Mutterschmerz. J.P. Conrad

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Mutterschmerz - J.P. Conrad

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      »Hans?« Die Mutter fiel auf die Knie, wollte ihn an sich drücken.

      »Passen Sie auf! Er könnte innerlich verletzt sein«, mahnte Adolf.

      Die Mutter zuckte zurück. In diesem Moment bewegte sich der Junge. Er stöhnte leise. Vorsichtig richtete Adolf ihn auf. Seine Augen waren geschlossen., das Gesicht schien unversehrt. Adolf hob ihn behutsam von Frau Metzger herunter und lehnte ihn gegen die Wand. Er hatte keine Ahnung, ob es das Richtige war; mit erster Hilfe und dergleichen kannte er sich kaum aus. Aber schließlich konnte das Kind ja nicht im Schoß einer Toten liegen bleiben. Und Frau Metzger war tot, wie man jetzt deutlich sehen konnte. Adolf stutzte, als er die vermeintliche Todesursache und den Ursprung des vielen Blutes sah: Die Frau war weder erschlagen worden, noch war sie erstickt. Ihr Hals wies eine tiefe, horizontale Schnittwunde auf. Ihre Kehle war durchgeschnitten worden. Etwas klirrte und Adolf sah eine weitere Glasscherbe; sie war dem Jungen im Moment aus der Hand gefallen. Der schlug die Augen auf und sah seine Mutter an.

      »Ich habe es für dich getan, Mama!«, flüsterte er leise.

      Kapitel 1

      Ich schaute gedankenversunken aus dem Fenster im Arbeitszimmer auf die mächtige, alte Eiche in unserem Garten. Ihre goldenen und braunroten Blätter, die sich mit letzter Kraft an den Ästen hielten, wiegten sanft im Wind. Die morgendliche Sonne schob sich langsam von links ins Bild und unterstrich noch das Strahlen der herbstlichen Farbpalette.

      Ich ließ mich für einen Moment von diesem beinahe poetischen Naturschauspiel gefangen nehmen, dann wanderte mein Blick zurück auf die Schreibmaschine, die vor mir am Arbeitsplatz stand. Ein Blatt Papier war eingespannt, dessen makelloses Weiß mich bereits seit fast einer halben Stunde provozierte, endlich mit der Arbeit anzufangen. Ich würde ihm nun endlich nachgeben. Es gab jetzt ohnehin kein Zurück mehr, denn ich hatte mir fest vorgenommen, heute damit zu beginnen, die Ereignisse aus dem Jahr 1963 aufzuschreiben. Den Herbst und Winter wollte ich dazu nutzen, dieses, ohne Zweifel, erschreckendste Kapitel meines - unseres - Lebens niederzuschreiben. Lange hatte ich mich davor gefürchtet, mir alles wieder ins Gedächtnis zu rufen und die Abschriften der Akten von damals sowie auch die persönlichen Aufzeichnungen der wichtigsten Beteiligten zu öffnen. Dabei war ich nicht einmal so sehr um mein eigenes Seelenheil besorgt; das war schon viel früher aus dem Gleichgewicht geraten und hat mich seitdem in dieser Schieflage begleitet. Aber erst jetzt, mit weit über siebzig, konnte ich mich dazu aufraffen, mir alles von der Seele zu schreiben. Vielleicht als eine Art späte Therapie. Vielleicht aber auch, weil mir die Zeit davon lief. Wenn ich es nicht bald fertigbrachte, das Erlebte für die Nachwelt festzuhalten, würde es für immer verloren sein. Es wäre sicher kein großer Verlust für die Menschheit und die Erde würde sich auch ohne diese Geschichte weiter drehen. Aber ich hatte es Lieselotte, meiner Frau, versprochen. Und ich hielt meine Versprechen. Immer. Ich fühlte mit den Fingern über die Narbe auf meinem rechten Handrücken; eines der Zeugnisse von damals, das mir, neben den Erinnerungen, geblieben war.

      Es klopfte zaghaft an der Tür. Sie war nur angelehnt und Lilo schob sie etwas weiter auf. »Ich gehe jetzt einkaufen. Brauchst du noch was?«, fragte sie.

      Ich überlegte, aber außer meinem Rotwein und den Zigaretten, die ich mir bereits zurechtgestellt hatte, fiel mir nichts ein und ich verneinte. Ich stand auf, ging zu ihr und gab ihr einen Kuss.

      »Pass auf dich auf«, bat ich. Ich sagte es keineswegs einfach nur so daher, das wusste sie. Wir beide wussten es.

      »Ich wünsche dir viel Erfolg«, entgegnete Lilo und mit einem Mal klang ihre Stimme bedrückt. »Ich weiß, es wird nicht leicht.«

      Sie nahm meine Hand und begann nun ebenfalls, mit ihren Fingern über die Narbe zu streichen. Vielleicht war es aber auch nur zufällig genau diese Stelle.

      »Auf jeden Fall wird es eine Menge Arbeit.« Ich sah zum Schreibtisch, wo sich zu beiden Seiten der Schreibmaschine die Akten türmten.

      »Du musst das nicht tun, das weißt du!«, sagte Lilo eindringlich.

      »Doch, es wird Zeit. Es muss jetzt sein.«

      Sie zog eine resignierende Miene. »Hm, du alter Dickkopf. Also bis später.«

      »Bis später.« Lilo schloss die Tür und ich starrte ihr noch ein paar Sekunden hinterher. Mit einem leisen Seufzer setzte ich mich wieder vor die Maschine und schaute auf die cremefarbenen Tasten. Die Buchstaben darauf konnte ich mittlerweile ohne meine Brille kaum mehr erkennen. Aber ihre Anordnung war mir vertraut. Und das Tippen wäre weiß Gott der einfachste Teil. So atmete ich noch einmal tief durch, setzte mir die Lesehilfe auf die Nase und lockerte die Knochen meiner faltigen Hände. Kurz darauf erschienen, begleitet vom mechanischen Klappern der Typenhebel, die ersten Worte auf dem Papier.

      Kapitel 2

      Wilhelm spürte keine Schmerzen. Seit fast zwei Minuten lag er wach und spürte überhaupt nichts, außer einer erneut aufziehenden Müdigkeit. Da er sich aufgrund seiner körperlichen Schwäche kaum bewegen konnte, blieb ihm nichts anderes übrig, als an die kahle Decke über ihm zu starren, deren unregelmäßige Erhebungen er mittlerweile auswendig kannte.

      »Anna? Anna, bist du da?«, rief er, als er der Stille überdrüssig wurde. Nach einem kurzen Moment hörte er Schritte im Flur, dann wurde die Tür zu seinem Krankenzimmer, das ursprünglich einmal ihre gemeinsame kleine Wohnstube gewesen war, aufgeschoben.

      Die Schwester blickte ihn, mit leichter Verwunderung an. »Ihre Frau ist weggegangen«, sagte sie dann. »Sie holt Ihre Tochter vom Bahnhof ab.«

      Wilhelm hatte gar nicht mitbekommen, dass sie gegangen war, und auch nicht, dass sie die Pflegerin hereingelassen hatte. Aber er bekam ja so vieles nicht mehr mit, seit er krank war. Das Leben zog schnell an ihm vorbei, während sein eigenes vollkommen stillstand; wie eine Uhr, die man vergessen hatte, aufzuziehen. Das Bett war seine ganze Welt; seit über einem Jahr nun schon. Es war eine Aussätzigeninsel, mit ihm als einzigem Bewohner.

      Aber es gab einen kleinen Hoffnungsschimmer; ein Licht am Ende des Tunnels, das nicht das seiner Erlösung, sondern seiner Heilung sein konnte. Er setzte alle Zuversicht in die optimistischen Worte des Arztes, die er nach der letzten großen Untersuchung und dem Beginn einer neuen Therapie, zu ihm gesagt hatte. Vielleicht war ihm ja doch vergönnt, dieses furchtbare Bett nochmal verlassen und sich für ein paar Jahre an den Dingen erfreuen zu dürfen, die er früher getan hatte. Oder wenigsten noch für ein weiteres Jahr, um das wieder aufzuholen, was er verpasst hatte.

      Die Schmerzen hatten ihn von Beginn an begleitet. Aber jetzt, nachdem er geschlafen hatte, waren sie plötzlich fort.

      »Ich spüre nichts«, sagte er zur Schwester, die sich über ihn beugte und seine Pupillen überprüfte. »Keine Schmerzen mehr.«

      »Ein gutes Zeichen«, erwiderte sie und lächelte sanft.

      »Wieso?«

      »Das heißt, dass die Spritze gewirkt hat.« Sie tippte auf seinen Unterarm.

      Wilhelm sah sie unverständig an und drehte dann den Arm herum. Dort klebte ein kleines Pflaster, das sie jetzt abzog. Der Einstich darunter war kaum zu erkennen.

      »Sie haben mir eine Spritze gegeben?«, fragte er verwirrt. »Während ich schlief? Wieso?«

      Die Schwester antwortete nicht sofort, zog ihm stattdessen seine Decke ordentlich bis über die Brust.

      »Warum

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