Victoria. Helmut H. Schulz

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Victoria - Helmut H. Schulz

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neue Aufseherin ins Spiel, die Herzogin von Northumberland, aber viel hat sie nicht begriffen, und schon gar nicht eingegriffen. Immerhin aber war von den Vorgängen um die künftige Königin Englands so viel Nachteiliges nach außen gedrungen, dass sich die Herzogin zu einer Flucht nach vorn entschloss. Obschon eine Königin nichts wissen muss, schlug die Mutter vor, ihre Tochter Victoria auf deren geistiges Vermögen oder Unvermögen prüfen zu lassen. Freilich wurde diese Sache nachlässig bis fahrlässig betrieben. Conroy durfte die Gutachter auswählen, zwei angesehene, das heißt, staatstreue Diener der Kirche Englands, Bischöfe zumal. Die fanden heraus, dass bei der Erziehung Victorias keine Versäumnisse aufgetreten seien. Die künftige englische Königin wäre aller Sinne mächtig, könne antworten und sich benehmen, lesen und schreiben, sie wisse, dass Jesus Christus zur Rechten Gottes sitze und die Staatskirche unfehlbar sei. Sie könne auf einem Esel reiten, wenn dieser von einem Lakaien geführt werde, und vermutlich auch auf einem Pferd sitzen und ein wenig der Musik Purcells lauschen. So blieb alles beim Alten.

      Seit dem Regentschaftsgesetz lautete der Titel Victorias: Königliche Hoheit. Um sie dem Volk vorzuweisen und auf ihre künftige Rolle vorzubereiten, wurde Victoria jetzt herumgezeigt; immer aber reiste die Kensington-Bande mit. Die junge Dame fühlte sich unglücklich und tief bedrückt, was auch kein Wunder war. William, der Seemann-Billy, scheint neben einem gesunden Schuss Menschenverstand auch ein wenig menschliches Interesse an dem Kind genommen zu haben und nicht ohne Mitgefühl für sie gewesen zu sein. Er verlangte, sie öfter um sich sehen, was in Kensington geradezu Hysterie auslöste.

      Heute ist mein 16. Geburtstag. Wie furchtbar alt sich das anhört; aber ich spüre, dass, die beiden kommenden Jahre, bis ich 18 bin, fast die wichtigsten von allen sein werden. Schreibt Victoria in ihr Tagebuch, diplomatisch, listig genug. Wusste sie doch eines ganz genau, dass mit diesem Tag die Stunde ihrer Befreiung und die der Rache für Unterdrückung und Demütigung schlagen würde. Nachzuweisen wären ihr solche Hintergedanken nicht gewesen; denn der kleine Nebensatz hätte auch harmlos ausgelegt werden können.

      Um diese Zeit unternahm Stockmar einen neuerlichen Versuch, Leopold wie der Herzogin die reale Lage vor Augen zu führen, die entstehen würde, sollte die Regentin darauf bestehen, Conroy als ihren Berater mit einzubringen, falls William IV. sterben sollte. Die Familie hielt sich gerade in Ramsgate auf, als der so umsichtig wie vorsichtige Baron dem Paar zu verstehen gab, dass ihr Spiel eigentlich schon verloren war. Vergeblich, man war so fixiert auf die Vorstellung, an der Seite dieses Kindes zu regieren, dass keine Vernunft Platz greifen wollte. Da erschien denn Onkel Leopold, um ein wenig nach dem Rechten zu sehen, und um Politik zu machen, aber bei seinen Vorhaltungen kam auch nichts heraus, noch weniger allerdings bei den Gesprächen mit seiner Nichte. Die Herzogin war keinen Einsprüchen zugänglich; sie bestand auf ihren Conroy. Und Victoria war enttäuscht, hatte sie doch Hilfe von diesem Onkel gegen ihre Mutter und deren Liebhaber erhofft. Als Leopold abreiste, verlangte Victoria plötzlich, die Reise abzubrechen, und legte sich krank zu Bett. Ob sie nur simulierte, oder ob sie wirklich krank war, ist unerheblich. Allein die Mutter übersah die Folgen dieses Protestschrittes ihrer Tochter und intervenierte scharf und zwar schriftlich. Werde es ruchbar, schrieb sie, dass sie, die künftige Königin Englands, nichts aushalte, nicht mal diese kleine Reise, könne ihre Anwartschaft auf den Thron ernsthaft gefährdet sein. Ferner verlangte sie von Victoria auf jeden eigenen, unkontrollierten Schritt zu verzichten, dass sie alles mit ihr oder Conroy abzusprechen habe. Die Abschirmung wurde strenger; plötzlich misstraute die Herzogin sogar der Lehzen.

      Eine neue Figur kam ins Spiel, eine Hofdame namens Flora Hastings, von der später noch zu reden sein wird. Die Familie Hastings galt als eine treue Anhängerin der Herzogin. Die Erkrankung Victorias zu Ramsgate erwies sich auf Dauer aber doch als ein echtes Leiden, mit Rückenschmerzen, Fieber und erhöhtem Puls. Die herbeigerufenen Ärzte setzten eine Lockerung der strengen Behandlung Victorias durch; ihre Diagnosen lauteten erschreckend genug. Sie schwankten zwischen Typhus und Hals- oder Mandelentzündung. Victoria, bislang eine kleine pummlige Dicke, magerte rasch ab. Das Haar fiel ihr aus, sie blieb zu Bett und vorerst in Ramsgate unter Obhut des Arztes Dr. Clark, gegen dessen Anordnungen selbst Conroy keinen Widerspruch wagte. Immerhin unternahm er noch einen Versuch, der Kranken die Zustimmung zu entlocken, ihr später in bevorzugter Stellung dienen zu dürfen, beschwor sie, seine Bemühungen und Verdienste um sie nicht in den Wind zu schlagen, nicht undankbar zu sein. Allein sei sie schließlich ein Nichts und Niemand. Vergeblich. Victoria zählte bei ihrer Genesung und Rückkehr nach Kensington 17 Jahre; sie erholte sich nur langsam. Dr. Clark, die Behausung in Augenschein nehmend, verlangte eine Lockerung der Hausordnung, unter anderem sollten die Räume besser belüftet, das Essen abwechslungsreicher zubereitet werden.

      Inzwischen war der Ruf der Herzogin aber vollständig ruiniert. Anlässlich eines Geburtstagsbankettes attackierte King William sie in aller Öffentlichkeit. Sie hatte, die Erniedrigung vorausahnend, die Einladung ursprünglich ablehnen wollen. Allein dann hätte Victoria Gelegenheit gehabt, sich ohne ihre Aufsicht innerhalb der Hofgesellschaft frei zu bewegen, die Beziehungen zwischen Mutter und Tochter waren seit Ramsgate zum Zerreißen gespannt. Schweren Herzens trat sie also in Begleitung der Tochter die kurze Reise nach Windsor an. Nun war Sailor-Billy über die Zustände in Kensington besser unterrichtet, als die Herzogin geglaubt hatte. Er nahm die Tatsache, dass sie sich auf eigene Faust in Kensington Zimmer angeeignet hatte, ohne das Parlament oder ihn zu konsultieren, zum Anlass, wütend über die Herzogin herzufallen. Schlimmer, bei einem Toast anlässlich seines Geburtstages, sprach er verächtlich von der Person, die sich jetzt in meiner Nähe befindet, die von üblen Beratern umgeben sei, und ungeeignet, mit Würde das Amt auszufüllen, in das sie einmal versetzt werden könnte. Das heißt, falls er vor der Volljährigkeit Victorias sterbe, was allerdings längst im Bereich des wahrscheinlichen lag. Die Herzogin saß wie versteinert da, Victoria brach in Tränen aus, als William ihre Mutter weiter beschuldigte, sie, die Thronfolgerin, vom Hofe fernzuhalten, dass sie ein schnödes Spiel spiele. Dieser vernünftige Sailor-Billy ging später sogar noch einen Schritt weiter, einen höchst ungewöhnlichen Schritt, als er der jungen Dame anbot, sie von der Kensington Bande für immer zu befreien. Er wollte ihr einen kleinen eigenen Hofstaat einrichten. Sein Brief war direkt an Victoria gerichtet; diese aber wagte es nicht, ihn selbstständig zu beantworten, sondern zeigte ihn der Herzogin und deren Liebhaber. Das Angebot wurde natürlich abgelehnt. Inzwischen aber war auch der Premier Melbourne zu der Auffassung gelangt, die Zustände in Kensington seien für alle unhaltbar geworden, und bot ihr seine Hilfe an.

      Mag die Entscheidung der jungen Kronprätendentin auch unverständlich erscheinen, so zeigt diese Haltung doch einige Überlegung. Sie stand kurz vor Vollendung ihres 18. Lebensjahres am 24. Mai 1837, auf diesen Tag hatte sie sich entschieden vorbereitet. William IV. gab ihr zu Ehren einen Geburtstagsball; er blieb nicht lange, weil er sich krank fühlte. Und er war krank; sein Ende kam schnell: Am 20. Juni 1837 starb William IV., wie ein alter Löwe, schrieb ein junger Deputierter, Disraeli, der seiner Königin einmal viel Gutes erweisen sollte und der übrigen Welt manches schlechte. Noch in der Todesnacht des Königs erschienen wie es das Gesetz vorschrieb, der Erzbischof von Canterbury in Begleitung des Lordkämmerers im Kensington Palast, um die neue Königin einzuholen. Die Herzogin machte noch einen hilflosen Versuch, Zeit zu gewinnen, sie erklärte, dass die Prinzessin noch schlafe, erst geweckt, angekleidet, dass manches vorbereitet werden müsse bei einem so wichtigen Vorgang, wie die Überbringung der Krone des Königreiches. Allein beide gewichtige Herren, an ein altes, unverbrüchliches Zeremoniell gebunden, legten einen so ungeheuerlichen Hochmut in ihre Antwort, dass die Herzogin entmutigt den Weg freigab. Sie sprachen schlicht und überzeugend: Wir wollen nicht zur Kronprinzessin, wir wollen zur Königin!

      Das Spiel war aus. Einige Minuten später knieten der Lordkämmerer und der Erzbischof vor ihrer Königin, und küssten ihr die Hand. Und wem angesichts einer solchen Szene nicht die Tränen kommen, der verdient so etwas Schönes nicht. Den ganzen Tag über empfing die junge Königin ihre Minister und die Würdenträger des Reiches, in dem sie doch nichts zu sagen hatte. Am Abend aber handelte sie vollständig in eigener Sache. Sie zog aus, sie schlief die erste Nacht ihres Lebens allein in einem eigenen Zimmer. Ferner wies sie an, dass ihre Mutter, die Herzogin, künftig wie jeder Untertan um Audienz nachzusuchen habe,

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