Wilde Welt. Gerstäcker Friedrich

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Wilde Welt - Gerstäcker Friedrich

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Blut bedeckt, und Meilen weit fanden wir die rothen Spuren. Aber der Uebermacht konnten sie freilich nicht widerstehen, und wenn sie selber auch nichts gegen Se. Excellenz verbrochen hatten, durften sie doch nicht leben, um nicht gegen /40/ ihn oder einen seiner Helfershelfer zeugen zu können. Sie liegen alle unter dem grünen Rasen, und kleine rothe Kreuze bezeichnen die Stelle, an der sie ihre Ruhestätte fanden. Es will mir seither vorkommen, als ob es der Kreuze hier im Lande fast zu viele würden."

      „Und ahnt Ihr nicht, daß in der Sache eine Aenderung eintreten muß?" sagte Diego leise, aber dringend.

      „Ja," bestätigte ruhig der Alte. „Lange kann es nicht mehr so bleiben. Die Furcht hält allerdings noch selbst die Muthigsten im Zaum. Keiner wagt es, seine Meinung offen zu sagen oder gar Partei zu ergreifen. Der geringste Funke aber, der in das Pulverfaß fällt, und die ganze Bescherung platzt in Feuer, Flammen und Blut zusammen. Gnade Gott dann dem Besiegten!"

      „Wenn nun der Funke schon geschleudert wäre, Amigo, - wenn - aber was habt Ihr dort nur in einem fort zu sehen?" unterbrach sich Diego plötzlich, als der Alte, aufmerksamer wie vorher, nach Osten hinüberschaute, und sich dabei, so hoch das gehen wollte, im Sattel emporrichtete.

      „Dort," versetzte gelassen der Alte, „kommt der Correo mit den Privat-Depeschen Sr. Excellenz für die Gouverneure im Westen. Auch gewöhnlich noch mit einem Sack voll Unzen für Nebenzwecke. Wer weiß, wie manches Todesurtheil der lederne Mantelsack birgt, den er mit sich führt, wie mancher Tropfen Blut an den paar Depeschen hängt, die er bringt."

      „Glaubt Ihr denn, daß jetzt gerade so viel Schlimmes im Werke ist?" fragte Diego gespannt.

      „Das Volk erzählt sich wieder allerlei," antwortete der Alte, „und Gerüchte, so unbestimmt sie lauten mochten, gingen meist eben den grausamsten Thaten voran. So erzählte man sich damals schon heimlich in der ganzen Provinz Buenos Ayres, daß Quiroga mit seinen Begleitern den Staat Santa Fé nie glücklich passiren würde. Niemand wußte, woher das Gerücht kam, aber es war da, und als die blutige Kunde der Mordthat später eintraf, nickten die Leute nur schweigend mit den Köpfen und - die Sache war abgemacht."

      „Und jetzt -?"

      „Der Gouverneur von Mendoza scheint Sr. Excellenz im /41/ Wege zu sein," erklärte der Alte trocken. „Es passirt ihm so manchmal mit Einzelnen. Vielleicht läßt er ihn zu einer „Verständigung" nach Buenos Ayres laden. Aber ich verplaudere hier meine schöne Zeit, Seňor, während ich frische Pferde für den Correo und seine Packthiere eintreiben soll. Auf Wiedersehen denn, da Ihr schon in der Abreise begriffen seid."

      „Nein, ich kehre nach Cruzalta zurück," sagte Diego.

      „Zurück?" rief der Alte, wirklich erstaunt. „So wißt Ihr nicht, daß der Officier Argwohn gegen Euch geschöpft hat?"

      „Ich fürchte ihn nicht," betheuerte der junge Mann mit kecker Miene. „Sagt mir nur, auf wie viele Arme der in Cruzalta rechnen könnte, welcher einen Schlag für die Freiheit des Landes versuchen sollte."

      „Auf alle," brach der Alte schnell und mit funkelnden Augen los, „wenn es mit einiger Aussicht auf Erfolg und in Gemeinschaft mit anderen sich empörenden Orten geschieht. Auf keinen aber, wenn Ihr oder sonst Jemand wahnsinnig genug wäret, etwas Derartiges mit einer Horde blut- und beutegieriger Indianer zu unternehmen," setzte er ruhiger und fast abweisend hinzu.

      „Wenn ich Euch nun bestimmte Beweise von Rosas' Verrätherei brächte?"

      „Stecken sie vielleicht in dem Postfelleisen des Correo?" sagte lauernd der Alte. „Ja, wer sie in die Hand bekäme!"

      „Es ist gut," lenkte Don Diego kurz ein. „Weshalb so viele Worte machen, wo doch nur Thaten überzeugen können. Ihr werdet mich nicht im Stich lassen, wenn ich wirklich Hülfe brauchen sollte, denn ich bin überzeugt, daß Ihr Euer Vaterland liebt und seinen Unterdrücker haßt, so heiß wie ich. Also Adios - wir treffen nachher wieder zusammen."

      „Und wo wollt Ihr hin?"

      „Einen kleinen Spazierritt machen, um nach dem-gestrigen Regen die frischen Spuren abzusuchen."

      Der Alte sah ihn einen Augenblick forschend an, schüttelte dann leise mit einem tief aus der Brust geholten Seufzer den Kopf, drehte sein Pferd ab und ritt schweigend einer kleinen Heerde von Pferden zu, die unweit von da das süße Gras abweideten. /42/

      VI.

      Don Diego hielt sich nicht länger mit nutzlosen Betrachtungen auf, sondern seinem Thier die Sporen gebend, sprengte er mitten in die Steppe hinein, bis er, durch einige leichte Anschwellungen des Bodens verdeckt, von Cruzalta aus nicht mehr beobachtet werden konnte. Dann nahm er einen andern Cours gerade nach Westen hinüber, dem er aber kaum fünf- oder sechshundert Schritt weit folgte.

      Niedriges holziges Gestrüpp deckte hier den Boden, harte, vertrocknete Distelarten und andere rauhe Gräser, von denen Diego bald einen Vorrath ansgerissen und in einem länglichen Haufen aufgeschichtet hatte. Das gethan, nahm er seine Messing-Zunderbüchse aus dem Gürtel, öffnete sie, hielt den Stein darunter und schlug Feuer. Wenige Secunden später stieg von dem noch von dem gestrigen Regen feuchten Reisig und Wurzelwerk ein leichter dunkler Qualm kerzengerade in die Luft empor.

      Während das Pferd in der Nachbarschaft nach Futter suchte, blieb der Fremde eine Zeit lang neben dem Rauch sitzen, drehte sich eine kleine Papiercigarre, zündete sie an und blies den Dampf in die blaue Luft hinaus. Als er sie ausgeraucht hatte, stand er auf, schritt auf sein Pferd zu, sprang in den Sattel und schlug die nämliche Richtung ein, der er hierher, gefolgt war, bis er sich weit genug von dem angezündeten Feuer entfernt glauben mochte. Dann hielt er wieder dem Städtchen zu, das wie eine kleine Insel mitten in der Steppe lag, und erreichte es in demselben Augenblick, als durch die andere Straße der argentinische Correo mit zwei Packpferden und einem Postillon oder Treiber in vollem Galopp hereinsprengte.

      Der Moment war für ihn auch insofern günstig, als der Officier jetzt durch die für ihn eingetroffenen Depeschen vollständig in Anspruch genommen wurde und sich für den Augenblick um nichts Anderes kümmern konnte. Don Diego kehrte indessen in die Pulperia zurück, wo der Correo eben sein abgeladenes Gepäck in eine Ecke der Stube aufschichtete, seine /43/ beiden Trinkhörner mit Caňa füllen ließ und selber einen kleinen Imbiß nahm.

      Unser Freund erkundigte sich angelegentlich nach Briefen an Matanzas, der Correo sah vergebens seine Tasche durch und suchte dabei von den Umstehenden die neuesten Berichte über „los Indios" einzuziehen, die ihn außerordentlich interessirten. Wenig aber konnten ihm die Bewohner von Cruzalta erzählen, da die Indianer sich natürlich nicht an die mit Bewaffneten gefüllte Stadt hinangewagt hatten. An der Nähe waren sie gespürt worden, ja, und einzelne Rinder und Pferde hatten sie auch aus der Nachbarschaft, trotz des Militärs, mit fortgetrieben. Weiter aber wußte man nichts von ihnen, als daß sie sich immer noch im Süden in ihren alten Schlupfwinkeln hielten, sofern es ihnen nicht eben gefiel, von da aus zurückzukehren. Wie der Pampero stürmte sie dann heran, rasch und unaufhaltsam, und ehe man den Schlag ordentlich fühlte, waren sie auch schon wieder wie der Sturm verschwunden.

      Die Bewohner von Cruzalta wollten jetzt ihrerseits ebenfalls Kunde von dem Erbfeind haben, und da kamen sie bei dem Courier gerade an den Rechten. Nicht umsonst hatte er die weite einsame Bahn durchritten und in jedem Ort, auf jeder estancia die schrecklichsten Geschichten über einst verübte und für künftig befürchtete indianische Greuelthaten aufgegriffen, um sie hier nicht wieder an dankbare und ängstlich lauschende Zuhörer verwerthen zu sollen. Um ihn hergedrängt in dichter Masse standen denn auch bald Männer und Frauen, seinen furchtbaren Schilderungen mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zu horchen, und kein Wort, das er sprach, fiel auf unfruchtbaren Boden.

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