Achteinhalb Wochen. Ute Christoph
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Koray: Nein …. Liebe Lisa, amouröse Abenteuer sind nicht meins … in tiefem Vertrauen … ich hatte seit Weihnachten 2014 keinen Sex mehr … drei Ereignisse haben mich zu dem gemacht, was ich heute bin … worüber ich nur schweige.
21:16 Uhr
Koray: Aber wer weiß? Vielleicht bin ich eines Tages in der Lage, dir davon zu erzählen … liebe Grüße
Da war ich wohl ein wenig ungerecht gewesen. Dieser Mann war doch wahrscheinlich noch völlig neben der Spur. Sonst hätte er doch nicht extra an diesem schamanischen Ritual über drei lange Nächte teilgenommen. Ich würde ihn jetzt einfach anrufen.
Aber es klingelte ins Leere.
21:18 Uhr
Ich: Ich war jetzt einfach mal so mutig und vermessen, dich anzurufen. Aber leider gehst du nicht ans Telefon. Ich möchte nicht an Dingen rühren, die dich aufwühlen. – Was ich noch schreiben wollte zu einer heutigen SMS von dir: Kein Mensch ist es wert, dass du tausend oder mehr SMS über das Leid, das er bei dir verursacht hat, schreibst. Kein Mensch!
21:21 Uhr
Koray: Sorry … die Rufnummer war unterdrückt, darum ging ich nicht ran … wenn du noch mal möchtest?
Und ich wählte seine Nummer noch einmal. Er entschuldigte sich, dass er das Gespräch beim ersten Mal nicht angenommen hatte. Seine Stimme war angenehm – weich und ruhig. Eine Weile redeten wir über Belanglosigkeiten. Es war etwas anderes, sich täglich zu schreiben, als nun miteinander zu sprechen … Ich fragte ihn, wie man seinen Namen aussprach und er ließ es mich wissen.
Mhmm“, sagte ich. „Das ‚r‘ kann ich nicht so rollen wie ihr. Ist es okay für dich, wenn ich deinen Namen deutsch ausspreche.“
„Lisa“, lachte er, „du bist Deutsche. Es hat seinen Reiz, wenn du meinen Namen auch deutsch aussprichst.“ Dann seufzte er plötzlich.
„Du hast jetzt keine Zeit oder Lust zu telefonieren?“ fragte ich.
„Nein, das ist es nicht“, antwortete er. „Ich möchte dir einfach von den drei Ereignissen erzählen, von denen ich dir heute geschrieben habe. Ich weiß nicht, warum. Aber ich habe durch unseren Kontakt, während ich auf Zypern war, ein starkes Vertrauen zu dir entwickelt. Deshalb möchte ich dir jetzt einfach davon erzählen.“
„Bist du sicher?“ fragte ich.
„Ja, bin ich“, antwortete er.
„Danke“, sagte ich leise.
Er seufzte wieder.
Im Hintergrund hörte ich die knarrenden, hohen Motorgeräusche vorbeifahrender Mofas und wir schwiegen einige Augenblicke, bevor er anfing zu reden. Es fiel ihm nicht leicht. Er sprach langsam und holte zwischen den einzelnen Wörtern tief Luft, als würde auf seinem Brustkorb eine schwere Last liegen.
„Weißt du, ich habe mich in eine Frau verliebt, die im Rollstuhl saß. Ich hatte mir bis zu dem Zeitpunkt nicht vorstellen können, dass mir so etwas passiert. Sie war eine tolle Frau, lachte viel, obwohl sie es aufgrund ihrer Lähmung nicht leichthatte. Die Beziehung mit ihr war wunderbar, harmonisch und sehr liebevoll. Und dann erkrankte sie unheilbar und verstarb innerhalb von ein paar Monaten.“
Nun seufzte ich. „Das tut mir sehr leid.“
Er schwieg einen Moment lang und atmete wieder schwer.
„Du musst nicht weitersprechen“, warf ich ein.
„Ich will aber. Es tut gut, dir davon zu erzählen. Ich hab‘ bislang nur mit Psychologen darüber geredet. Und die konnten mir nicht helfen.“
„Okay“, machte ich leise. „Wenn es dir guttut, sprich weiter.“
„Das zweite Ereignis, das mich fertiggemacht hat … meine älteste Tochter wurde als Kind vergewaltigt.“
„Oh, mein Gott. Wie ist sie damit zurechtgekommen?“
„Gar nicht.“
„Hat sie Hilfe bekommen?“
„Ja. Sie war in psychologischer Behandlung und sogar eine Weile in der geschlossenen Psychiatrie. … Aber sie hat diesen Missbrauch nicht verarbeitet. … Ja, liebe Lisa, und das dritte Ereignis war, dass ein Freund von mir, ein Detektiv, mich anlässlich eines Auftrags mitgenommen hat. Wir waren in einer Hütte im Wald und haben dort kinderpornografisches Material gefunden. Das, was ich da gesehen habe, hat mir den Rest gegeben.“
Ich atmete tief ein und wieder aus. Jedes der drei Ereignisse war für sich allein genommen schon dramatisch genug. Niemand sollte das alles erleben müssen.
Er seufzte wieder: „All das hat dazu geführt, dass ich nicht mehr weinen kann und … es hat mich meine Männlichkeit gekostet.“
Ich hörte, dass er schwer schluckte. „Ja, aber das ist doch normal“, bemerkte ich. „Wenn etwas Schlimmes passiert, reagiert unser Körper, als wären wir auf der Flucht. Das sexuelle Bedürfnis ist in solchen Situationen komplett ausgeschaltet.“
„Darüber habe ich gelesen. Ich bin ja auch nicht wirklich arm in dieser Hinsicht. Ich kenne Dinge wie den inneren Orgasmus. Das ist etwas sehr Wertvolles. Aber dieser Verlust belastet mich trotzdem sehr. Weißt du – ein Mann im besten Alter und dann so was. Und ich will keine amourösen Abenteuer oder One-Night-Stands. Ich möchte etwas Tiefgehendes. … Tat gut, dir das alles erzählen zu dürfen.“
Ich erinnerte mich an seine Nachrichten aus Zypern – ein Mann, der mir höchst sensibel erschien und mir sofort sein Vertrauen schenkte. Solche Männer waren rar. Gab es sie überhaupt? Ich hoffte, dass aus dieser Zufallsbekanntschaft eine wunderbare, tiefgehende Freundschaft entstand.
„Dass es dir nach all diesen schlimmen Ereignissen nicht gut geht, ist vollkommen normal. Die spirituellen Nächte auf Zypern haben doch schon viel bei dir bewirkt“, versuchte ich das Gespräch in positive Bahnen zu lenken.
„Das ist richtig. Ich bin in der Tat auf einem guten Weg nachhaltiger Heilung. Aber es handelt sich um einen Prozess, der lange Zeit in Anspruch nehmen wird.“
Wir redeten noch eine Weile – über seinen anstehenden Arbeitsbeginn, über Alltäglichkeiten. Dann sagte er: „Die Nachbarn winken gerade. Sie haben ein Lagerfeuer entfacht und ich soll auf ein Glas Wein rüberkommen. Das wird sicherlich eine lange Nacht.“ Er lachte.
„Aber bestimmt eine schöne Nacht. Viel Spaß“, wünschte ich ihm, bevor ich auflegte.
Meine Nacht war unruhig. Immer wieder dachte ich an das Telefonat mit Koray und daran, was er mir anvertraut hatte.
Ich gebe zu, mein fast immer sonniges Gemüt litt schwer unter seinen dunklen Geheimnissen.
25. Juli 2016
00:10 Uhr
Koray: Die Glut wärmt … wenn ich auch nicht weinen kann … ein paar Tränen spüre ich auf meinen Wangen … liebe Lisa, in meiner Kultur glaubt man, dass die Handfläche einer Frau die Quelle der Zärtlichkeit ist … ich nehme deine beiden Hände und