Schilfrohr im Winde. Grazia Deledda

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Schilfrohr im Winde - Grazia Deledda

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zugunsten der Gegner entschieden wurde, umschlang nebst all dem toten Papier einen Brief, den Noemi jedes Mal, wenn sie das Körbchen aufhob, mit entsetzten Augen betrachtete, wie man vom Meeresufer aus die langsam auf den Wogen treibende Leiche eines Ertrunkenen betrachten mag.

      Es war der Brief, den Lia nach der Flucht geschrieben hatte.

       Noemi war heute wie verstrickt in lauter düstere Erinnerungen. Die Abwesenheit der Schwestern und eine heimliche Angst vor dem Alleinsein brachten sie der Vergangenheit nahe. Auch der orangerote Dämmerschein, der von bläulichen Schleiern eingehüllte Berg, der Duft des Abends, alles gemahnte sie an die Zeit vor zwanzig Jahren. Stumm und dunkel stand sie im Licht zwischen dem Fensterchen und dem Schrank, fast wie eine Botin der Vergangenheit, die aus dem alten Kirchhof heraufgekommen war, um nach dem verlassenen Haus zu sehen. Sie rückte die Körbchen und Stickereien zurecht, machte die Schranktür zu und wieder auf, und das Kreischen der Türangel hallte unheimlich lebendig durch das Haus.

      Schließlich zog sie mit einem plötzlichen Entschluss den Brief aus dem Bündel. Er war noch ganz weiß, in einem weißen Umschlag, als wäre er erst gestern geschrieben worden, als hätte noch niemand ihn gelesen.

      Noemi setzte sich auf das Bett. Doch kaum hatte sie umgeblättert und die Hand auf den Messingknauf des Bettes gelegt, als es unten klopfte: erst einmal, dann dreimal, dann immer wieder.

      Sie hob den Kopf und blickte mit erschrockenen Augen in den Hof.

      Der Postbote kann es doch nicht sein? Nein, der ist schon vorbeigegangen.

      Laut dröhnten die Schläge durch den stillen Hof. So hatte ihr Vater immer geklopft, wenn sie nicht gleich öffneten.

      Sie legte den Brief beiseite und eilte hinunter, blieb aber lauschend am Tor stehen. Ihr Herz schlug heftig, als wenn es zerspringen wollte.

      Mein Gott! Das wird doch nicht er sein.

       Schließlich fragte sie ziemlich barsch: »Wer ist draußen?«

      »Ein Freund«, antwortete eine fremde Stimme.

      Aber Noemi vermochte nicht zu öffnen, so heftig zitterten ihre Hände.

      Draußen vor dem Tor stand, auf ein Fahrrad gestützt, ein junger Mann, der fast wie ein Arbeiter aussah. Groß, bleich, in einem grünen Anzug, mit staubigen, gelben Stiefeln und einem kecken Schnurrbärtchen von gleicher Farbe wie die Stiefel. Als er Noemi erblickte, nahm er die Mütze ab, die sich in seinem dichten, golden schimmernden Haar abzeichnete, und lächelte sie mit schönen, weiß zwischen den vollen Lippen blitzenden Zähnen an.

      Sie erkannte ihn sogleich an den Augen. Großen, mandelförmigen, grünlichblauen Augen. Freilich, das waren die Augen der Pintors! Aber ihre Verwirrung wuchs, als der Fremde nun die Stufen zum Tor emporeilte und sie mit seinen sehnigen Armen umschlang.

      »Tante Esther! Ich bin's ... Und die anderen Tanten?«

      »Ich bin Noemi ...« stammelte sie befangen; aber gleich darauf faßte sie sich wieder. »Wir haben dich nicht erwartet. Esther und Ruth sind auf dem Fest ...«

      »Ach – hier ist gerade ein Fest?« sagte er und zog sein Fahrrad, auf dem ein staubiger Koffer festgeschnallt war, die Stufen herauf. »Richtig, ich erinnere mich. Das Marienfest, nicht wahr? Ah, und das ...«

       Er schien die Umgebung zu erkennen. Ja, dort war die Vorhalle, von der seine Mutter ihm so oft erzählt hatte. Er schob sein Rad darauf zu, klopfte mit einem Taschentuch flüchtig den Staub von dem Koffer und begann ihn abzuschnallen.

      Noemi dachte: Ich muss die Muhme Pottoi holen, muss zu Efix schicken ... Wie soll ich allein mit allem fertig werden? Ach, die anderen wussten sicher, dass er kam, und haben mich allein gelassen.

      Die Umarmung des fremden Mannes, der von irgendwoher kam, aus der weiten Welt, erfüllte sie mit heimlicher Angst; aber sie kannte recht wohl die Pflichten der Gastfreundschaft und durfte sie nicht vernachlässigen.

      »Tritt ein! Willst du dich waschen? Den Koffer werden wir nachher nach oben bringen. Ich werde gleich eine Frau holen, die bei uns sauber macht ... Im Augenblick bin ich ganz allein ... und ich erwartete dich wirklich nicht ...«

      Sie versuchte ihre Armut zu bemänteln; aber er schien auch von ihr zu wissen, denn ohne auf Bedienung zu warten, trug er seinen Koffer in das Zimmer hinauf, das Tante Esther schon hergerichtet hatte für ihn, kam dann unbefangen wieder herunter und ging an den Brunnen, um sich zu waschen, ganz wie der Knecht.

      Noemi folgte ihm mit einem Handtuch unterm Arm.

      »Ja, ich komme aus Terranova. Auf der Straße fährt sich's übrigens ausgezeichnet. Ja, an der Kirche bin ich wohl auch vorbeigekommen, aber ich habe nichts von dem Fest bemerkt. Ja, das Dorf ist wie ausgestorben – und sehr zerfallen, ja.«

      Er bejahte alle Fragen Noemis, sah aber ziemlich zerstreut drein.

       »Warum ich nicht geschrieben habe? Nun – weil ich mir nach Tante Esthers Brief nicht im Klaren war. Außerdem war ich krank und – und wusste nicht ... Offen gestanden, entschloss ich mich erst vorgestern; da fuhr nämlich ein Freund von mir weg. Nun, und so reiste ich gestern ab, weil das Meer so still war ...«

      Er trocknete sich ab und ging auf die Küche zu. Noemi folgte ihm.

      Esther hat ihm also geschrieben! Und so ist er denn aufgebrochen – wie zu einem Fest!

      Er setzte sich auf die alte Bank gegenüber von dem Berg, der seinen bläulichen Schatten in die Küche warf, kreuzte die langen Beine, verschränkte die langen Arme auf der Brust und strich mit den weißen Händen an ihnen lang. Noemi bemerkte, dass seine Strümpfe grün waren. Eine sonderbare Farbe für Männerstrümpfe! Und während sie Feuer anmachte, wiederholte sie im Stillen:

      Ah – Esther hat ihm also heimlich geschrieben. Soll sie sich doch jetzt kümmern um ihn!

      Und sie hatte fast Angst, sich umzudrehen und nach der in jeder Hinsicht so sonderbaren Gestalt des jungen Mannes zu schielen, der regungslos auf der Bank saß, als wollte er sich nie wieder von ihr erheben.

      Dann begann er von seiner Reise zu erzählen, von der einsamen Straße, und fragte, wie weit es eigentlich nach Nuoro sei. Dorthin – nach Nuoro wolle er demnächst fahren. Zu dem Verwalter einer großen Dampfmühle, einem Freunde seines Vaters, der ihm eine Stellung versprochen hätte.

       »Wie weit es mit dem Fahrrad nach Nuoro ist? Das kann ich dir nicht sagen. Ein paar Stunden wohl. Ich bin vor vielen Jahren einmal nach Nuoro geritten. Der Weg ist schön, ja, und die Stadt auch; die Luft ist gut, die Leute freundlich. Dort gibt es auch kein Fieber wie hier – bei uns, und ein jeder kann dort rüstig arbeiten und Geld verdienen. Alle Fremden sind dort reich geworden, während hier alles tot daniederliegt.«

      »Ja, ja, das stimmt!«

      Sie holte ein paar Eier, um einen Eierkuchen zu backen.

      »Siehst du, hier gibt es nicht einmal alle Tage Fleisch, von Wein gar nicht zu reden ... Und wie heißt dieser Mühlenverwalter? Kennst du ihn?«

      Nein, er kannte ihn nicht. Aber wenn er nach Nuoro ging, würde er gewiss eine Stellung finden.

      Noemi lächelte finster und spöttisch, während sie den Eierkuchen in der Pfanne lockerte. Eine Stellung finden, das ist leicht gesagt! Es gibt so viele Stellungsuchende!

      »Und

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