Namibia - Von der Weite der Landschaft zur Enge des Denkens. Helmut Lauschke
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Als die Flammen mit dem Züngeln aufhörten, verteilte Dr. Witthuhn die Glutstücke in der Wanne, wobei kleinere Stücke durch die Wannenlöcher glühend auf den Boden fielen, so dass man mit den Füßen aufpassen musste. Er legte den alten Rost mit den weit auseinander liegenden Quer- und Längsstäben auf die Wanne und die Schweinekoteletts, die Filetstücke vom Rind und die „Boerewors“-Kringel auf den Rost. Ein köstlicher Bratenduft begann aufzusteigen, dass einem das Wasser im Munde zusammenlief. Steaks und „Boerewors“ schmorten auf dem Grill, Dr. Witthuhn öffnete die nächsten Dumpies, man prostete sich zu, als plötzlich schwere Kanonenschüsse losdonnerten, Geschosse über Haus und Grill zischten, in der Ferne einschlugen und fürchterlich detonierten. Dr. Ferdinand erschrak dermaßen, dass ihm die Flasche aus der Hand rutschte und das auslaufende Bier seine Hose bekleckerte. Er erinnerte sich an die Fliegernächte seiner Kindheit in Köln, als die Bomben vom Nachthimmel runterzischten und in die Häuser krachten und sein Vater ihn, als er acht Jahre alt war, aufforderte, ihm mit einem Eimer Sand zu folgen, um die Brandbombe mit dem roten Streifen um den Zylinder gemeinsam zu löschen, die in die Bodenetage der Nippeser Zweigstelle der Kölner Stadtsparkasse eingeschlagen war. „So etwas kommt hier häufiger vor“, sagte Dr. Witthuhn, als er ihm eine neue Flasche öffnete, „besonders dann, wenn die Brigade ausgewechselt wird.“ Dickbereifte Militärfahrzeuge, die gefürchteten „Casspirs“ mit MGs über dem Fahrerhaus und aufsitzenden Mannschaften rasten über die Straße und wirbelten riesige Sandwolken auf, die über Haus und Grillplatz zogen und erst dahinter niedergingen. „Jetzt trinken wir erst einmal, das ist alles nicht so schlimm. Prosit der Geselligkeit!“ Nach diesen aufmunternden Worten leerte er seine Flasche, legte Kartoffeln auf den Rost zwischen die dampfenden Steaks und die „Boerewors“ und drehte und verschob mit der verrußten, fettverschmierten Zange die Dinge auf dem Rost wie ein Küchenmeister. Beide tranken auf eine gute Zusammenarbeit und eine bessere Zukunft und bestätigten einander, dass es nichts Besseres gegen den Durst gibt als ein gut gekühltes Bier. Für Dr. Ferdinand war der Satz, dass es sich hier im Norden auch unter den Granaten leben lässt, mit Zweckoptimismus gekoppelt, wobei die Kopplung für jene Menschen zutraf, denen es schon dreckig genug erging. Aus dem „guten Leben im Norden“ konnte er seine ersten Vermutungen ziehen, in welcher Lebenssituation Dr. Witthuhn steckte.
Der Dorfname „Oshakati“, ein Bantuwort aus der Sprache der Ovambos, bedeutete so viel wie Stadt der Mitte. Vieles, was mit diesem Namen verbunden war, sollte erst noch erlebt werden. Doch zeigte sich mit dem Lauf der Jahre, dass mit diesem Namen eine Schlüsselfunktion verbunden war. Der Bart dieses Schlüssels wurde zunächst von weißen Händen gedreht, erst langsam und dann schneller, bis die Türen fest verschlossen waren, dass für die Menschen der schwarzen Haut, die ums nackte Leben kämpften, nichts mehr ging. Jahre später drehten schwarze Hände den Bart des Schlüssels andersrum, um die Tür aufzumachen, die zum Leben nötig ist. Doch das mit dem völligen Rumdrehen des Schlüssels mit dem „Upsidedown-Syndrom“, dem Oben-unten-Prinzip, stand noch vor der Drehung der Münze. Das Ringen um die Schlüsseldrehung, um die offene Tür, war in den Gesichtern der Menschen zu lesen. So sollte Oshakati, das in der Kriegszone lag, eine zentrale Bedeutung zukommen, wenn es um das Oben-unten-Prinzip und seine Umkehrung ging, die direkt mit dem Freiheitskampf und der UN-Resolution 435 in Beziehung stand. Noch war es das Phänomen der verschlossenen Tür, die nur für die Weißen offen, für die schwarze Bevölkerung dagegen nicht passierbar war. Die Weißen hatten die Macht, sie hielten den Machtschlüssel fest in ihren Händen und bestimmten das Leben der Menschen, auch wenn sie es nicht mehr ertragen konnten. Es war eine politische Realität, die mit der Vernunft nichts am Hut hatte. Wer den Schlüssel hat, der hat die Macht. Mit guter Erziehung oder herausragender Bildung hatten diese Realitäten nichts zu tun, im Gegenteil, sie schlugen der Bildung mit dem menschlichen Antlitz mitten ins Gesicht.
„Sehen Sie, da gibt es noch einige Formalitäten zu erledigen, ehe Sie mit der Arbeit beginnen können“, setzte Dr. Witthuhn beim genüsslichen Verzehren seines Steaks an, „wir brauchen die Arbeitsgenehmigung vom ,Medical & Dental Council’ in Pretoria. Ich werde gleich Montag früh dort anrufen. Doch brauche ich dafür noch ein Schreiben des ärztlichen Direktors, aus dem hervorgeht, dass Sie hier dringend gebraucht werden.“ Was Dr. Witthuhn nicht sagte, war, dass der deutsche Facharzt in Pretoria im Gegensatz zum britischen nicht anerkannt wurde, und dass die Arbeitserlaubnis, als „Practitioner“ zu arbeiten, sich ausschließlich auf das Oshakati Hospital beschränkte. Dr. Ferdinand sah die ersten beruflichen Wolken aufziehen und spürte Bitternis über die ungleiche Behandlung von Ärzten, die hier so dringend gebraucht wurden. Dr. Witthuhn wusste, dass der neue Kollege ein hoch qualifizierter Chirurg mit den Teilgebieten Traumatologie und Plastische Chirurgie war. Zudem hatte Dr. Ferdinand eine stattliche Anzahl von Publikationen in deutschen und internationalen Journalen aufzuweisen. Doch die deutsche Expertise war hier wie in Pretoria, wenn es um Formalitäten ging, nicht erwünscht. Dr. Eisenstein, „Colonel, Direkt or of Health and Welfare“, ließ sein kurz gefasstes Schreiben über die Dringlichkeit eines Chirurgen am Oshakati Hospital erst am Dienstagmorgen Dr. Witthuhn überreichen, der es zusammen mit den deutschen Zertifikaten und einem persönlichen Anschreiben noch am selben Tag per Fax an das Council absandte. Den Empfang dieser Papiere ließ er sich telefonisch durch eine Frau van Vuuren bestätigen. Jeden Morgen war um 7.30 Uhr eine Besprechung im Arbeitszimmer des Superintendenten angesetzt, an der die im Hospital arbeitenden Ärzte, die Matronen und je ein Vertreter der Pharmazie und der sozialen Dienste teilnahmen. Von den elf Ärzten waren sieben in der Uniform der südafrikanischen Streitmacht; die restlichen vier waren drei Ovambos, zwei Kolleginnen und ein Kollege, von denen zwei in Durban und eine an der UCT (University of Cape Town) studiert und den „Bachelor of Science“