In Amerika. Gerstäcker Friedrich

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In Amerika - Gerstäcker Friedrich

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es jeden, seine eigene Heimat aufzusuchen und zu sehen, wie es dort stand. Erst mussten sie Gewissheit haben und dann galt es, zu beraten, wie sie sich selber schützen und das drohende Unheil von sich abwenden konnten.

      DRITTES KAPITEL

      Die Überraschung.

       Die Zeit des Mittagsessens war herangerückt, und Mrs. Taylgrove mit ihren Töchtern schon unten in den Speisesaal hinabgestiegen, um dort ihren Gatten zu erwarten; hielt er die Stunde doch sonst immer auf das Pünktlichste und nur der besondere Fall mit dem gefangenen Mulatten konnte ihn heute etwas über seine Zeit zurückgehalten haben.

       Die Tafel stand gedeckt und hinter den Stühlen schon an jeder Seite eines der jungen Negerkinder in schneeweißen Kleidern und mit dem Pfauenwedel in der Hand, um den Damen, sobald sie sich setzten, Kühlung zuzufächeln. So munter die jungen Dinger aber sonst auch waren und so sorg- und gedankenlos sie in23 den Tag hineinlebten, heute standen sie scheu und furchtsam auf ihren Plätzen, denn sie hatten den unglücklichen „farbigen Mann“ vorhin einbringen sehen und wussten nur zu gut, was ihn erwartete.

       Den kleinen Dingern gingen dabei die wunderlichsten Gedanken im Kopf herum – Sachen, die sie nicht begreifen und fassen konnten, und die sich ihnen doch heute gerade immer wieder und wieder aufdrängten. Allerdings gehörten sie mit ihrem Dienste in das Herrenhaus und kamen mit den eigentlichen Arbeitsnegern in keine Berührung, ja durften nicht einmal den Teil des Grundstücks, auf welchem deren Wohnungen standen, betreten; aber im Herrenhaus wusste die schwarze Dienerschaft genauso gut, was in der Welt vorging wie draußen im Baumwollfeld, und dass da oben im Norden Krieg geführt wurde, um die armen, schwarzen Sklaven hier im Süden frei zu machen, war oft und oft von ihnen, wenn auch nur ganz scheu und heimlich, besprochen worden. Und doch schien es den armen, schwarzen Kindern undenkbar, dass sich die Weißen da oben um sie kümmern und nur ihretwegen aufeinander schießen sollten. Waren sie doch selber vor kaum mehr als drei Jahren mit Vater und Mutter von einem der schlechten weißen Menschen aus dem Norden gekauft, und sie beide dann von den Eltern heimlich in der Nacht getrennt und weit, weit in das Land hineingeschafft worden, während Vater und Mutter jetzt in Jammer und Sorge gar nicht einmal wussten, was aus ihnen geworden, ebenso wenig, wie sie sagen konnten, welcher strenge und böse Herr vielleicht die Eltern hielt. Und das sollte jetzt anders werden? Oh, Du lieber Gott, waren das die Aussichten, die sie dafür hatten? Weshalb schleppten dann die weißen Männer da wieder einen armen, farbigen Mann, der keinem von ihnen etwas zuleide getan und den sie erst mit den schrecklichen Hunden gehetzt, jetzt gebunden in die Stadt; und wollten sie ihn da nicht aufhängen, wie die alte Köchin, die Susy, gesagt? Wenn sie frei werden und die Eltern wiedersehen sollten, durften dann die Weißen noch so grausam handeln? Es war alles nicht wahr, was man ihnen davon erzählt. Für sie gab es keine Rettung und sie blieben Sklaven, wie sie es stets gewesen.

       Die armen Kinder waren Schwestern, vielleicht zehn und elf Jahre alt, mit ebenholzschwarzer Haut, aber zart und schlank gebautem Körper und gar so lieben Gesichtern. Aber recht traurig sahen beide aus, denn wenn sie auch kein Wort mitsammen austauschten, „Missus“, die Frau vom Hause, hätte sonst böse werden können, so hafteten ihre Gedanken doch auf dem nämlichen Gegenstand.

       „Das ist sehr unangenehm und – auch rücksichtslos“, sagte Mrs. Taylgrove, die, in voller Toilette, den Gatten schon ungeduldig eine lange Weile zum Essen erwartet hatte. „Wenn Euer Papa nicht rechtzeitig kommen konnte, so war doch nichts leichter, als uns durch irgendjemand Nachricht zu geben, dass wir nicht auf ihn zu warten brauchten.“

       „Ach Mama“, sagte Jenny, „wenn sie nur nicht die Gerichtssitzung gleich gehalten und den Nigger schon gehangen haben – es wäre zu schade.“

       Liddy, das älteste der beiden kleinen Negermädchen, warf der Schwester einen scheuen Blick zu und schauderte zusammen; Polly, die Jüngste, aber sah still und zitternd vor sich nieder und eine Träne hing ihr an den langen Wimpern.

       „Nein, das glaube ich nicht“, sagte die Mutter, mit dem Kopf schüttelnd, „da hätte Euer Papa doch jedenfalls erst zu uns herausgeschickt, und auch ein paar von unseren Leuten dazu beordert, damit sie sich ein Beispiel daran nehmen konnten. So heimlich und rasch darf etwas Derartiges nicht abgemacht werden, oder es verfehlt entschieden seine Wirkung.“

       „Da kommen sie, Mama!“, rief Jenny, rasch von dem Schaukelstuhl, auf den sie sich in ihrer Ungeduld geworfen hatte, empor springend. „Ich höre Pferdegetrappel. Sie bringen ihn gewiss gleich mit.“

       Die Mutter horchte auf und sah dabei auf die Straße hinaus.

       „Oh nein, Kind“, sagte sie, „die Pferde kommen ja ganz von der entgegengesetzten Seite, die Lane herunter, dahinten kannst Du auch schon die Staubwolke sehen, das wirbelt ja nur so in die Höh. Wer kann denn das nur sein?“

       Die harte Straße dröhnte von den donnernden Hufen und aus der Staubwolke heraus blitzte es hier und da und funkelte es, wenn ein Sonnenstrahl dazwischen durchdrang.

       „Das sind Soldaten!“, rief Jenny, wie sie nur eine kurze Zeit da hinübergeschaut. „Ich kann ihre Säbel in der Sonne glänzen sehen, eine ganze Truppe, aber wo kommen die her?“

       „Ja, wahrhaftig! Das müssen Soldaten sein“, rief auch jetzt die Mutter, „jedenfalls eine Abteilung unserer Kavallerie, die nach Savannah vorrückt, um eine mögliche Landung des Feindes zu verhindern.“

       „Das ist ein gutes Zeichen, Mama“, lachte Lucie, „denn in dem Fall sind sie auch mit jenem Mr. Sherman und seiner Bande fertig geworden. Vielleicht bringen sie gar ein paar Dutzend gefangene Yankees mit, aber die Uniform kenn’ ich gar nicht.“

       „Da weht auch eine kleine Fahne in der Mitte, Mama“, rief Jenny, „aber das – das ist doch nicht – allmächtiger Gott, das ist die Unionsflagge!“

       „Die sie erbeutet haben“, sagte die Mutter, indem ein verächtliches Lächeln um ihre Lippen spielte. „Du bist doch nicht töricht genug zu glauben, Kind, dass von dort her und aus dem inneren Lande heraus der Feind gegen uns anrücken könnte?“

       „Das ist Unionskavallerie, Mama!“, rief aber Lucie entsetzt. „Ich kenne sie aus den Abbildungen, die wir hierher bekommen. Um des Himmels Willen, der Feind! Jetzt sind wir alle verloren.“

       Mrs. Taylgrove war leichenblass geworden, und für den Augenblick schien es in der Tat, als ob sie, starr vor Schrecken, das Furchtbare mehr über sich hereinbrechen sah als fühlte. Aber es sollte ihr keine lange Zeit, um sich zu sammeln, gegeben werden, denn wenige Sekunden später erschallte ein Kommandoruf, und mit demselben zugleich zügelten die ersten Reiter ein – unmittelbar vor der kleinen, niedrigen Gartenpforte und kaum zehn Schritte von der Veranda entfernt, auf welcher sich die Damen befanden. Ein Offizier – die Uniformauszeichnung ließ sich freilich kaum durch den Staub, der ihn bedeckte, erkennen – ritt dicht an die kleine Tür heran, und militärisch, aber sehr artig grüßend, sagte er:

       „Ladies, ungemein erfreut, nach einem langen heißen Ritt endlich wieder einmal menschliche Wohnungen und so holde Gesichter zu finden, das ist ein gutes Zeichen; aber eine Bitte hätte ich: Ist es wohl möglich, hier ein Glas frische Milch oder kaltes Wasser zu bekommen? Die Zunge klebt uns allen am Gaumen an.“

       Mrs. Taylgrove war in der Tat durch den ersten Schreck momentan gelähmt gewesen, aber das dauerte nicht lange. Ihrer ganzen Natur nach eine äußerst resolute Frau, die überdies von Jugend auf nur gewohnt gewesen war, zu befehlen und über zahlreiche Sklaven zu gebieten, sammelte sie sich bald wieder. Das Blut schoss ihr in einem plötzlichen Strom in die Schläfe zurück. Das war der Feind, der freche Feind, der mit ihr sprach, der ihnen ihre Sklaven nehmen und selber

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