Dschungeltanz. Aurel Levy
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Dieser Großmeister hatte mich über die Schulter gelegt und trug mich in Richtung Wohnungstür. Vorbei an Jil, die freundlich vom Sofa herüberwinkte. Mein Einwand, dass mir gerade einer der Gartenpantoffel vom Fuß gefallen sei, Afrika ohne Schuhe aber extrem uncool, wurde von Benny ignoriert. Er stopfte mich auf den Vordersitz seines ferrariroten 79er Alfa Romeo GTV, sprang selbst hinter das Lenkrad und startete den Motor.
Gerade als der Großmeister die Handbremse gelöst hatte, klopfte es an mein Fenster.
Ich kurbelte das Fenster hinunter.
»Hier ist deine Slippers. Keine Angst, Topsi, ick mack das schon mit die Wormer!« Jil reichte mir den Gummi-Puschen und nahm den Tauwurm entgegen.
Schon brauste der Großmeister mit quietschenden Reifen davon.
Ich glaube, nein, ich weiß, dass der Flug nach Senegal in dieser Nacht auch ohne Bennys Überzeugungsgabe und ohne seine Erfahrung aus diversen Oldtimer-Bergrennen stattgefunden hätte. Allerdings ohne uns. Denn die Strecke München-Feldmoching nach Frankfurt-Kelsterbach ist selbst an einem ganz normalen Dienstag-Abend vierhundertdreißig Kilometer lang. Auf meine Frage, weshalb wir nicht einfach früher losgefahren seien, erklärte mir Benny, dass er dies über eineinhalb Stunden hinweg angemahnt habe, es aber durch den Hinweis auf unaufschiebbare Projekte meinerseits mehrfach abgeblockt worden sei. Erst als klar wurde, dass die Reise ins Land der brasilianischen Nymphomaninnen mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne uns über die Bühne gehen würde, habe er sich zu Zwangsmaßnahmen genötigt gesehen.
Was ich Benny wirklich hoch anrechne, ist der Umstand, dass er nicht eine Sekunde lang den Max machte. Wobei das nicht ganz stimmt. Als ich direkt nach unserer Abfahrt – unschlüssig darüber, wohin mit meinen Händen – nach einem geeigneten Ablageplatz suchte, hob Benny warnend den Finger. Ich solle mich unterstehen. Er würde mich mit der Nase an seiner Chromstoßstange einhängen und den Rückwärtsgang einlegen, sollte ich bloß auf die Idee kommen, meine Tauwurmfinger an seinen Ledersitzen abwischen zu wollen.
Benny ist ein lässiger Hund, aber mit seinem Auto spießert er ein bisserl herum. Also verzichtete ich auf eine Belehrung, dass Wurmkacke quasi geruchsneutral war und in Ländern mit Humusmangel in Gold aufgewogen wurde. Er würde in diesem Punkt nicht mit sich reden lassen.
Rekordverdächtige zwei Stunden vierzig später schwenkten wir auf den Parkplatz für Cargo-Piloten ein, passierten die Sicherheitskontrolle und wurden von Kai und seiner Copilotin stürmisch begrüßt.
Alles wäre so unfassbar glatt gelaufen, wäre mir nicht im letzten Moment eingefallen, noch eben mal die Mails zu checken. Schwachsinnige Einfälle bestraft der Direktor des Universums bekanntlich sofort.
Im Gegensatz zu dir halten sich manche Männer an ihre Versprechen. Erinnerst du dich?
Du würdest in Jura keinen Fuß auf den Boden kriegen.
Nun willst du dich also in Medizin versuchen? Nur zu, Glück auf! Aber wundere dich nicht, wenn das mit dem Studienplatz nicht klappt ...
E.S.
Besten Dank und mit LG zurück!
Was sollte das E.S., wenn mit dem Absender [email protected] sowieso klar war, von wem das Ding stammte? Ich halte nichts von Abkürzungen und schon gar nicht in einem Drohbrief. Jetzt mal ehrlich, wie blöd muss man sein, dass man einen Drohbrief mit seinen Initialen unterschreibt? Entweder ich machs gescheit, weil ich bin die Mafia oder einer der Salafisten-Brüder. Aber dann steht unter meinem Bekennerschreiben Don Corleone oder ein cooles RAF-Logo und nicht E.S. für Erwin Seizinger.
Trotzdem versaute mir Old Seizinger irgendwie den Abend.
Gleich nach dem Start in Frankfurt hatte ich mich hingelegt. Rein körperlich war mir nach soliden zwanzig Stunden Schlaf zumute. Dennoch fand ich keine Ruhe. Woher zum Teufel wusste der Alte, dass ich mich für einen Medizinstudienplatz bewerben wollte? Ich hatte seit unserer Trennung nichts mehr von Carola gehört, geschweige denn mit ihr gesprochen. In einer konzertierten Aktion hatte mich ihr gesamter Freundinnenkreis von ihren Facebook-Freundeslisten gekickt. Was okay war. Wir hatten uns sowieso nie viel zu sagen gehabt.
Wie also hatte Seizinger von meinen Studienplänen erfahren? Und konnte er wirklich verhindern, dass ich in München einen Studienplatz bekam? In Jura von mir aus, aber in Medizin? Die Plätze wurden von der ZVS verteilt, nach strengen Vergabeschlüsseln. Da kam es doch auf Vitamin B nicht an. Oder etwa doch?
Der Alte hatte sich immer aufgeblasen, mit welchen hochgestellten Münchner Persönlichkeiten er dicke war. Vermeintlich hatte er beste Kontakte ins CSU-Hauptquartier und in die Spitzen sämtlicher Ämter und Behörden. An seinem Mittagstisch gaben sich Präsidenten und Direktoren die Klinke in die Hand. Angeblich. Gesehen hatte ich in meiner Carola-Ära niemanden. Der alte Seizinger war der Prototyp von Platzhirsch featuring J.C. Großmaul. Ich schwöre, ich werde nie mehr eine Frau anfassen mit solch einem Vater! Benny sagt immer, man müsse sich die Mütter angucken, da würden die Töchter figürlich auch irgendwann landen. Scheiß auf die Figur, ehrlich! Was interessiert mich die Figur meiner Ex, wenn mir ihr gestörter Alter mit der Machete hinterherrennt?
»Baust du da drinnen Schwammerl an oder was wird das?« Kein Zweifel, wer an die Toilettentür klopfte.
»Ich habs gleich.«
Egal ob Passagierflugzeug oder Frachtbomber – kennste eine, kennste alle. Sie haben beide, wenn es drauf ankommt, zu wenig und zu enge Toiletten. Kai hatte uns extra in die Toilettenetiquette eingewiesen. Wir hätten mit Daisy eine Dame an Bord. Somit bitte alle Geschäfte im Sitzen und hinterher den Deckel runter, weil es rausmüffele.
»Siehst du eine Chance, dass du in den nächsten Minuten rauskommst, oder soll ich mir einen Eimer suchen?«
»Jetzt mach nicht so nen Wind, bin gleichfertig.« Ich warf mir eine Handvoll Wasser ins Gesicht, wischte die Hände an meiner Frisur ab und verließ die Toilette.
»Denk dran, brav hinsetzen. Wie daheim.«
Benny verzog das Gesicht. »Wenns um die ginge,« er deutete mit dem Kopf in Richtung Cockpit, »dann müsste man eigentlich Zielpinkeln von hier draußen machen. Die hat ganz schön Haare auf den Zähnen.«
»Ist was passiert?« Ich war überrascht. Nach dem Start war Benny im Cockpit geblieben und hatte sich mit Kai angeregt übers Kitesurfen unterhalten.
»Erzähl ich dir später. Aber du wirst es selbst merken«, sagte Benny und zog die Klotür hinter sich zu. Ich machte die drei Schritte zur Kaffeemaschine und fragte mich, wie alt der Inhalt schon sein mochte.
Benny hatte sich also schon mit Kais Copilotin in die Haare gekriegt. Dabei hatte sie auf mich eigentlich einen ganz netten Eindruck gemacht. Es passiert eher selten, dass mein Kumpel mit weiblichen Wesen gar nicht kann. Selbst wenn Frauen ihm signalisieren, dass sie seinem Charme nicht erliegen würden, nimmt er das von der sportlichen Seite.
Egal. So schlimm würde es schon nicht werden.
Kai hatte nicht übertrieben. Das Cockpit der McDonnel Douglas war wirklich imposant. Riesige Seitenscheiben vermittelten das Original-Enterprise-Feeling. Ich saß hinter Captain Kai Kirk und blickte auf die Lichter der Küstenlinie herab, die in schwärzester Nacht an uns vorbeizogen.
»Wo sind wir gerade?«