Wilde Welt. Gerstäcker Friedrich

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Wilde Welt - Gerstäcker Friedrich

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Augen fest auf die Thür geheftet, in der er jeden Moment die Gestalt Josefa's zu sehen fürchtete, als der Alte an seine Seite trat und ihm sein eigenes Thier fertig gesattelt und gerüstet vorführte.

      „Hier der Ring saß nicht mehr ordentlich fest," sagte er, indem er das eine Schaffell in die Höhe hob und aus den Sattel deutete, „ich habe es mit einem Riemen wieder angelegt."

      Don Diego, ohne der Worte zu achten, warf nur einen fluchtigen Blick auf die bezeichnete Stelle; da sah er, wie der Alte vorsichtig ein kleines zusammengerolltes Papier unter den Ring schob, das Schaffell dann wieder fallen ließ und an seine /48/ andere Arbeit ging, als ob nichts vorgefallen wäre. Im Nu hatte Diego die Felle wieder zurückgeworfen - sah doch jetzt Jeder, wo es einen langen Ritt galt, nach seinem Sattel; im nächsten Moment rollte er das Papier auf und fand mit kleiner zierlicher, aber vollkommen deutlicher Schrift in französischer Sprache geschrieben die Worte: ,,Rettet mich!"

      Langsam nahm er das Papier, holte seinen Tabak heraus, drehte sich davon eine Cigarre und steckte diese an, jeden möglichen Verrath dadurch vernichtend. - Also wider ihren Willen wurde sie fortgeführt; gefangen, wie er selbst gefangen war, hülflos und unschuldig, einem dieser argentinischen Henkersknechte übergeben, um sie aus dem Weg zu schaffen und unangenehme Erinnerungen an blutende Leichen zu vertilgen.

      Aber was konnte er selber thun? - Er allein zwischen den Bewaffneten, die sich eben anschickten, sie an einen Ort zu führen, den er selber nicht wagen durfte zu betreten - San Luis, denn daß ihm gerade von dorther nachgespürt wurde, das zeigte ihm die dringende Gefahr, in der er selber sich befand. Jetzt dachte er jedoch nicht an sich - gerade aus dem Haus, das bleiche Antlitz von Thränen naß, von anderen ebenfalls weinenden Mädchen begleitet, trat Josefa, und hatte ihr Blick auch ihn vorher gesucht, so schrak sie doch jetzt zusammenschaudernd vor der wilden Schaar Bewaffneter zurück, die hier jede Aussicht auf Rettung erbarmungslos vernichtete.

      Wie träumend stand Diego, und sah das Alles, als kaum der Wirklichkeit angehörend, an sich vorübergleiten, als der Wirth mit seiner gefüllten Satteltasche auf ihn zuschritt. .

      „Seňor," sagte er freundlich und leise, „Sie sind nicht meiner Warnung gefolgt - ich wußte, daß Ihnen Uebles drohte, aber wir Alle haben Sie gestern lieb gewonnen, - wir Alle wünschen und hoffen, daß Sie dieser Gefahr wohlbehalten entgehen sollen. Hier in der Tasche finden Sie einen Imbiß, falls Sie - vielleicht den Soldatentrupp einmal verlieren sollten - keinen Dank, bitte, Ihre Zeche haben Sie schon mehr als reichlich bezahlt und - es ist Zeit zum Aufsitzen. Der Officier giebt das Zeichen. Wollen Sie mein/49/nem Rath jetzt folgen, so fügen Sie sich vor der Hand in das Unvermeidliche. Geduld, und kommt Zeit, so kommt Rath. Sie sehen mir gerade so aus, als ob Sie der Mann wären, den richtigen Augenblick zu benutzen.“

      „In den Sattel!" dröhnte die Stimme des Officiers über den engen Hofraum hin, und noch war das Wort kaum über seine Lippen, als die Gaucho-Soldaten wie mit einem Schlag in ihren Sätteln saßen. Die Ponchos über die rechte Schulter zurückgeworfen, den rechten Arm für Lasso und Carabiner frei zu behalten, tummelten sie ihre Pferde dem Eingang zu. Nur der Correo, sich wenig um das militärische Commandowort kümmernd, zögerte noch; der eine Packen des zweiten Lastthieres schien ihm nicht recht fest zu liegen und er trat dort hinüber, das zu untersuchen, schnallte auch den wohl zwei Hände breiten Sattelgurt des armen Thieres, trotz dessen Stöhnen, noch fester, und Alles jetzt in Ordnung wissend, stieg er ebenfalls langsam und bedächtig in den Sattel.

      „Fertig zum Aufbruch, Correo?" sagte der Officier.

      „Wie Ihr seht, Seňor! Aber ich möchte Sie auf Eins aufmerksam machen -"

      „Und das wäre?"

      „Ich habe Sr. Excellenz fest versprechen müssen, spätestens am 2. in San Luis zu sein. Das Gold, das ich bei mir führe, muß an dem Tag abgeliefert werden, und wenn die Seňorita die Beschwerlichkeiten unseres scharfen Rittes nicht aushält -"

      „Meine, eigenhändig von Sr. Excellenz unterschriebene Depesche lautet," erwiderte der Officier, „Euch, ohne Bestimmung eines Datums, sicher nach San Luis abzuliefern und die Dame in der Escorte mitzunehmen. Ich habe Euch die Schrift selber gezeigt."

      „Bueno, wir werden sehen," sagte der alte Reiter; „daß Ihr mich richtig abliefert, ist also Eure Sorge, daß ich zu rechter Zeit dort eintreffe, die meine. Das Frauenzimmer geht, wie Ihr einsehen werdet, mich nichts an, und Ihr habt also weiter mchts zu thun, als mit mir Schritt zu halten. Daß ich nicht warte, darauf könnt Ihr Euch übrigens verlassen.“ /50/

      „Was Eure Person betrifft, Seňor," sagte der Officier gemessen, „so mögt Ihr mit der machen, was Euch beliebt - Eure Depeschen und Gepäck sind mir anbefohlen und bleiben unter meinem Schutz."

      „Haltet Ihr sie gewaltsam zurück," rief der Correo, „gut, so habe ich nichts dagegen einzuwenden; auf Euer Haupt aber auch nachher die Verantwortung. Und nun vamos, Seňor. Wir vergeuden hier die schöne Zeit in einem höchst nutzlosen Wortkampf."

      Don Diego war im Sattel und, während Don Pasquale mit dem alten hartnäckigen Correo stritt, an Josefens Seite geritten.

      „Ihr begleitet uns, Seňor?" flüsterte das schöne Mädchen schüchtern.

      „Für jetzt nur als Gefangener, wie Ihr," sagte Don Diego rasch, „aber vertraut mir - Euer Bruder sendet mich von Montevideo - haltet Euch zu mir, wenn sich Gelegenheit zur Flucht bietet, und ich werde -"

      Sein Flüstern wurde kurz abgebrochen, denn der alte Gaucho hieb plötzlich mit seiner Revenca Diego's Pferd so derb auf die Hüfte, daß es mit einem Satz nach vorn und mitten in den Hof flog. Es war die höchste Zeit gewesen, denn gerade wandte sich der Officier nach ihm um.

      „Ach, ich sehe, Ihr seid beritten, Seňor - gut denn, vamos. Ihr werdet Euch an meiner Seite halten. Draußen im Freien - Euch die Unannehmlichkeit hier vor den Leuten zu ersparen - bitte ich Euch dann um Euer Messer und Euren Lasso - keine Widerrede, Seňor, ich bin berechtigt, Euch die Waffen abzunehmen und könnte sie gleich hier von Euch fordern."

      „Paciencia!" rief in dem Augenblick der alte Gaucho dem einen Packthiere zu, das er kurz vorher erst selber durch einen Peitschenschlag, vielleicht absichtlich, gereizt hatte - „I'aciencia, amigo mio."

      Don Diego neigte sich leicht gegen den Officier und sagte lächelnd:

      „Ich danke für die Nachsicht; übrigens wäre es blos zu meiner eigenen Bequemlichkeit, wenn ich Messer und Lasso /51/ nicht unterwegs zu tragen brauche, denn unter solcher Bedeckung kann ich mich wohl auf kurze Zelt der Wehr begeben. Draußen also steht Ihnen, was Sie begehren, zu Diensten, Seňor, und ich hoffe nur, daß wir einen raschen und angenehmen Ritt haben, den mich betreffenden Irrthum in San Luis sobald als möglich aufgeklärt zu sehen."

      Don Pasquale neigte statt aller Antwort nur den Kopf. Der Correo hatte aber indessen schon begonnen, den Zug anzuführen, obgleich ihn anfänglich die Unterofficiere daran zu verhindern suchten. - Den alten Gaucho als Postillon neben sich, trieb er mit seiner langen, schweren, nur mit einem kurzen hölzernen Stiel versehenen Peitsche die beiden Lastthiere vor sich her, daß sie trotz ihrer schweren Ladung in vollem Galopp die Straße hinabflogen. Was kümmerten ihn die Soldaten, ob sie folgten oder nicht, hatte er doch hier im Orte schon mehr Zeit versäumt, als er gut verantworten konnte, und das nächste Nachtquartier lag manche lange Legua von da entfernt.

      Der Officier aber mußte wohl oder übel folgen, und einen derben Fluch über den unabhängigen und zu keiner Disciplin zu zwingenden Correo in den Bart murmelnd, ordnete er mit raschem Commandoruf seine Leute, und sprengte, Josefens Pferd neben sich haltend, mit Don Diego an seiner andern Seite, seiner Schaar voran, die Straße hinab und in die unabsehbaren Pampas hinaus.

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