Das Verschwundene Tal. Dietmar Preuß

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Das Verschwundene Tal - Dietmar Preuß

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ausschreitenden Skalden an seiner Seite an und zog sein Schwert. „Du wirst vorgehen! Los! Der Zeitpunkt scheint günstig, denn dich naiven Herzling wird der Unstete Pfad nicht fallen lassen.“

      Die Männer und Frauen um sie herum sprangen von ihren Lagerfeuern hoch. Wie eine Welle setzte sich das Klirren von Metall auf Metall, das Klappern von Holz und das Knarzen lederner Kleidung um sie herum fort. Als die Leute erkannten, dass hier ein Trek den Mut hatte, ohne Rast auf den Pfad zu reiten, folgten sie den Kronländern zu den Dolmen. Anerkennend nickten hartgesottene Männer und Frauen, raunten einander zu, denn der Kronländer und seine Leute zögerten nicht wie sie selbst, die sie zwischen ihren Pferden, Kamelen, Waffen und Waren ausharrten.

      Während sich die Kronländer geradewegs auf den Unsteten Pfad zu ritten, fasste eine Handvoll Männer vor ihnen, mit Kiepen auf den Rücken und gedrehten Wanderstäben in den Händen, ebenfalls Mut. Sie beschlossen, das Wagnis einzugehen, und passierten noch vor ihnen die Dolmen Wodans. Der Unstete Pfad bot genug Platz für die breiten Körbe auf ihren Rücken und der felsige Weg blieb unverändert, denn der unsichtbare Wächter war offenbar einverstanden mit der Passage der Kiepenträger. Dennoch vermieden es die Männer, die sich vor der Felswand ausnahmen wie Ameisen, in die Tiefe zu sehen. Wo das Meer gegen die Felsen brandete, sollten unsagbare Wesen leben, mit messerscharfen Zähnen die einen, mit langen Tentakeln die anderen. Gift und Schmerz sollten dort unten auf die lauern, die sich beim Sturz nicht schon das Genick brachen. Doch die Kiepenträger kamen stetig voran.

      „Na also, hinterher!“, rief der Trekführer. „Was diese armseligen Quellreicher können, können wir auch.“ Mit der gezogenen Klinge trieb er sein Pferd an.

      Die Wanderer und Händler, die noch Mut für den Aufbruch sammelten, sahen neugierig zu. Viele wünschten ihnen lautstark Glück bei der Passage, andere schwiegen, hofften vielleicht auf ein Unglück, damit ihnen dann ein solches mit geringerer Wahrscheinlichkeit drohte.

      Wulfiard hatte nicht die Absicht, auf dem gefährlichen Pfad in der Nähe der Schmuggler zu bleiben. Seine Frage nach den zwischen harmlosen Waren verborgenen Dingen hatte einzig den Zweck gehabt, sein Wissen zu offenbaren. Denn dass die Götter beider Kontinente über die einzige Verbindung zwischen den Kontinenten wachten, so wurde an den Lagerfeuern seines Volkes gemutmaßt, konnte nur einen Sinn haben. Keine Armee, ausgesandt von Königen, Herzögen, Imamen oder Wesiren, sollte jemals in das Land des anderen Gottes oder Pantheons eindringen. Das hieß auch, dass kein Mensch, der mehr Waffen als die zu seiner eigenen Verteidigung trug, den Pfad passieren würde. Und genau das taten die als Händler getarnten Schmuggler.

      Wulfiard, der Skalde aus Gandra, einem Dorf im äußersten Norden Runlands, passierte so eilig die beiden verwitterten Dolmen, dass die Kronländer mit den Packpferden nicht mithalten konnten. Natürlich hatte auch Wulfiard Furcht davor, den Unsteten Pfad zu betreten. Zwar war er sich keiner anderen Taten bewusst als jener, die der tägliche Kampf ums Leben mit sich brachte. Doch wer wusste, was die Mächte, die den Unsteten Pfad kontrollierten, davon hielten? Daher blieb die Furcht vor einem Fall ins Bodenlose. Aber alles war besser, als zu seiner heimischen Sippe zurückzukehren, selbst der Sturz in den Tod. Natürlich hätte er sich am liebsten Schritt für Schritt vorwärts getastet, nur langsam einen Fuß vor den anderen gesetzt. Während der langen Reise durch den nördlichen Kontinent hatte er sich vorgenommen, den Felsen zu beobachten und beim leisesten Zittern umzukehren und zurück zu laufen. Doch nun musste er sich beeilen, um nicht im Dunstkreis der Waffenschmuggler zu bleiben. Das Kribbeln in seinem Nacken wurde immer schlimmer, denn er sah sich gleich nur noch auf auf einem Fußbreit Felsen zu stehen, sich mit Händen und Füßen an die Wand krallen und am Ende in die Tiefe zu stürzen. Hoffentlich geht es schnell zu Ende und ich schreie nicht vor Angst, sodass Wodan und Donar meine Furcht sehen, dachte er. Immer schneller schritt er aus, bis er mehrere Pferdelängen Abstand vor den Kronländern gewonnen hatte. Er hielt den Blick fest auf den Pfad gerichtet, damit ihm nicht schwindelig wurde, denn ein einziger Fehltritt bedeutete den sicheren Tod.

      „Verfluchter Runländer!“, hörte er hinter sich den Trekführer brüllen. Aber er marschierte unverdrossen weiter, die Hand am Dolch, so wie er früher mit den Kriegern seines Vaters marschiert war. Bald sah er - gut zweihundert Ruten voraus - einen mit Arabesken verzierten Spitzbogen: Das Tor Tengris, das Ende dieses halsbrecherischen Pfades -oder der Beginn, wenn man Scimmien verlassen wollte! Er hielt den Blick immer auf das Ziel gerichtet. Dahinter, so ahnte er, lag ein weiterer Lagerplatz, ähnlich dem, den er hinter sich gelassen hatte. Dort würde er in Sicherheit sein.

      „Schneller, Männer, treibt die Pferde an!“, brüllte der Kronländer hinter ihm. „Verflucht, beim Feuerhaarigen! Schneller!“

      Der Boden unter den Füßen Wulfiards begann zu vibrieren, während er dem Tor immer näher kam. Gleich hatte er es geschafft! Er legte die Hand auf den glatten Fels neben sich. Auch die Wand vibrierte, während hinter ihm die Schreie immer schriller wurden. Mit einem gewaltigen Satz hetzte er unter dem in den Fels geschlagenen Spitzbogen hindurch. Dort warteten bereits die Kiepenträger, beachteten ihn aber gar nicht. Zusammen mit mehreren Dutzend schwarzhaariger Menschen mit Hakennasen und Raubvogelblick sahen sie an ihm vorbei, sodass auch er sich umdrehte.

      Etwa fünfzig Ruten vor dem Arabeskentor begann der Unstete Pfad sich in die Felswand zurückzuziehen und wurde schmaler und schmaler. Schon schrammten die Pferde der Kronländer mit ihren Lasten an der Wand entlang, und immer weiter verschwand der Weg in der Felswand. Nur noch drei Fuß Breite blieben am Ende des Treks. Das letzte Packpferd der Reihe schrie vor Angst wie ein Mensch, seine Hufe suchten einen Moment lang in der Luft nach Halt, dann fiel es mit seinem Führer an der senkrechten Felswand herab. Schon rutschten auch die nächsten beiden Pferde mit ihren Treiberinnen ab und stürzten vor Todesangst kreischend in die Tiefe. Der fette Trekführer brüllte und fluchte und zerrte am Halfter seines Packpferdes, denn ihm bot der Pfad noch einen Fußbreit mehr Halt. Doch hinter ihm nahm das Unglück seinen Lauf. Als der vierte Mann aufschrie, den Halt verlor und samt Pferd in den Tod fiel, ließ er das Geschirr des Tiers los und rannte los. Der Unstete Pfad bot ihm kaum mehr Platz als einen halben Schritt, und während hinter ihm seine beiden letzten Männer und Pferde brüllend die Klippe hinunterstürzten, tastete er sich seitwärts an der Felswand weiter voran. Nur noch einen Fuß breit maß der Weg, vergeblich suchte er mit den Fingerspitzen Spalten in dem glatten Fels, um sich festzuhalten. Beim nächsten Schritt fand sein rechter Fuß keinen Halt mehr. „Bei Loki, verflucht seien Wodan und Tengris!“, schrie er, keine zehn Ruten von Wulfiard, den Kiepenträgern und den vor Grauen erstarrten Scimmiern entfernt. Dann fiel auch er schauerlich schreiend die Klippe hinab ins Meer.

      Wulfiard, der vor Erschöpfung auf dem Boden zusammen gesunken war, ließ sich von zwei Scimmiern auf die Beine helfen und klopfte sich den Staub von der Kleidung. Die Kiepenträger nickten ihm zu, wandten sich wortlos ab und marschierten weiter, um die Emirate der Gotteskrieger zu erreichen. Die Scimmier, die sich auf dieser Seite auf die Passage vorbereiteten, hatten sich gesetzt und widmeten sich ihren Shishas und Gebetsteppichen.

      „Heimdall, meinen Dank, dass du mich über diesen Weg geleitet hast! Auch wenn es nicht der Bifröst ist“, murmelte Wulfiard und holte tief Luft. Dann hob er den Blick und suchte am westlichen Horizont die von Sagen umwobene Insel beider Liebenden. Da war sie, ein winziger Punkt im endlosen Meer. Und da war auch das einzige Schiff, das nach dem Gebot der Götter allein das Meer neben der steilen Landbrücke befahren durfte. An seinen halbmondförmigen Segeln war es deutlich zu erkennen, so wie es die Geschichten an Herden und Feuern berichtet hatten.

      Kapitel 2

      Du, meine Schöne, wirst mich heute satt machen. Wulfiard schlenderte zum Ende der Bazargasse, wo eine üppig gebaute Batoriana mit bronzefarbener Haut und Glutaugen hinter einem der Stände auf Kundschaft wartete. Sie erwiderte seinen Blick, der untere Teil ihres Schleiers löste sich wie zufällig und zeigte ihr herzförmiges Gesicht, das von einer

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