbeiter- und Bauernstaats im Tagebau zu bewähren.“

      „Aber es gab doch in der DDR auch Rechtsmittel“, wende ich ein.

      Er lacht. „Natürlich, genauso sollte es sein. Und wenn die Justiz auch nicht hilft, kauft mich irgendwann der Westen frei. Nein, nein, ganz so idyllisch lief das nicht immer ab. - Ich habe unterschrieben. Ich habe alles unterschrieben und bin in die Kohle gegangen.“

      Ich habe nicht verstanden. „In was?“

      „Im Braunkohletagebau habe ich malocht und die Schnauze gehalten“, verdeutlicht er.

      Ich nippe vom mittlerweile lauwarmen Kaffee. „Sind Sie denn nicht entschädigt worden? Ich habe mal gehört, dass es so was geben soll.“

      Jetzt erhält seine Stimme einen bitteren Unterton. Er grinst nicht und sein ironisches Lächeln will ihm auch nicht gelingen.

      „Diese Leute, die noch weitaus schlauer sind als es ihre schlauen Fragebogen erahnen lassen, benötigen keine Stasi-Methoden, sie verkörpern selbst einen Inbegriff grausam beschränkter Menschlichkeit. – Ich kann lediglich beweisen, dass ich Hauptmann der NVA war. Die NVA-Mumien können sich an mich noch dunkel erinnern, aber sich nicht erklären, warum ich nach Routinegesprächen mit Vertretern anderer Staatsorganen inhaftiert wurde. Es wurde bis jetzt keine Stasiakte aufgefunden, die mir zugeordnet werden könnte. – Von diesen heutigen selbstherrlichen Arschlöchern und ihren Dienstherren will ich nichts wissen und nichts haben.“ Den letzten Satz schreit er: „Es kotzt mich an!“ Man könnte eine Stecknadel fallen hören.

      Wir schweigen. Er beruhigt sich langsam. Mir schießt es durch den Kopf: Es geht nie gut aus, wenn der Staat zum Feind seiner eigenen Bürger wird.

      Mit zaghafter Vorsicht äußere ich die Vermutung: „Ich nehme mal an, dass sich Ihr Arbeitsplatz in der Kohle mit der Wende ganz schnell in Luft aufgelöst hat.“

      „Richtig“, antwortet er und wischt über seinen Furunkel. „Dann war ich Türsteher, Hilfsmatrose und alles Mögliche. Und jetzt bin ich Penner.“

      Ich erhebe mich und stütze mich mit den Händen auf dem kleinen Tisch ab. Er nimmt wieder den Blick aus den Augenwinkeln ein.

      „Draußen vor dem Auwald gibt es einen kleinen Biergarten. Ich bin da jeden Donnerstag gegen siebzehn Uhr. Vielleicht haben Sie mal Zeit und wir trinken dort ein, zwei Bier zusammen“, lade ich ihn ein.

      Er nickt nur. Ich reiche ihm die Hand. Sie verschwindet bis über den Puls vollständig in seiner großen Pranke.

      Während ich mich der Kuchentheke nähere, weiß ich bestimmt, dass der Hauptmann der NVA nicht in den Biergarten kommen wird.

      Der abgekämpften Dame hinter der Theke zahle ich eilig einen doppelten Kognak. „Für den Herrn dort!“

      Sie lächelt, sie versteht. Ich verlasse das Café.

      Der Juden Max

      In den späten Maitagen des Jahres 1957 befuhr der Juden Max mit seinem Motorrad und den mit Kartons beladenen Beiwagen und Anhänger die einzige Straße, die in unser Dorf führte. Im forschen Tempo zog er auf der Schotterstraße eine imposante Staubwolke hinter sich her, die vom Wind über den noch jungen Feldern, Weiden und Wiesen verdünnt und in der Ferne schon vertrieben wurde.

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