Dschungeltanz. Aurel Levy
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Natürlich wusste ich es. Ich wusste es seit dem Augenblick, als die Feticheuse in meiner Hand den bösen Mann entdeckt hatte. Daisy war nicht klar, wie sie es übersetzen sollte, aber ich hatte ausnahmsweise mal sofort begriffen. Der gerechte Mann, ein Mann des Rechts. Erwin Seizinger war Oberlandesrichter.
Noch Fragen?
Ich träume übrigens immer tagesaktuell. Das kann Fluch oder Segen sein. Kommt ganz drauf an.
Plötzlich sprang die Tür auf. Benny stand im Türrahmen und fingerte nach dem Lichtschalter. Eine dunkle Gestalt vor dem beleuchteten Hintergrund des Hotelflurs. Zorro, der nicht an seinen Degen rankommt.
Benny gab ein ungepflegtes »Scheiße!« von sich und ließ sich auf die freie, der Tür zugewandten Seite des Kingsize-Betts fallen. Es war wieder stockdunkel im Zimmer. Ich hörte, wie Benny seine Füße aneinanderrieb. Dann plumpsten nacheinander zwei Schuhe auf den Boden.
»Hey, Malaka, schläfst du schon?«
Deutlich roch ich den Alkohol. »Jetzt nicht mehr, danke der Nachfrage.«
»Hast nix verpasst.«
»Na, dann bin ich ja beruhigt«, bemerkte ich, während ich mich auf den Rücken rollte.
»Leiden alle unter Stangenfieber, alle miteinander.«
»Wer?«
»Die da unten, an der Bar«, murmelte Benny, »Gazellen unter Stangenfieber.«
»Was?«
»Wäre doch ein geiler Titel für einen Hemingway-Roman, oder?«
»Geht so.«
Nachdem ich nun schon wach war, konnte ich das hinter mich bringen, was ich früher oder später sowieso hätte tun müssen. Ohne Licht zu machen, tastete ich mich ins Bad. Als ich jenes kurze Zeit später wieder verließ, kam mir eine Idee.
Manchmal weiß ich es selbst nicht. Mir fällt einfach was ein und ich mache es, ohne lange darüber nachzudenken. Mochte es auch völlig blödsinnig sein. So wie ein Kind garantiert in die Regenpfütze hüpft.
Trotz Dunkelheit war ich mir sicher, wo das Bett stand und in welcher Position ich mich dazu befand. Außerdem konnte ich mich an Benny orientieren. Der schnarchte.
Wie gesagt, ein spontaner Einfall. Es gab keine Frau, es war zappenduster, ich sprang einfach. Fast ohne Anlauf. Gleich würde ich flach auf dem Bett aufdotzen. Ich hatte wie ein Skispringer artig die Flossen angelegt. Dann kam die Meldung meines Körpers: Chef, bist du sicher, dass da ein Bett steht? Sollte die Matratze nicht schon längst da sein? Sicherheitshalber zog ich die Beine an. Was soll ich sagen? Meine Knie rotierten in den Boden. Meine Handflächen erreichten wenig später den Bettvorleger. Ich krachte mit meinem gesamten Oberkörper drauf. Ein Schrei ließ sich nicht unterdrücken. Allerdings gedämpft, weil ich mit Mund und Nase im feuchten Hochflorteppich steckte. Benny schreckte hoch und riss bei der panischen Suche nach dem Lichtschalter die Nachttischlampe herunter.
Als ich ein paar Minuten später mit schmerzenden Knochen auf dem Bett lag, wurde mir klar, dass ich trotz einer unglücklichen Verkettung von Fehlern ganz schön Dusel gehabt hatte. Schuld war Benny. Er hatte sich während meines Badbesuchs auf meine Bettseite gerollt und hatte dort weitergepennt. Jener Benny drehte sich nach kurzer Bestandsaufnahme auf die Seite und sagte im Wegdämmern: »Boah, Alter, du bist sowas von unberechenbar! Vor dir hab ich manchmal richtig Schiss!«
Ich stand an der Reling der Fähre und sah die Stadt an mir vorüberziehen. Manche Reiseführer bringen ihre Begeisterung für eine Stadt mit Worten zum Ausdruck wie: »Dakar – schwarze Perle am Tor zum Atlantik« oder »Dakar – Paris des Südens« oder »Dakar – viriles Kleinod zwischen gestern und heute«. Ich sah auf die niedrigen Hütten und siebziger Jahre-Betonklötze und wettete, dass sich hier niemand solche blumigen Vergleiche ausdachte. Meine Knie schmerzten mehr als in der Nacht und ich war froh, dass Kai den Inselausflug vorgeschlagen hatte.
Die Ile de Gorée liegt in der Bucht von Dakar. Wir wollten uns das alte Gefängnis ansehen und die Ruhe der Insel genießen. Erschien mir machbar, trotz meiner geschundenen Knochen.
Seitdem ich als Kind einen Spielfilm über einen lebenslang eingesperrten Gefangenen auf Alcatraz gesehen hatte, üben Gefängnis-Inseln auf mich eine ganz besondere, düstere Faszination aus. Eine karge, von allen guten Geistern verlassene Insel macht ein lebenslänglich noch trostloser.
Somit war ich etwas enttäuscht, als wir uns nach zwanzigminütiger Überfahrt dem Hafen von Gorée näherten. Gorée sah aus wie eine stinknormale Touri-Insel mit pittoresken Häusern, Kirchen und Cafés. Sogar Bougainvilleas mit ihrer üppigen Blütenpracht gab es. Überhaupt wirkte sie nicht wie die Teufelsinsel aus Papillon, von der es kein Entrinnen gab. Ich fragte mich, ob ich nicht vielleicht doch besser einen Pooltag eingelegt hätte. Dann wäre ich wenigstens mit den Vorbereitungen zu meinem Medizinertest weitergekommen. So aber hatschte ich hinter den anderen die schmale Gangway hinunter. Meine Kniescheiben schmerzten bei jedem Schritt. Die gute Nachricht: Wir waren auf dem Weg zur Fähre an einem Markt vorbeigekommen. Und so hatte ich es geschafft, meine hinten offenen Gartenschlappen aus Gummi, die ich seit der Tauwurmsuche trug, gegen ein Paar nigelnagelneuer Adidas-Turnschuhe einzutauschen. Quietschgrün, aber saubequem. Balsam für meine gepeinigten Knochen.
Kai steuerte direkt auf den Hafenkiosk zu. Großartige Idee, hatte ich doch immer noch den Geschmack der Fischsalsa auf der Zunge.
»Weiß eigentlich jemand, wie wir zu dem ollen Gefängnis kommen?«, fragte Benny in die Runde.
Kai nickte, während er die eiskalten Colaflaschen verteilte. »Ich habs mir auf der Karte angeschaut. Die Insel ist nicht groß. Das Sklavenhaus muss irgendwo dort hinten liegen.«
»Augenblick, ich frag mal.« Daisy trat zu einem der metallenen Bistrotische, an dem ein gepflegt wirkender, älterer Herr Zeitung las. Er trug einen hellen Leinenanzug und ein graues Franzosenkäppi. Auf dem Tisch lagen eine Pfeife und ein bordeauxrotes Herrentäschchen.
»Pardon Monsieur, pouvez vous ...?«
»S'il vous plâit, Mademoiselle, was kann isch für sie tun?«, antwortete der Herr in beinahe lupenreinem Deutsch und sah Daisy fragend an.
»Wir, äh ...«
»Sie möschten das Sklavengefängnis besuchen, ab isch Rescht? Venez, isch bringe Sie in.«
Daisy starrte den Mann mit dem kurz geschnittenen, silbergrauen Bart an, als ob er ihr einen Heiratsantrag gemacht hätte. Der Mann faltete seine Zeitung zusammen und erhob sich. Er war klein und untersetzt und reichte Daisy die Hand.
»Enchanté, Mademoiselle, Papiss Demba Sangaré, Professeur für neuere, afrikanische Geschischte an der Üniversität von Dakar.«
Der Professeur gab uns allen die Hand. Dann marschierte er los. »Suivrez moi, bittschön, es ist nischt sehr weit.«
Benny war der Erste, der sich von seiner Verwunderung erholt hatte und sagte: »Also los, pack ma's.«
Monsieur Sangaré mochte um die sechzig sein, war auf seinen kurzen Beinen aber erstaunlich flink unterwegs. Er war ein begabter Erzähler. Bis wir zehn Minuten später