Brand und Mord. Die Britannien-Saga. Sven R. Kantelhardt

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Brand und Mord. Die Britannien-Saga - Sven R. Kantelhardt

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überflutet und die See leckte an den vorgelagerten Sanddünen, welche die Sommerfluten gewöhnlich bis in den Oktober hinein von den Weiden fernhielten. Nun waren es noch über drei Stunden bis zum Hochwasser und die Flut stieg mit beängstigender Geschwindigkeit. Es würde nicht helfen nur zu bangen und zu warten, er musste das Vieh in Sicherheit bringen. Zuerst die Rinder, sie bildeten die eigentliche wirtschaftliche Grundlage des Hofes, auch wenn die Pferde ungleich wertvoller waren.

      Ordulf rief die zwei Knechte heran, die mit ihm auf der Wurt geblieben waren. Gemeinsam machten sie sich daran, die Rinder, die weit verstreut auf dem Marschland grasten, erst zusammen und dann zur Wurt zu treiben. Es ging langsamer als gedacht und Ordulf war bald in Schweiß gebadet, trotz des scharfen Westwindes.

      Sein Vater und die beiden älteren Brüder waren bereits früh am Morgen zur Außenweide aufgebrochen, um die Pferde hereinzubringen. Er als jüngster Sohn musste sich um die weniger wertvollen Tiere kümmern und so oblag ihm nun die gesamte Verantwortung. Er fluchte leise. Warum hatten sie so lange gewartet? Der neue Mond war gerade erst einen Tag alt und seit Sonnenaufgang blies ein Westwind, der langsam aber in immer wiederkehrenden Böen zum Sturm anschwoll. Und das so spät im Jahr! Was hatte Uuodens Zorn nur zu dieser Unzeit erregt?

      Inzwischen schlugen die Wellen immer wieder über die seewärts gelegenen Sanddünen und bedeckten bereits weite Teile der Marschwiesen. Die Entwässerungsgräben waren zum Überlaufen gefüllt. Nun ging es schneller, denn auch die widerspenstigen Bullen schienen zu merken, was dort von See her auf sie zukam. Instinktiv strebten sie dem hohen Land zu. Nervös schoben und stießen sie sich gegenseitig durch das Tor der Palisade, welche die kleine Wurt umschloss. Ordulf und die Knechte mussten aufpassen, nicht dazwischen zu geraten. Schließlich waren alle Tiere im Pferch. Erschöpft lehnte sich Hinnerk, der jüngste der Knechte, gegen das Gatter, aber Ordulf, der selbst gern verschnauft hätte, konnte ihm keine Ruhe gönnen.

      „Los, weiter, wir müssen die Schafe holen“, rief er und verfiel in den Laufschritt. Sie mussten sie zur Wurt herüber treiben, bevor die Gräben unpassierbar würden. Im Laufen griff er nach einem Stecken, der an der Stallwand lehnte. Wenn er noch rechtzeitig bei den Schafen ankommen wollte, würde er den brauchen, um die schon gefüllten Gräben zu überspringen. Hinter sich hörte er die müden Tritte der Knechte durch die bereits matschig aufgeweichten Weiden am Fuße der Wurt patschen. Mechanisch setzte er den Stecken in die Mitte des ersten Grabens und sprang, auf den Stab, gestützt zur anderen Seite.

      „Dort sind die ersten Schafe“, rief Hinnerk und zeigte nach vorn. Ordulf sah in die angegebene Richtung und kniff die Augen zusammen. Der junge Knecht hatte schärfere Augen als er. Doch auch er sah, dass das Wasser die blöden Schafe bereits einzukreisen begann. Anders als die Rinder trieb sie ihr Instinkt aber nicht dazu, höheres Land aufzusuchen. Sie verharrten an Ort und Stelle und betrachteten mit ängstlichem Blöken das Wasser, welches sich ihnen näherte. Ordulf fluchte leise und glitt fast in einer Pfütze aus, deren Wasser tiefer war als gedacht. Er würde nie verstehen, wieso Thunær seinen Wagen ausgerechnet von Böcken ziehen ließ. Die Tiere waren derartig dämlich, dass sie bei jeder Flut ersöffen, wenn man sie nicht rettete. Und damit gab sich ein so mächtiger Gott ab!

      „Lass nach, das bringt nichts“, schnauzte er Hinnerk an, der versuchte, das erstbeste Mutterschaf in Richtung Wurt zu zerren. „Wir müssen den Leithammel suchen!“

      Aber wo steckte das blöde Vieh? Ordulf sah zwischen den verstreuten, ängstlich blökenden Tieren umher, konnte den Hammel aber nirgends entdecken.

      „Achtung!“, riss ihn Hinnerks Schrei aus seiner Suche. Er schaute sich fragend um, da traf ihn mit unglaublicher Wucht ein Schlag in den verlängerten Rücken. Er verlor das Gleichgewicht und die Welt um ihn verwandelte sich in eisige, stechende Kälte.

      Erst als Ordulf versuchte, nach Luft zu schnappen, erkannte er, dass er sich unter Wasser befand. Über sich sah er Tageslicht und den Wasserspiegel des Grabens, den er gerade noch übersprungen hatte. Benommen von dem Schlag und der Kälte richtete sich Ordulf auf und kam an die Oberfläche. Am Ufer, an dem er sich gerade selbst noch befunden hatte, stand nun der Leitwidder Hinnerk. Der gleichnamige Knecht hatte sich mit einem Sprung über den Graben in Sicherheit gebracht. Schnaubend sah der Widder ihn aus blutunterlaufenen Augen an. Ordulf entschied, dass der junge Knecht derzeit die geringere Bedrohung darstellte und ließ sich von ihm an das gegenseitige Ufer helfen. Er biss sich auf die Lippen. Darum also liebte Thunær diese Mistviecher. Er meinte, ein dröhnendes Lachen über den Wolken zu hören, aber vielleicht rauschte ihm auch nur das Blut in den Ohren oder es war ein heranziehendes Gewitter. Auch seine Brüder würden grölen vor Lachen. Langsam wich die eisige Kälte in seinen Gliedern einer kochenden Wut. Wenn er Hinnerk – und zwar allen beiden – nun nicht zeigte, wer der Herr auf der Weide war, könnte er es nie wieder wagen, sie zu betreten. Und dasselbe galt für den alten Thankmar, dem zweiten der Knechte, denn auch seine Lippen zuckten verräterisch.

      Ordulf griff den Stab und sprang entschlossen über den Graben. Hinnerk, der Widder, wich erstaunt einen Schritt zurück, aber da packte Ordulf ihn schon bei den gewundenen Hörnern. Der Zorn verlieh seinen kalten Muskeln die nötige Kraft. Er riss den Widder in die Höhe und schmetterte ihn mit aller Wucht auf den Boden. Dann trat er dem Tier wütend in die Flanke, nochmal und noch einmal. Der Widder schrie erschrocken auf und wand sich, aber Ordulf ließ nicht locker, auch als sein Zorn schließlich verraucht war.

      „Jetzt kommt schon her und helft mir!“, schrie er die Knechte an.

      Endlich war Thankmar heran und schlang einen Strick um den Hals des Widders.

      „Gib her“, raunzte Ordulf und riss ihm das Ende des Seils aus der Hand. Er zerrte den Widder an der kurzen Leine auf die kleine Landbrücke zu, die noch zwischen ihnen und der Wurt aus dem Wasser ragte. Glücklicherweise war Hinnerk nicht so widerspenstig wie sonst. Mit etwas Glück würde die gerade erfahrene Lektion sogar noch anhalten bis sie die Wurt erreichten.

      Nun wieder hoffnungsvoll blökend, folgte die Schafherde ihrem Leitwidder. Die beiden Knechte machten sich derweil daran, verstreute Schafe, die schon durch Wasserlachen abgeschnitten waren und sich alleine nicht trauten durch die Pfützen zu laufen, zur Herde zu treiben.

      Als Ordulf und die beiden Knechte schließlich mit einem Großteil der Schafe die Wurt erreichten, waren der Vater und die Brüder mit den Pferden bereits zurückgekehrt. Die Flut stieg weiter. Beängstigend schnell, aber um die Wurt selbst fürchtete Ordulf so lange nach der Tag- und Nachtgleiche nun doch nicht mehr. Trotzdem war es für alle Wurtmannen – so nannten sich die Bewohner der Marsch, die auf ihren hoch aufgeworfenen Hügeln dem Ansturm der See trotzten – ein besorgniserregender Anblick zu dieser Jahreszeit, die gesamte Marsch von Wasser bedeckt zu sehen.

      Ordulfs Blick suchte im Süden die große Wurt von Fahrstedt. Mit zusammengekniffenen Augen konnte er sie gerade noch erkennen. Sie ragte hoch wie ein stolzes Schiff aus der Wasserwüste. Dort saßen Wolderich und seine Sippe. Ihre eigene Wurt, welche Swæn, Ordulfs Großvater, mit eigenen Händen aufgerichtet hatte, war deutlich kleiner und trug nur einen einzigen Hof. Aber Ordulf vermutete, dass sie es mit dem ihrer Familie eigenen Jähzorn ohnehin nicht lange mit Nachbarn auf so engem Raum aushalten würden.

      Pert Acaiseid, Orcaden, November 441

      Álainn

      Der Wind wirbelte in ihrem Haar und genauso wirbelte und peitschte er die grauen Wogen auf den Fels am Fuße der Festung. Die See gischtete über die Klippen bis zu ihr hinauf. Sie schmeckte Salz auf den Lippen. Ebenso salzig brannten die Tränen in ihren Augen, doch sie riss sich zusammen und klammerte sich am Rand der felsigen Klippe fest, damit die wilde Kraft des Windes sie nicht hinab warf. Und doch war solche ungezügelte Stärke das Einzige, was Halt bot. Das war die wichtigste Lektion, die Álainn in ihrem jungen Leben gelernt hatte. In den letzten sechs Monaten war sie eine Piktin geworden, zumindest dem äußeren Anschein nach. Eine

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