Dschungeltanz. Aurel Levy
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Ich streckte mich und schaute an Daisy vorbei. Tatsächlich konnte ich einzelne Lichtpunkte erkennen.
»Und wie weit isses noch?«
Daisy nahm ihre Navigationskarte vom Clip und breitete sie vor mir aus. Ich kannte diese Karten mit ihren vielen Linien und Zahlen von unseren Piloten. Wie Schnittmuster aus einem Brigitte-Sonderheft für Sommerkleider hatte mal eine behauptet. Es stimmte.
»Schau mal, wir sind da.« Sie tippte auf eine Stelle im Hellblau. »Marokko zieht sich bis hier runter, dann kommt die Spanische Westsahara, Mauretanien und schließlich der Senegal. Unser Computer behauptet, dass wir um 7 Uhr 28 landen, also in knapp drei Stunden.«
Daisy lächelte. Ich lächelte zurück. Es hätte mich wirklich brennend interessiert, weshalb sie mit Benny aneinandergeraten war. Daisy und Kai verstanden sich super, und Kai war ein guter Indikator, ob jemand okay war oder nicht. Ich schätzte sie auf Anfang dreißig. Frauen kann ich wahnsinnig schlecht einordnen. Vor allem im Halbdunkel eines Cockpits. Daisy trug straßenköterfarbene Haare. Vorne kurz, im Nacken länger. Ich glaube, man sagt dazu Pagenschnitt. Oder war das ein Bob? Erinnerte mich jedenfalls an die zeitlose Eleganz unserer Bundeskanzlerin.
Daisy stammte aus Versmold. Hatte ich noch nie gehört. Kreis Gütersloh, Westfalen. Der Fettfleck Deutschlands, weil das Zentrum der Wurstverarbeitung. Daher habe sie auch ihre Figur. »Viel Pelle, wenig Taille«, ergänzte sie mit einem einen Tick zu lauten Lachen. Daisy lachte ständig, gerne über sich selbst. Es sei wie bei Hunden, hatte sie erklärt, Mischlinge seien nicht die schönsten, aber meist robust und gewitzt. Sie sei auch ein Mischling. Vater Westfale, Mutter Luxemburgerin. Von Papa habe sie die Bockigkeit, von Mama die Freude am Leben.
»Und du willst Medizin studieren? Kai hat was in der Richtung fallen lassen.«
»Wollen kann man nicht gerade sagen, aber ja, ich bewerbe mich gerade für das Wintersemester.«
»Warum machst du es, wenn du es nicht willst?«
»Weil ich reich und sexy werden möchte.«
»Aber doch nicht als Arzt«, stieg Daisy auf meine Vorlage ein, »die Zeiten sind vorbei, denke ich. Mediziner müssen heutzutage auch sehen, wo sie bleiben.«
»Bei mir reicht das Studium. Ich bekomme quasi Zeugnisgeld.«
»Echt? Cool, von wem? Von deinen Eltern?«
»Nee, von Oma.«
»Nicht schlecht. Eine reiche Oma könnte ich auch gebrauchen. Kannst du sie mal fragen, ob sie nicht noch ein süßes, kleines Mädchen adoptieren möchte? Ich kann auch ganz brav sein.« Mit fahrigen Handbewegungen richtete Daisy ihr Haar und versuchte, niedlich zu gucken.
»Vergiss es! Das nimmt dir keiner ab«, sagte Kai kopfschüttelnd.
»Meine Oma ist letzten Herbst gestorben. Sie hat testamentarisch verfügt, dass ich das ganze Erbe kriege, wenn ich den Medizin-Doktor mache.«
»Wie? Und wenn nicht?«
»Gibt es nur ein Handgeld. Aber ihren Kater darf ich behalten.«
»Das habe ich ja noch nie gehört. Entschuldige bitte, aber weshalb macht sie das?«
»Ihr Mann, also mein Großvater, war Arzt mit Leib und Seele. Scheinbar war es ihr ein Bedürfnis, dass ich in seine Fußstapfen trete.«
»Und ... warst du so gut in der Schule? Ich meine, hast du ein gutes Abi? Medizin hat doch einen NC, oder?«
»Geht so. Mit Wartesemestern und Medizinertest sollte das schon irgendwie klappen, das ist nicht das Problem.«
»Sondern? Du kannst kein Blut sehen.« Daisy gluckste.
Ich stutzte. »Woher weißt du ...?«
Ich sah zu Kai.
Der schüttelte den Kopf. »Nee, von mir nich.«
»Echt, du kannst kein Blut sehen?«
»So ähnlich. Ich kann es eigentlich schon sehen. Aber es kann passieren, dass ich mich kurz ablegen muss. Jedenfalls manchmal.«
»Plöd.« Daisy zog die eine Seite ihrer ziemlich vollen Oberlippe hoch. »Stell dir vor, du bist gerade im OP ... wobei, du müsstest ja nicht unbedingt Chirurg werden. Machst halt einen auf Radiologe. Da siehst du gar kein Blut, wenn du dich nicht an einem Röntgengerät anhaust. Oder hat Oma auch die Fachrichtung vorgegeben?«
»Nein, hat sie nicht. Aber im Studium kommt man um Blut nicht rum.«
»Klar. Und was machst du dagegen? Kann man das nicht therapieren? Heutzutage gibts doch für alles eine Therapie.«
»Yep. Genau das mache ich gerade.«
»Was ist der Stand der Dinge?«, fragte Kai, der sich nach einem Funkspruch an den marokkanischen Fluglotsen wieder einklinkte.
Ich erzählte von meiner nicht-klassischen Blutphobie, von Prangishvili und ihren Lösungsansätzen. Von der mir bevorstehenden Hypnose, einem Besuch im Schlachthof und dem geplanten Abstecher in die Pathologie.
Old Seizinger erwähnte ich nicht.
SECHS
Der Senegal liegt direkt an der Westküste Afrikas. Seine Hauptstadt heißt Dakar und greift wie ein Enterhaken in den Atlantik hinaus. Man spricht: französisch.
Mit diesem Schulbuchwissen und einem Klick auf Google-Maps als Vorbereitung hätte ich bei jeder noch so trivialen Quizshow Schiffbruch erlitten. Aber mehr war seit Kais Anruf zeitlich nicht drin gewesen.
Die Tür öffnete sich und wir wurden von einem lokalen Vertreter der German Imperial Cargo begrüßt. Was mir sofort auffiel: Afrika riecht anders. Nein, bitte, nichts gegen den freundlichen Frachtagenten. Der war so was von frisch geduscht.
Es war die Luft, die er von draußen mitbrachte. Wie wenn man in eine fremde Wohnung kommt. Da riecht es auch anders als daheim. Deswegen fällt es einem ja auf. So was wie Afrika hatte ich in meinem kleinen Dasein noch nicht gerochen. Einem Kenner der Weinsprache wären zur Beschreibung vermutlich folgende Begriffe einfallen: Palisander, gestochener Torf, Lockmittel der männlichen Silbergrasmücke und frisch aufgebrochenes Ciabatta.
Mein Urteil lautete: frische Berggorillalosung, Wäsche, die man nach dem Sport in eine Plastiktüte gegeben und dort vergessen hat und ein ordentlicher Reifen-Schwelbrand.
Das ging mir durch den Kopf, als mir der Einreisebeamte in seiner spack-sitzenden Uniform einen Stempel in den Pass drückte und mich gnädig durchwinkte. Es war wie überall. Einreisemeister ist weltweit die erste Wahl für Leute mit ausgeprägtem Geltungsbedürfnis bei gleichzeitig überschaubarem Ehrgeiz.
Kurze Zeit später saßen wir in dem Bus, der uns ins Atlantic Star Beach Hotel brachte. Ein Etablissement, das unmittelbar nach seiner Erbauung in den Sechzigern des vergangenen Jahrhunderts gute Zeiten gesehen haben mochte. Jetzt rochen die Zimmer bestenfalls noch nach Klimaanlage. Der Fußboden war mit hochfloriger Teppichware ausgelegt. Einer jener Teppiche, die einem stets ein bisschen zu feucht erscheinen.