1932. Helmut H. Schulz

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1932 - Helmut H. Schulz

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Mädchen: Es bleibt dabei. Es muss einen Plan der Geschichte geben, den wir vielleicht erst erkennen, wenn die Absicht des, ja, suchen wir nicht nach einem Begriff, enthüllt worden ist. Was wollen Sie? Das Ende allen Lebens herbeiführen? Das wäre auch ihr Ende.

      Der Tod: Was könnte ich noch erreichen, wenn ich etwas erreichen wollte, da Ihnen der Ausdruck Demiurg entfallen oder suspekt ist?

      Das Mädchen: Sie haben ein Gefühl für das, was wir heute Timing nennen, Meister Hans. Sie verstehen es, zur rechten Zeit zu kommen oder zu gehen. Ich kenne ein wenig von Ihrer Biografie, nicht genug, aber so viel, um zu ahnen. Sie sollten der Nachwelt etwas hinterlassen, eine Bestandsaufnahme, wenn Sie wollen.

      Der Tod: Solange ein Schwachkopf fragt, ob es an der Zeit sei, euch aus der Geschichte zu entlassen, nicht bedenkend, dass die ewige Frage: Wie war das möglich?, mit einem Kniefall der Unterworfenen enden muss. Fragen wir nach! Führen wir die Fäden zusammen, die lose und unbeachtet liegen, von keinem wahrgenommen. Kennen Sie sich in der Edda aus? Dort ist ein Jarl Einar erwähnt, ein Krieger und Kaufmann der Wikingerzeit. Ich gedenke mit anhaltender Sympathie seiner Nachkommen, nicht allein des genetischen Aufwandes willen; dieses Beispiel könnte Sie darüber belehren, Magister, dass alle eure Lieder nach dem Zeitgeist gesungen werden.

      Von den Ursprüngen und den Übergängen

      MOOG. Riga, diese düstere Stadt, die Moog erst als Erwachsener mit eigenen Augen sah, war von den Einars mitgenommen worden in die Zuflucht Berlin. Also kannte Moog, letzter Spross der Familie, den Fluss Düna, den rigaischen Meerbusen, die endlos langen sandigen Strände aus den magischen Beschwörungen der Vatersschwester Helga Helgadottir Katharina Einar, nachmals Akulina Baronin Sustschina-Einar. In Erinnerung geblieben waren dieser Tochter der Sippe Einar die Bilder einer verlorenen Welt, der rötlichgelbe samländische Bernstein, der rauchbraune schwarze Diamant des Meeres, das milchige Weiß des nordischen Mittsommers, vielleicht die schwermütigen Töne einer Flöte in den weißen Nächten; es blieb allen Einars der Mythos ihres Ursprunges.

      Sie erzählten ihn sich und Moog so ...

      Vor undenklichen Zeiten, wie viele, wie alle Urkunden bewiesen, waren die Einars, Abkömmlinge deutsch-skandinavischer Kauffahrer, von dem Bischof Albert von Livland gerufen worden; von wem gerufen?, gleichviel, sie waren eben gekommen im Gefolge abenteuernder, kolonisierender Hanseaten, Seefahrer, Kaufleuten, eisengepanzerten Schwertbrüdern, hatten sich um die Bucht von Riga festgesetzt und ausgebreitet und unterworfen, das Herrenvolk gebildet. Ihnen ward das erbsessene Schultheißenamt verliehen; die Gerichtsbarkeit übten sie aus, hatten das Mühlen-, Bau-, Jagd- und Fischrecht inne. Sie nannten sich die Lokatoren und teilten die livländische Erde unter sich auf, und es kamen die Zeiten schweren Reichtums und eisenstarrender Macht. Wer noch im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation war so frei? Der alte Christengott hatte ihre Schwerter und ihre Buchführung wahrlich gesegnet; er hielt es von Generation zu Generation mit ihnen. Sie ließen ihre Söhne das römische Recht und das deutsche studieren, an den Universitäten und Schulen in Dorpat, in Riga und in den alten deutschen Reichsstädten; sie stellten Richter, Kämmerer, Schöffen, Magistrate und Senate. Und ihnen war die Kraft und die Macht und die Herrlichkeit Gottes. Das ging durch die Jahrhunderte; erst das zwanzigste beschloss die gehüteten, die heilig gehaltenen Rechte und Traditionen und schuf Wandel, unmerklich und friedlich zunächst.

      Es heiratete Moogs Vatersschwester Helga Helgastochter, christlich getauft und streng protestantisch erzogen, aus diesem alten Geschlecht, den russischen Gardekapitän Nikolaj Wladimirowitsch Sustschin, einen baltisch-slawischen Grundbesitzer, der glühend tief eingewurzelt in der russischen Adelskultur, Panslawist, allrussisch und orthodox war. Zwar hatten sich die Deutschen an das russische Element im Baltikum gewöhnt; dennoch lebten die Volksgruppen abgeschlossen. So galt den Einars diese Ehe als eine Ausnahme, als ein Regelverstoß. Deutsche, Letten, Russen und in kleinerer Anzahl auch Juden und Polen lebten seit Jahrhunderten wohl eng zusammen, aber doch reinlich voneinander geschieden, wenn nicht in tödlichem Hass, so doch in gleichgültiger Duldung und Geringschätzung des lettisch-bäuerlichen Elementes. Mit der neuen Verwandtschaft nahm Helga Katharina Einar, gerade siebzehn Jahre alt, als sie den Gardekapitän kennenlernte und sich in ihn verliebte wie er sich in sie, den griechisch-orthodoxen Glauben an und zog von der deutschgeprägten Altstadt um in das alte lettgallische Quartier Rigas, südöstlich der Eisenbahnlinie, dem Sitz des ältesten livländischen Adels und eines Teiles der in Riga ansässigen russischen Oberschicht. Im Südwesten auf der linken Dünaseite trugen die Orte und Inseln noch die Namen aus der Schwedenzeit, dem langen Nordischen Krieg. Sie hießen Kiepenholm, Mückenholm, Klüversholm; aber 1710 wurde Riga russisch, und all die stolzen Nachkommen der ehrliebenden Hanseaten hatten sich unter das russische Joch beugen müssen. Mit ihrer höheren Kultur, dem Ritter- und Schwarzhäupterhaus als sichtbare Zeichen, wussten sich diese Geschlechter, die Nachfahren der hanseatischen Kolonisatoren, gleichwohl im Besitz erheblich älterer Rechte. Sie waren die bessere Rasse, die überlegene, zur Herrschaft berufene. Und in der Tat hatten sie diesem Teil der nordöstlichen Welt Europas ein unwandelbar deutsches Gepräge gegeben und der Stadtpersönlichkeit Rigas die Kulisse von Fleiß und Schönheit. Nur schwer verwanden es die deutschen Angehörigen, dass sich eine ihrer Töchter der Süße und Mystik der Orthodoxie nicht nur widerstandslos hingab, sondern diesen Glauben alsbald sogar fanatisch ausübte. Mit dem neuen Taufnamen Akulina Katharina russifizierte sich diese Tochter der Einars weiter; sie fand denn auch Gefallen am moskowitischen Schlendrian und an der ungewöhnlichen Verschwendungssucht ihrer reichen russischen Verwandten. Noch hielten die nüchtern wägenden, streng rechnenden protestantischen Einars an sich, wenn sie sahen, wie die jugendliche Gattin des Gardekapitäns im neuen Erlösungsglauben zu versinken schien, der Mystik, wie sie üblich geworden war am Zarenhof, mochte auch in Riga und im Baltikum daran vieles nur Nachahmung und gemildert sein.

      In den Petersburger Salons pflegten die Wundertäter seit dem Einzug Alexandras, der Deutschen, ein- und auszugehen, und in der vom Zarenpaar geliebten Residenz Zarskoje Selo, bald der alleinige Aufenthalt Alexandras und Nikolajs, gaben sich alle Mystagogen und Scharlatane die Klinke in die Hand, ganz zuletzt, alle aus dem Feld schlagend, der Sektierer Grigori Jefimowitsch Rasputin, der heimliche Regent Rußlands, wie es übertreibend hieß. Die Zarin Alexandra Feodorowna, die in Rußland gehasste Deutsche, ebenfalls wie die Sustschina zum Byzantinertum konvertiert, vertraute ihren vielen Wahr- und Weissagern allzu oft schwärmerisch, vielleicht mit gelegentlichem Zweifel, aber doch wieder bedingungslos.

      In jener Zeit begann sich die jugendliche Baronin Sustschina-Einar mit dieser Zarin, wie mit einer Schicksalsgenossin zu identifizieren. Der Starez Rasputin feierte unter dem einerseits allrussischen, andererseits skeptischen und westlich aufgeklärten balto moskowitischen Adel kaum Triumphe. Weiter als bis St. Petersburg kam der Wundertäter nicht, aber seine Existenz strahlte aus, wie es im Zarenreich nicht anders sein konnte. Hielten sich die Einars von diesem Spuk auch fern, so blieb die Baronin Sustschina doch ihre Tochter, Schwester, Enkelin und Nichte. Noch auf dem Sterbebett hatte Moogs Großvater, der älteste Chef der Anwaltskanzlei, kaiserlich-wilhelminischer Konsul und Hochmeister der Familie obendrein, weit voraussehend alle Einars zur strengen Loyalität gegenüber der verlorenen Tochter, die übrigens in ihrer Mädchenzeit eine der gefeierten nordischen Schönheiten war, verpflichtet. Ihr fiel ein bedeutendes Erbe zu, wie auch ihren Brüdern, Hermann Karl Einar und dem jüngeren Thorstein; ersterer übernahm die Praxis des Heimgegangenen und führte sie weiter, während sich der andere in London niederließ ...

      Die Fenster des mächtigen alten Stadtpalais der Einars, einem ererbten Grundbesitz in der Bremer Straße, lagen in Richtung der Düna, am rückwärtigen Teil des Grundstückes erhob sich der Dom, und auf dem Herderplatz unweit des Gotteshauses stand das Denkmal des deutschen Klassikers, der einen Teil seines Lebens im Baltikum verbracht hatte. Indessen gab es vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges keine größeren oder auch nur schwerer wiegenden Konflikte zwischen den Volksgruppen; suchte ein Klient den Anwalt Hermann Karl Einar auf, so wurde er vom Bürovorsteher zunächst nach seiner Herkunft peinlich befragt und dann

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