Victoria. Helmut H. Schulz

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Victoria - Helmut H. Schulz

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kleines Haus, kleine Räume, kleine Gesellschaft. Nirgendwo Soldaten, und die gesamte Garde des Souveräns und der königlichen Familie besteht aus einem einzigen Polizisten, der auf dem Gelände umherwandert. Und also nichts zu tun hatte. Aber auch Victoria hatte nichts zu tun, denn es war eines ihrer wenigen schwangerschaftsfreien Jahre. Dass Queen Victoria sich in Schottland frei, ohne besonderen Personenschutz bewegte, nimmt nicht Wunder; wahrscheinlich eignen sich Könige und Königinnen überhaupt mehr für bäuerlich-ständische Gesellschaften, aus denen sie ja auch hervorgegangen sind, als für moderne urbane Zentren. Victoria jedenfalls wandelte in Balmoral von Hof zu Hof, schwatzte mit Bäuerinnen, wenigstens der Überlieferung nach, weil wir keine Bäuerin mehr fragen können, mit der sie sich über Kinder und Hühner unterhalten haben soll. Ansonsten aber waren die Jahre 1848 und 1849 durchaus nicht sorgenfrei. Victoria war 1849 seit rund elf Jahren Königin. Der Royal Princess Victoria, 1840, waren 1841 Sohn Bertie, 1843 die zweite Tochter Alice und 1844 der Sohn Alfred gefolgt. 1846 erblickte Tochter Helena das Licht der Welt und 1848 kam noch ein Mädchen an, Tochter Louise, als das vorerst letzte Kind. Was sonst passierte, ist noch weniger erfreulich; von 1840 bis 1849 waren auf Victoria vier Attentate verübt worden, alle ohne Resultat, was zum Gottvertrauen der Queen nicht wenig beigetragen haben mag. Abgesehen von der Seuchenkatastrophe 1849 hatte das United Kingdom die irischen Missernten mit furchtbaren Hungersnöten, übrigens in ganz Europa, zu überstehen und eine Revolution, nicht die kontinentale von 1848, sondern die der Chartisten. Hier müssen wir ein wenig das bäuerlich- freundliche Balmoral verlassen, und uns in die realen Niederungen der modernen Gesellschaft hinabbewegen.

      Die Bewegung der Chartisten zeigte, wie weit fortgeschritten die englische Industrialisierung und die mit ihr verbundene Klasse, das englische Proletariat, war. Bereits 1838 hatte einer der führenden Chartisten, Lovett, eine sogenannte People’s Charta aufgestellt, in der eine erweiterte Parlamentsreform gefordert wurde, und das freie und geheime Wahlrecht. Die Chartistenbewegung wuchs ungeheuer rasch an; rund 3.3 Millionen Engländer unterschrieben die Petition zur Gewährung der erwähnten Charta. Allein der Antrag wurde im Unterhaus mit Mehrheit abgelehnt, woran nichts Wunderbares gewesen ist, sondern was bei der Zusammensetzung des Parlamentes erwartet werden konnte. Immerhin war es Lovett, Hetherington und Harney gelungen, zum ersten Mal in der Geschichte eine rein proletarische Organisation zu schaffen, die London working men’s organisation, die auch sogleich Frauen und Kinder unter besonderen Schutz gegen Ausbeutung stellen wollte. Der Verein gab auch eine Zeitung heraus, der Northern Star brachte es auf immerhin 50 Tsd. Exemplare, täglich. Als die Bewegung zum Aufstand, zur Revolution überging, wurde der Chartismus selbstverständlich blutig unterdrückt. Nebenbei bemerkt haben die Kommunisten Marx und Engels aus dem Chartismus nicht nur Anregungen gezogen, sondern auch Lehren. Schließlich führte der niedergeschlagene Chartismus doch zu einigen Reförmchen, wie etwa 1847 die Einführung des 10-Stunden-Tages in die englische Fabrikgesetzgebung. Wer einst in Das Kapital geblickt hat, gezwungen, gelangweilt oder neugierig fasziniert, dem ist sicher aufgefallen, wie oft sich Marx der so genannten Fabrikberichte bedient hat, um seine Thesen zu stützen. Vor den Chartisten, die sie nicht verstand, war Queen Victoria zuerst auf die Insel Wight geflüchtet, nach Osborne House. Für sie handelte es sich um einen Aufstand, wie jeder andere, und das Inselreich hatte daran keinerlei Mangel.

      Greville hat bei dem erwähnten Besuch in Balmoral auch mit dem Prinzgemahl Albert verhandelt; er stellt ihm das Zeugnis aus, klug und politisch geschickt aufgetreten zu sein. Wenn wir uns damit abfinden müssen, dass die Queen ihrem Außenminister Lord Palmerston in Sachen kontinentaler Aufstände nicht folgte, so hatte das Paar doch wenigstens das Dekorum zu wahren. Infolge der Revolution 1848 in Wien, Brüssel, Berlin schickten Albert und Victoria zwar nach vorerst allen erledigten Thronen hin mitfühlende Beileidsbekundungen, aber nicht mehr. Palmerston zeigte nur ein geringes Interesse an diesen, für ihn, intern-europäischen Vorgänge. England begann von Flüchtlingen aller Art zu wimmeln; die Insel nahm sie auf, die Öffentlichkeit scherte sich wenig um diese Leute, auch um den deutschen Flüchtling, dem Kartätschenprinzen und späteren Schwiegervater Vickys.

      Von Balmoral aus brach Victoria zu einem Besuch nach Irland auf. Dort herrschte infolge andauernder Hungersnöte ein Massensterben und die dazu gehörigen Revolten, die von allen Regierungen bislang mit Gegenterror behandelt worden waren. Todesurteile wurden serienweise verhängt und vollstreckt. Innerhalb von acht Jahren verließen 2.5 Millionen Iren ihre Heimat, sie gingen überwiegend nach Amerika und bildeten eine besitzlose Unterschicht. Über die Irlandpolitik waren die Parteien zerstrittener denn je; bei Tories und Whigs bildeten sich verschiedene Gruppen, die vorwiegend Interessenpolitik betrieben. Bei dieser Gelegenheit wollen wir den Blick auf eine Besonderheit des englischen Parlamentarimus lenken, der unglaublich zählebig zu sein scheint: Die Zwei-Parteien-Struktur verhinderte, was sich bei den kontinentalen Nachahmern so rasch negativ auswirkt, dass eine dritte Partei jeweils als Hilfskraft zu Koalitionen herangezogen werden muss, sodass selbst die magerste plebiszitäre Legitimation durch den Wähler über halsbrecherische Verbindungen ins Gegenteil verkehrt werden darf. Die Franzosen haben das Kunststück ihren durch den Kanal getrennten Nachbarn nicht nachmachen können; Maupassant spricht so verächtlich wie nur möglich, vom allgemeinen Wahlrecht, das er einen Misthaufen nennt. Wer das versteht, dem eröffnet die aktuelle Nutzanwendung ganz neue Einsichten in das Wesen der parlamentarischen Demokratie, die nichts so sehr fürchtet, wie das Volk. Die Queen besaß einen politischen Zentralbegriff für den Hausgebrauch, der dieser Wirklichkeit entsprach, er lautete: Sicherheit. Mit dem englischen Gleichwort save ging Victoria auf die allerschlichteste Art und Weise um; sicher waren für sie Menschen, oder sie konnten es sein, aber auch Dinge betrachtete sie als sicher oder unsicher.

      DIE KENSINGTON BANDE

      Als sich die Queen zur Irlandreise rüstete, war ihre Stellung gefestigt, und nicht nur im Äußerlichen, im Stil und in der Tradition; die konstitutionelle Monarchie englischen Typs war tatsächlich etwas Besonderes. Im Europa des 19. Jahrhunderts hatten sich keine neuen Herrscherdynastien mehr bilden können. Vakante Throne und Kronen wurden sozusagen ausgeschrieben wie Stellen von Handlungsgehilfen. Das führte zu Rückgriffen auf fragwürdige Nebenfiguren aus den Restbeständen des Hochadels. Gegen die trübe Herkunft der englischen Königin war die ihres Gatten geradezu musterhaft, wenn auch deutsch und kleinstaatlich. Mittlerweile gibt es verschiedene Theorien über die Familienabstammung der Queen Victoria; ihre Ahnenreihe soll bis hinunter zu den Teilnehmern der Schlacht bei Hastings 1066 reichen, wo einiges, das heißt alles für das Inselreich entschieden wurde, nach anderen Quellen reichte die Abkunft Victorias sogar bis zum biblischen König David.

      Geboren wurde die Mutter unserer Victoria, Royal Princess, am 24. Mai 1819, und zwar als erste Tochter eines vierten Sohnes König Georg III., was bedeutet, dass die nun amtierende Queen eine stattliche Liste Bewerber um den Thron vor sich hatte, sämtliche royalistischen Onkel und natürlich auch noch den skandalösen Papa. Victoria hat ihn nicht gekannt. Er starb in ihrem ersten Lebensjahr. Dieser Herzog von Kent, wie sein offizieller Titel lautete, befand sich mit seiner schwangeren Frau auf einer Deutschlandtournee; und zwar in der Gegend um Heidelberg. Was das Paar dort tat, bleibe dahingestellt. Nun entfaltete der Herzog allerdings Eile, um rechtzeitig nach Hause zu kommen; denn nach englischen Recht, dem Territorialrecht, mussten kleine Engländer, Knabe oder Mädchen, auf der Insel geboren werden, wenn er oder sie sofort in die vollen Bürgerrechte eintreten wollten. Hierin unterlag selbst die Aristokratie dem Gesetz. Eventuell aber hat der Herzog auch noch Verwicklungen bei der Durchsetzung seiner privaten Ansprüche befürchtet, wenn das Kind noch in Deutschland und überdies von einer deutschstämmigen Mutter geboren worden wäre. Das Paar reiste also so schnell wie möglich mit immerhin elf Wagen rheinaufwärts, der werdende Vater betätigte sich als Kutscher seiner Frau. Die saß in einem so genannten Phaeton, in bildlicher Nähe zum Sonnengott, einem bequemen und gut gefederten Gefährt, soweit Kutschen bequem sein können. Die Herzogin befand sich bereits im achten Monat ihrer Schwangerschaft. Allein zimperlich durfte in jenen Tagen nicht mal eine Herzogin sein. Alles ging gut; von Ende März bis Mitte April 1819 hatte der Reisezug ein tüchtiges Wegstück hinter sich gebracht, die Hafenstadt Calais erreicht, und wartete nun auf eine Gelegenheit zum Übersetzen nach Dover.

      Der

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