Wilde Welt. Gerstäcker Friedrich

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vor den Indianern haben. Ich bin fest überzeugt, sie begegneten viel lieber dem leibhaftigen Gottseibeiuns auf den Straßen, als einem dieser kupferbraunen Burschen."

      „Und habt Ihr sie schon hier in der Nähe gespürt?" frug Diego gleichgültig.

      „Caramba, ja," sagte der Wirth schnell. „Ausgesandte Spione haben vor einigen Nächten gar nicht so weit von hier entfernt ein Lager der verwünschten Rothhäute angetroffen, - ihre Feuer wenigstens gesehen; denn sie getrauten sich nicht weiter hinan. Als die Soldaten aber von hier am nächsten Morgen dorthin aufbrachen, fanden sie keine Seele mehr daheim. Die Horde war wieder abgezogen, weil sie die Gegend für doch nicht so ganz sicher halten mochte."

      „Und wie stark mag der Trupp gewesen sein?"

      „Den Zeichen nach fünfzig Mann. Die Schurken ziehen ja gewöhnlich in so kleinen Banden umher, um einzelne Hütten zu überfallen und zu plündern und gelegentlich eine Heerde mit fortzutreiben. Der Correo wird einen schweren Stand haben, diesmal durchzukommen. Man munkelt schon wieder /25/ davon, daß sie Weiße zu Anführern hätten. Unitarier," - setzte er leise flüsternd hinzu, - „die sich der gerechten Regierung Sr. Excellenz nicht unterwerfen wollen."

      „Das alte Lied," sagte Don Diego, mit den Achseln zuckend, - „aber wann glaubt Ihr wohl, Seňor, daß der Correo hier eintreffen kann? Ich erhoffe Briefe von Buenos Ayres, und möchte ihn gern erwarten, - Euch jedenfalls bitten, wenn ich früher fort müßte, meine Briefe hier zurück zu behalten. Meine nähere Adresse werde ich Euch noch geben."

      „Wenn der Correo überhaupt unter den jetzigen Verhältnissen aus der „Stadt" ausgebrochen ist," sagte der Wirth, „so muß er morgen zu Mittag hier sein. Ich habe ihn eigentlich heute schon erwartet; denn er reitet gewöhnlich am 17. Von Buenos Ayres ab und übernachtet in der letzten

      Estancia."

      „Desto besser, dann treff' ich ihn gewiß," sagte Don Diego und die Guitarre neben sich hinlegend, nahm er aus seinem Gürtel ein kleines Stück Papier, schrieb mit einem Bleistift ein paar Worte darauf und schob es zurück. Langsam hob er dabei den Blick und begegnete dem Auge Josefa's, die vor dem Ausdruck in den Zügen des Fremden zusammenschrak. Der Blick galt ihr und barg ein Geheimniß.

      „Seňor," flüsterte da der Wirth an seiner Seite, „wollt Ihr auf guten Rath hören?"

      „Gewiß," sagte Don Diego rasch, „in diesen Zeiten ist ein guter Rath oft so viel und mehr werth, wie eine gute That."

      „Gut - so nehmt Euch vor dem - Herrn Lieutenant in Acht."

      „Ihr glaubt?"

      „Er hat Böses mit Euch im Sinne," warnte der Mann, noch leiser fast als vorher. „Euer freies und keckes Lied über den Dictator - den Gott erhalten möge - ist ihm in die Krone gefahren, und Ihr wißt, eben so gut wie ich es Euch sagen könnte, daß es in jetziger Zeit wenig mehr als eines Verdachtes bedarf, um Leben und Freiheit irgend eines Menschen zu bedrohen?“ /26/

      „Und nennt Ihr das ein freies Land?" lachte Don Diego verächtlich vor sich hin.

      Der Wirth zuckte, während er einen scheuen Blick über die Schulter warf, mit den Achseln.

      „Don Manuel ist allmächtig," setzte er dann flüsternd hinzu, „und gegen den Stachel kann Niemand lecken. Mir juckt die Kehle schon bei dem bloßen Gedanken, daß ich einmal den Unwillen des - des Herrn erregen könnte. Ich beschwöre Sie also -"

      „Habt keine Angst um mich, Freund," erwiderte ruhig Don Diego, „übrigens danke ich Euch für die Theilnahme, die Ihr mir bewiesen. Selbst das ist schon mehr, als ich zu erwarten hatte - und nun macht Euch weiter keine Sorgen. Ich glaube, die Leute kommen zurück; Caramba, wäre es denn nicht möglich, heut Abend einen kleinen Fandango zu arrangiern? Es ist noch früh, und die Zeit vergeht beim Tanze rascher als je. Wie wäre es, Senoritas, wer von Ihnen hätte Lust, daran Theil zu nehmen?"

      „Ach, an Mädchen soll cs nicht fehlen," lachte der Wirth, damit vollkommen einverstanden. „Wenn's einen Fandango giebt, habe ich in fünfzehn Minuten die ganze Nachbarschaft auf den Beinen."

      „Und die Indianer?"

      „Thorheit, - wer weiß, was für ein Mulattengesicht die Dirne gesehen hat. So frech sind die Burschen nicht, daß sie stch in des Tigers Rachen wagen sollten. Hier, Beatriz - hier, Mareguita, nehmt die Guitarren. Donna Josefa müßt Ihr entschuldigen, Seňor - sic trauert um liebe Freunde - nehmt die Guitarren, Mädchen, und beginnt die Melodie. Wir haben der ernsten Stoffe heute gerade genug gehabt."

      Don Diego war aufgestanden, und seine Guitarre einer der jungen Damen überreichend, bog er sich dabei über Josefa hinüber. - Wieder hatte sein bittender, mahnender Blick sie getroffen, und zusammenschreckend fühlte sie, wie er unter der Guitarre einen kleinen Zettel in ihre Hand drückte. Im nächsten Augenblick trat er zurück und hatte gerade seinen Platz auf's Neue eingenommen, als die übrigen Gäste lachend und zusammen plaudernd zurückkehrten. /27/

      Der Blick des argentinischen Officiers fiel zuerst wieder auf den Fremden, aber die muntern Töne der Guitarre regten in dem lebensfrohen Völkchen rasch die Lust zum Tanz. Die Stühle wurden bei Seite geschoben, die Tische aus dem Wegc gerückt, und ein paar junge Gauchos zogen lachend die Wirthstochter mit ihrer Base in die Mitte der Stube und begannen mit ihnen, während die Aelteren der Gesellschaft die Instrumente aufgriffen und ohne Weiteres in den volksthümlichen Tact- einfielen, den fröhlichen Fandango.

      Der Wirth hatte dabei nicht zu viel versprochen und in weniger als einer Viertelstunde alles Tanzfähige ans dem kleinen Ort zusammengerufen. Das geschah aus so eigenthümliche wie ächt argentinische Art. Sein draußen angebundenes Pferd nämlich besteigend - denn es fällt keinem Gaucho ein, auch nur hundert Schritt zu Fuß zu gehen, wenn er nicht nothgedrungen muß - galoppirte er die Straße hinab; an jeder Thür aber zügelte er ein, schrie das Wort „Fandango" hinein und sprengte dann weiter. Große Toilette brauchten die Damen ebenfalls nicht zu machen; sie warfen ihre Mantilla um, und der Anzug war vollendet. Wie auch immer dabei die politischen Verhältnisse des Landes standen, ja, wenn die Indianer selber draußen im Lager gewesen wären und sie bedroht hätten, der Aussicht auf einen Fandango würden sie doch nicht haben widerstehen können, - noch dazu mit einem Lieutenant und zwei Fähnrichen im Ort. Wer wußte denn, ob ihnen solche Gelegenheit so bald wieder geboten wurde.

      Bald nahm auch der Tanz Aller Aufmerksamkeit vollkommen in Anspruch. Während ihn aber im Ansang ein und zwei Paare abwechselnd aufführten, trat, wie der Abend weiter vorrückte, auch wohl eine einzelne Senorita auf. Stumm und lautlos schauten ihr dann die Uebrigen zu; aber ein Beifallssturm lohnte sie, wenn sie den schwierigen Anforderungen dieses Tanzes vollkommen genügt hatte. Ja, nicht selten flogen auch kleinere Silbermünzen, selbst Dollars, in den Ring, als ehrendes Geschenk für die Tänzerin, das sie mit einer freundlichen Verbeugung acceptirte und selber aufhob.

      Don Diego hatte sich von alle dem ziemlich zurückgehalten. /28/

      Es schien fast, als ob er noch einmal Gelegenheit suche, sich Josefa zu nähern. Wäre das aber wirklich der Fall gewesen, so vereitelte sie der argentinische Osficier vollkommen, indem er das trauernde Mädchen nicht aus den Augen ließ.

      Wohl hatte Don Pasquale sogar versucht, sie trotz allem Weigern dazu zu bewegen, an dem fröhlichen Tanze Theil zu nehmen; aber sie wies ihn jedesmal, wenn auch nicht unfreundlich, doch ernst zurück, und er ließ sich endlich an ihrer Seite nieder, suchte die Hand zu ergreifen, die sie ihm jedoch entzog, und knüpfte ein leises, lebhaft geführtes Gespräch mit ihr an, das dem schönen Mädchen bald die Thränen in die Augen trieb. - Und dazu tönten die Guitarren, jauchzten die Zuschauer und hüpften

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