Achteinhalb Wochen. Ute Christoph
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Außerdem musste ich diesem Mann doch zugutehalten, dass er sich in den spirituellen Ritualen wohl sehr schlimmen Dingen gestellt hatte, die ihm widerfahren waren.
10:17 Uhr
Ich: Guten Morgen, lieber Koray. Du schreibst außergewöhnlich …
10:48 Uhr
Koray: … manche nennen es Süßholzraspeln, andere wiederum schnulzig, doch mich verstehen nur Frauen, die mit dem Herzen sehen und mit den Augen sprechen können!!!
Nun: So ganz Unrecht hatten die anderen – wer auch immer das sein mochte – da nicht. Er raspelte Süßholz und schrieb schnulzig. Aber mit „dem Herzen sehen und mit den Augen sprechen können“, das wiederum hatte was. Immerhin war „Der kleine Prinz“ eins meiner Lieblingsbücher.
16:25 Uhr
Ich: Es kommt drauf an, wer so etwas schreibt. Sicherlich gibt es Männer, die schnulzig sind oder Süßholzraspeln, um eine Frau, wie man so schön sagt, besoffen zu quatschen. Aber wenn ich mir deine ersten SMS anschaue, scheinst du anders zu sein. – Wie fühlst du dich, wieder zurück in Deutschland??? Viele Grüße!
17:02 Uhr
Koray: Wie schön von dir, liebe Lisa. Ich war voller Zweifel, ob die schamanischen Rituale Balsam für meine Seele sein könnten … nun bin ich voller Hoffnung … es wird ein Prozess, ein Weg, den ich gehen muss … Omnia tempus habent! Bin gestern Abend zurückgekommen … Ich entwende demnächst bestimmt wieder eine Rose … pssst, bleibt unter uns!!! Grüße voller Poesie, Koray
Meine bayerischen Freunde waren am Wochenende als Aussteller auf einer Trachtenmesse in Düsseldorf zu Gast. Sie hatten strahlenden Sonnenschein mitgebracht. Wir verbrachten einen perfekten Abend im Biergarten ihres Hotels bei Pasta, Pizza und einer Flasche Wein. Ich erzählte Antje und Thomas von diesen zufällig gesendeten SMS und der anschließenden täglichen und intensiven Korrespondenz mit Koray. Ich merkte, welche Begeisterung in meiner Stimme lag, auch wenn ich selbst nicht wusste, was der Grund dafür war.
„Na“, machte Thomas warnend, „sei vorsichtig. Wer weiß, was das für einer ist. Und woher hat der überhaupt deine Nummer?“
Bevor ich antworten konnte, winkte Antje ab. „Ah geh, Thomas, du und deine Skepsis. Lass Lisa doch. Was soll denn bei der Schreiberei schon passieren?“
Ich war geneigt, auf Antje zu hören.
23:49 Uhr
Ich: Bin gerade von einem schönen Abend mit meinen bayerischen Freunden aus Düsseldorf zurück. Die zwei stellen dort auf einer Messe aus. – Ja, du hast recht. Alles braucht seine Zeit, insbesondere Heilung und Entwicklung. Wer hat dich bloß so verletzt?! – Wie kam es eigentlich dazu, dass du aus Versehen die erste SMS an mich geschickt hast? Träum süß.
24. Juli 2016
01:15 Uhr
Koray: Ich habe beim Speichern meiner Zielnummer einen Fehler gemacht und bin so zufällig bei dir gelandet … Ich möchte dein Gemüt nicht mit meinen Wehwechen trüben, zumal tausend SMS nicht reichen würden, alles zu erklären … die Kerze flackert … ich sehe in meinem Glas Rotwein meine braunen Augen funkeln … sehe nämlich, wie ich dir höflich die Rose schenke … gib ruhig zu, dass du ein Engel bist … iyi geceler, tatli rüyalar!!!
11:17 Uhr
Ich: Bei Latein kann ich ja noch mithalten, aber bei Türkisch muss ich passen. – Als spiritueller Mensch weißt du doch: Es gibt keine Zufälle. Ich mag es, mit dir zu schreiben.
12:52 Uhr
Koray: Ja, man sagt, Zufälle sind wie reife Früchte, deren Zeit gekommen ist, vom Baum zu fallen! … ich biete erneut mein vorletztes Hemd an … für die Auskunft, wie dein Haar ist. Farbe? Form? … Ich mag an einer Frau am meisten die duftend gepflegten Haare – typisch Mann :-)
Zufälle sind wie reife Früchte, deren Zeit gekommen ist, vom Baum zu fallen. Das gefiel mir! Aber wie meine Haare aussahen, hatte ihn nicht zu interessieren und was er an einer Frau am meisten mochte, interessierte mich nicht. Aber irgendwie konnte ich ihm nicht vor den Kopf stoßen. Jetzt, da es ihm gerade wieder besser ging? Oder um es mit Antje zu halten: Was sollte denn bei der Schreiberei schon passieren? Es schadete doch nichts, ihm ein bisschen Aufmerksamkeit zu schenken. Ihm zu schreiben, wie mein Kopf aussah und mal nach ihm zu fragen?
15:45 Uhr
Ich: Ein schöner Spruch. … Meine Haare sind blond und inzwischen relativ lang. Wärst du bei WhatsApp, könntest du ein Foto von mir sehen. Wie schaust du denn aus? Außer den braunen Augen, die ich vermutet hatte, weiß ich ja auch nichts von dir.
16:02 Uhr
Koray: DANKE! Oh jee … bin typisch südländisch braun, Oberlippenbart, meine anatomischen Maße sind normal (1,80 m, 90 kg) … bin kein Frauentyp … und tröste mich damit, dass manche Frauen Männer ohne Haare sexy finden … ja, ich lächle gerade :-) … mein Handy ist aus dem Jahr 1873 … da ist nichts mit WhatsApp … aber Weihnachten kommt mit modernem Handy & Co.
Kein Frauentyp. Okay. Bei einem Meter und achtzig war er mit neunzig Kilogramm in der Tat etwas übergewichtig.
Keine Haare. Na ja, das sah bei den meisten Männern ja ziemlich attraktiv aus. Aber der typisch türkische Oberlippenbart – oh, Mann.
Wenn es ihm gut ging, schien Koray über eine ordentliche Portion Humor zu verfügen. Ein spiritueller, romantischer Mann mit Humor. Das hatte was. Und ein Türke, der unser christliches Weihnachtsfest feierte, war auch eine Rarität.
18:20 Uhr
Ich: Jetzt musste ich auch lachen. Unsere ersten weltlichen SMS. Warum der klassische Oberlippenbart?
18:50 Uhr
Koray: Na ja, ich weiß nicht, wie ich es schreiben soll … mein Oberlippenbart hat in meiner erotischen Welt einen „ganz besonderen“ Platz!!!
Upps! So genau hatte ich das gar nicht wissen wollen. Auf der anderen Seite war ich jetzt natürlich neugierig – hatten alle Türken aus erotischen Gründen diesen Schnäuzer? Das wäre etwas, das wir Deutschen garantiert nicht vermuteten?
19:38 Uhr
Ich: Oh!!! Hast du mir jetzt gerade das Geheimnis der türkischen Männer verraten?
20:17 Uhr
Koray: … es ist nur ein Geheimnis zwischen meinem Bart und mir! … Ich begehre Frauen, die mein Blut zum Kochen bringen können!
Nach dieser SMS hatte ich wohl mehr als jeweils ein Fragezeichen in beiden Augen. Was sollte ich mit dieser Information anfangen? Und außerdem: Hatte er nicht geschrieben, er sei Romantiker und stehe nicht auf amouröse Abenteuer? Oder hatte ich etwas falsch verstanden? Ich wollte weder begehrt werden noch sein Blut zum Kochen bringen. Was ich wollte, war ein schöner und vielleicht bereichernder Austausch.
20:28 Uhr