Namibia - Von der Weite der Landschaft zur Enge des Denkens. Helmut Lauschke

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Wolke scharfer Schweißgerüchen stand. Dieser Pfad war gesäumt von barfüßigen Müttern mit den Gesichtern der Hilf- und Trostlosigkeit, die abgemagerte Kinder mit großen Augen auf den Armen hielten, wenn sie nicht, weil völlig erschöpft, mit einem Tuch hochgebunden auf den Rücken der Frauen und anderer kindlicher Begleitpersonen wie der nur wenige Jahre älteren Schwestern schliefen. Der Pfad war auch gesäumt von alten Männern und Frauen in dürftiger, oft zerrissener Körperbedeckung. Ihre Gesichter schienen bereits zu erkennen, was dem diesseitigen Dasein abgekehrt war; manche von ihnen trugen hochgradige Zeichen der Abmagerung und Entkräftung mit den spindeldürren Armen und Beinen, einer gespensterhaften Fleischausdünnung bis aufs Skelett.

      Es gab Kinder in diesen Trauben, die weinten; andere schrien vor Angst oder Schmerz, wieder andere lagen mit ihren Mündern an den schlaff herabhängenden Brüsten ihrer von Zweifel und Armut gezeichneten Mütter. Daneben gab es Männer und Frauen, die ihre Hände oder Füße bei der Feldarbeit verletzt, von einem Skorpion oder einem tollwütigen Hund gebissen wurden, oder jene, die durch unfreundliche Akte anderer Menschen an den Augen oder sonst wo verletzt waren. Der Gang durch die dichten Menschentrauben mit den Schweißgerüchen und Gesichtern, in denen das Leid stand, war ein erstes erschreckendes Erlebnis für Dr. Ferdinand. Es war ein erster Gang durch eine ihm vom Ausmaß her unbekannte menschliche Armut und Not hindurch bis zu der reichen Erkenntnis, die später folgen sollte, wie vielseitig und prägend der Alltag an dem war, was dem Leben alles fehlte, und wie der Mangel über Generationen ihr Leben ausgeformt hatte. Der Pfad zwischen den wartenden Menschen hindurch wurde noch enger, je mehr sie sich der Stelle näherten, auf die Dr. Witthuhn mit seiner hochgestreckten linken Hand zeigte und die der Operationsraum zur ambulanten Wundversorgung sein sollte. Auch hier, wie schon am Eingang zum Hospital, waren die Türflügel von den harten Schlägen vergangener Jahre zerschunden; der linke Flügel war aus den Angeln gerissen, und das Glas im rechten Türflügel war zerschlagen. Spitz ragten messerscharfe Scherben aus dem Glasrahmen heraus.

      Der erste flüchtige Blick erkannte einen völlig veralteten Operationstisch, vom Typ Heidelberg, wie ihn sein Vater schon hatte, der deutliche Rostflecken aufwies, und an dessen Halterungen der Nickelüberzug zum großen Teil abgeblättert war, so dass der rostgebräunte Stahl zum Vorschein kam. Ein junger Arzt in der Uniform der südafrikanischen Armee machte sich an ihm zu schaffen, um eine Handverletzung eines auf dem Tisch liegenden jungen Mannes, dessen Gesicht vom Schmerz verzerrt war, zu versorgen. Da eine an der Wand befestigte Klimaanlage nicht arbeitete, grenzte der Hitzegrad ans Unerträgliche. Von den sieben Lichtkreisen der schief über dem Tisch hängenden Operationslampe waren drei erleuchtet. Es wunderte nicht, dass dem jungen Militärarzt der Schweiß im Strahl von der Stirn tropfte. Ihm zur Seite stand eine junge Schwester mit dem Gesicht einer schwarzen Madonna, die ihm behende Skalpell, Schere und Pinzette, welche teilweise von einer Rostpatina überzogen waren, von einem dürftig bestückten Instrumententisch reichte, dessen Rollen jede Bewegung quietschend bremsten. Eine ältere Frau mit einem Mädchen auf den Schenkeln saß auf einem gebrechlichen Stuhl mit wackelnder Lehne auch in diesem Raum. Es konnte eine Pflegeschülerin gewesen sein, die sich fast unbeholfen damit abmühte, dem Mädchen einen Fußverband anzulegen. Die Enge des Raumes, in die sich die wartende Menschentraube langsam vorschob, und die atemnehmende Hitze mit der raumfüllenden Palette penetranter Schweißgerüche nahmen zu, so dass Dr. Witthuhn seinem Kollegen vorschlug, den Rückweg anzutreten, um ihn durch die chirurgischen Stationen zu führen. “Kommen Sie, ich zeige Ihnen, wo unsere Patienten liegen.” Der Rückweg war noch beschwerlicher, da die Menschen in der Hoffnung auf eine baldige Behandlung noch enger gestaut standen. Denn mit Sonnenuntergang trat das Ausgehverbot in Kraft, das bedeutete, dass sie den Heimweg nicht mehr antreten konnten. Nachdem sie die dichte Menschentraube durchschritten hatten, als hätten sie sich einen Pfad durch den dichten Dschungel zu schlagen, waren sie draußen auf einem von Rissen durchsetzten betonierten Gang gelangt, der durch eine Überdachung von der erbarmungslosen Strahlung der sich neigenden Sonne auf halber Breite verschont war. Dr. Witthuhn, breitschultrig mit hervortretendem Bauch, wischte sich den Schweiß von der Stirn. “Gleich werden Sie sich selbst ein Bild machen können von dem, was unsere Ärzte und Schwestern leisten”, sagte er mit rückwärts gewandtem Kopf dem ihm folgenden Kollegen, während sie Patienten mit Kopf- und Armverbänden und andere passierten, die sich an selbstgefertigten Krücken unbeholfen vorwärts bewegten. .

      “Jetzt folgen wir der blauen Linie.” Dr. Witthuhn zeigte auf einen vom Wetter verblichenen, ins irgendwo hinziehenden, blau gewesenen Strich, der neben nicht weniger blassen roten, grünen und gelben Strichen links auf dem von Rissen durchsetzten Betonboden verlief. “Diese Striche sind Wegweiser. Sie führen zu den verschiedenen Stationen und erleichtern den Patienten und ihren Angehörigen das Finden”, fügte er hinzu. Es war also der blaue Strich, den Dr. Ferdinand ins Auge nahm, als er Patienten, die sich kaum auf den eigenen Beinen halten konnten, Müttern mit abgemagerten Kindern auf den Armen oder auf den Rücken gebunden, alten Menschen mit zerfalteten Gesichtern und erblindeten Augen, die am Stock von einem vorangehenden Kind geführt wurden, den Weg frei machte. Sie folgten der langgezogenen, blauen Markierung mit den nach rechts und links abgehenden Winkeln und kamen schließlich an einem Flachbau mit einem Blechdach an, dessen Mauern Zeichen der fortgeschrittenen Verwitterung aufwiesen. Die sandbraun gestrichene Tür am Eingang war verfleckt und ramponiert. In diesem Moment wurde ein frisch Operierter mit einem dicken Verband an seinem kurz geratenen, linken Oberschenkelstumpf auf einer Trage hereingefahren, die statt auf vier nur auf drei Rollen rollte. Es war ein Jugendlicher, der noch nicht zu vollem Bewusstsein zurückgekehrt war, als zwei Krankenpfleger ihn auf der wackligen Trage in den ersten Raum fuhren und ihn ins Bett herüberhoben. In diesem Raum waren vier Betten links und vier Betten rechts. Alle waren von Männern belegt, die in den letzten Tagen operiert worden sind. Fünf von ihnen wurden wegen Verletzungen an den Armen oder Beinen chirurgisch versorgt.

      “Es vergeht kein Tag, an dem nicht Verletzte gebracht werden”, bemerkte Dr. Witthuhn, “viele von ihnen kommen mit schweren Verletzungen, nachdem sie auf eine Personenmine getreten sind und die Explosion überlebt haben oder angeschossen wurden.” Die Männersaal verströmte den ätzenden Geruch von Schweiß und Urin und war hoffnungslos überfüllt. Was Dr. Ferdinand das erste Mal sah, war die Situation, dass außer den acht Patienten in den Betten noch weitere Patienten mit frischen Verbänden an einer oder beiden Händen auf Decken zwischen den Betten auf dem Boden lagen. Zwei ältere Männer waren an den Leisten operiert. Der mit vierunddreißig Betten bestückte Männersaal wurde von zwei Schwestern, einem Krankenpfleger und einer Krankenpflegeschülerin im zweiten Ausbildungsjahr pflegerisch betreut. Trotz der unverkennbaren Überlastung begrüßten sie Dr. Ferdinand mit ausnehmender Höflichkeit, die an Herzlichkeit reichte, und gaben ihm die Hand. In Afrikaans, der offiziellen Landessprache, fragten sie ihn, ob er nicht am Hospital arbeiten wolle, da die wenigen Ärzte überlastet seien, und ein Chirurg ganz fehle. “Eine Entscheidung wird bald fallen”, erwiderte er vorausahnend, dass da eine Herausforderung auf ihn zukommt, die er noch nicht hatte, wozu die völlig ungewohnten, klimatischen Bedingungen kamen, unter denen ein solches Arbeitspensum zu bewältigen war. Da erschienen ihm die Stunden des Tages kaum ausreichend. “Kommen Sie”, sagte Dr. Witthuhn, “es ist alles nicht so schlimm. Wir werden die Dinge in Ruhe in meinem Dienstzimmer besprechen.”

      Das Dienstzimmer war auffallend geräumig, mit einem Sammelsurium unterschiedlicher Stühle, einem riesigen Schreibtisch, alten Regalen und einer großen Wandtafel im Rücken des leicht erhöhten, auf fünf Rollen beweglichen Schreibtischstuhls bestückt und durch eine arbeitende Klimaanlage auf eine angenehme Temperatur gebracht. Die beiden Kollegen setzten sich gegenüber, Dr. Ferdinand auf einen harten Stuhl, während sich Dr. Witthuhn mit dem Stöhnen der Erleichterung in den gepolsterten Stuhl mit erhöhter Rückenlehne und den abgegriffenen Armlehnen hinter dem Schreibtisch einsinken ließ. Der Polsterbezug war an der Rückenlehne eingerissen, und der vergilbte und durchlöcherte Schaumgummi trat hervor. Dr. Witthuhn schaute auf seine Armbanduhr, rief die Sekretärin und bestellte Tee mit Zucker und Milch. Währenddessen fragte er Dr. Ferdinand, ob er sich einen ersten Eindruck vom Hospital machen konnte. Dessen Blicke fuhren die Fensterfront ab, fixierten die schütter behängten Äste eines alten Baumes mit einigen herausragenden, dicken Aststümpfen,

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