1932. Helmut H. Schulz

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1932 - Helmut H. Schulz

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dort nicht wohl, ihm lag auch nicht viel daran, an anderen Revolutionshelden gemessen zu werden, wie sie als Figuren der Zeit neben allen möglichen anderen Abenteurern aufzutreten begannen und ihre Geschichten verbreiten ließen. Einem Filmhelden Max Hoelz, wollte Einar nicht gerade im Salon der Mätresse eines bürgerlichen Politikers begegnen. Links und revolutionär zu sein, das war zwar immer noch Mode, ein schaler Nachklang der bewaffneten Kämpfe des November 1918 und des Januar 1919, von Seichtköpfen auf den Bühnen der Theater, in den literarischen Cafés und in den Salons des Kurfürstendamm inszeniert und produziert. Einar misstraute diesem Treiben, die Revolutionskultur war ihm politisch zu verwaschen, zu verlogen und zu sentimental, der herausgestellte Pazifismus gewisser Kreise erschien ihm weltfremd und lächerlich. Überdies wusste er zu genau, wie sich Intellektuelle in ihrer Mehrheit im wirklichen Kriege benehmen ....

      Auch die Baronin Sustschina-Einar hatte sich gewandelt, falls ihre kurze und schwärmerische Zeit der Ehe und der neuen Religion nicht bloß Vorspiel für den Durchbruch ihrer wahren und kraftvolleren Persönlichkeit gewesen war. Aus der weichen Süße des Byzantinertums, der strahlenden Liturgie, der Anschauungsweise des orthodoxen Erlösungsglaubens wechselte sie zurück in den harten Lutherismus ihrer Ahnen, und ging bald in ein germanisches Neuheidentum auf. Sie zog auch die Schwägerin in den Bann des neuen Glaubens an den rettenden, welterlösenden arischen Messias, der den mosaischen Urfeind austreiben würde, und ihre Fürsorge für Schwägerin und Neffen gipfelte in der Vorstellung, sie sei die wahre Mutter des Knaben Moog, da sie ihn gleichsam auf ihren Händen aus dem Feuer getragen hatte. Isolde, Tochter eines Musikprofessors, Direktor eines Konservatoriums in Lübeck und Wagnerianer, stand dem Nibelungenkult nahe genug ...

      Im Sommer des Jahres 1932 waren alle diese Entwicklungen und Verpuppungen bis zu einem gewissen Grade abgeschlossen; der Anwalt saß als Abgeordneter der Nationalsozialisten im Reichstag. Er befasste sich neben seinen Prozessen und dem Notariat viel mit Siedlungsfragen und Problemen der Raumordnung. Obschon er die Lebensmitte überschritten hatte, übte er sich im Laufen und Schwimmen und anderen Leibesübungen, vielleicht bloß aus seinem starken Lebensgefühl heraus. Aber die Zeit und die Arbeit gruben weiter ihre Spuren in sein Gemüt. Er ließ sich manchmal gehen, das heißt, er gab die Kontrolle über sich bewusst auf, wurde launisch und unberechenbar. Und analog veränderte sich die Baronin. Jünger als ihr Bruder schien sie auf ein eigenes Leben immer stärker Verzicht zu leisten, nicht nur weil sie ihm und seinem Sohn diente. Isolde, die Gattin des Anwalts blieb von diesen inneren Schwingungen des problematisch veranlagten Geschwisterpaars unberührt. Ein wenig schien sie neben diesen beiden herzuleben, sie war naiver, wurstiger, weniger von Leidenschaften bedroht. Man nahm sie, wie sie war, das heißt, bei aller Liebe, die der Anwalt für sie empfand, nicht für voll. Dazwischen hatte das Schicksal den jungen Sohn Einars gestellt. Für ihn sollte alles getan werden, um ihn glücklich zu machen ...

      Moog also, ein nordischer Odysseus, wenn man die Fluchtreise als eine geplante Irrfahrt ansehen will, blieb der vorerst letzte Einar. Einst waren seine Ahnen über die Bucht nach Livland gekommen, um den Heiden die westliche Arithmetik des Schwertes und der Buchführung zu bringen. Sie hatten ihre Ordnung, ihre Kultur, ihre Sprache in das neue Land eingepflanzt, andere unterworfen, sie waren selbst unterdrückt worden, mussten mit der moskowitischen Lebensweise ins Reine kommen und hatten zuletzt alles verloren.

      Hier würde die Geschichte Moogs enden, wären die Zeiten beschaulicher gewesen, aber Moog war nicht nur Einars Sohn, nicht nur der auserwählte Neffe der Baronin Sustschina-Einar, er war auch Zeitgenosse und Opfer einer revolutionären Ära. Alle Erzieher des Menschengeschlechtes trachten danach, einen neuen, einen von Grund auf verbesserten und tief geläuterten Menschen in die Natur- und Humangeschichte einzubringen. Auf Biegen und Brechen, also eher auf Brechen, waren all diese sozial-pädagogischen Programme gegen die menschliche Unvollkommenheit durchzusetzen, was Hermann Karl Einar, der Krieger, nach Anschauung und nach seiner Überzeugung als einen hundertjährigen, einen ewigen Krieg bezeichnete.

      1. Kapitel

      BERLIN. Einar, Moog Hermann Karl durchwandert das Labyrinth des Bahnhofes Friedrichstraße, eine imposante mehrgeschossige Konstruktion unter- und überirdischer Bahnsteige, Treppen, Schleusen, Türen, Schalter und Aufzüge. Er passiert die erste einer Reihe von Kontrollstationen, reicht seinen Reisepass hin, nimmt nach Aufforderung seinen Hut herunter, zeigt gleichmütig seine linke, dann die rechte Seite seines Profils und wartet das Ergebnis der Prüfung ab. Im Inneren des Schalters wird gegenwärtig sein Pass untersucht, werden seine Lebensdaten in den Rechner eingegeben. Die Erlaubnis zur Einreise in diese Stadt, Berlin Hauptstadt der DDR, hängt vom Ergebnis der Überprüfung seines Passes ab. Nicht dass er Grund zur Unruhe hätte, keinen aktuellen jedenfalls; zudem ist er solche Prozeduren auf Reisen gewöhnt. Hier jedoch wundert es ihn immer wieder erneut, dass er beim Übergang von der einen auf die andere Seite nicht nur den Staat, die Ordnung wechselt, sondern dass er seine innere Mitte verliert, ein anderes Ich, das Alter Ego eines Fremdlings verliehen bekommt.

      Am nächsten Schalter erhält er seinen Pass zurück; es ist ihm erlaubt, sich vierundzwanzig Stunden lang in dieser Stadt aufzuhalten. An einer der nächste Kontrollstellen wird der Inhalt seiner Reisetasche durchgesehen. Sie enthält einige Gegenstände, die Moog Einar auf Reisen nicht entbehren mag, das Rasierbesteck etwa, kleinere Wäschestücke, manches andere noch. Merkwürdigerweise beanstandet der Zöllner das Fehlen von Büchern; ihm fällt auf, dass ein Reisender mit Kurzaufenthalt im Berliner Osten, ein Doktor phil. ja immerhin, nichts Entsprechendes mit sich führt, sei es, um einem Verwandten, oder einem seiner Fachkollegen zuzuschmuggeln, was dieser nicht besitzen darf, keine Literatur, kein Buch der anderen Seite, keine Zeitungen und Zeitschriften. Listig erklärt der im Wechseln seiner Identität erfahrene Einar dem Zöllner die reale Lage, dass seines Wissens Mitnahme wie Einfuhr jeglichen bedruckten Papiers als in hohem Grade staatsgefährdend den sofortigen und sogar dauernden Ausschluss von den Reiseerleichterungen im innerdeutschen Verkehr nach sich zöge, es ihm daher geraten erschien, ohne belastenden Lesestoff zu einem Besuch der Stadt Berlin, Hauptstadt der DDR, aufzubrechen, und somit allen Verwicklungen aus dem Wege zu gehen, er, ein Rentner überdies und völlig harmlos. Schweigend wird Einars Deutung der Verhältnisse im kleinen Grenzverkehr nicht akzeptiert, er wird berichtigt, es handele sich nicht um den innerdeutschen, sondern um den Verkehr zwischen zwei souveränen, Hoheitsrechte ausübenden wahren Staaten, allerdings zufällig auf deutschem Boden liegend. Er darf jedoch die überprüften Gegenstände eigenhändig einpacken, was er ohne zu murren tut, er wendet sich einem der Ausgänge zu, muss noch die Eintrittsgebühr in die Stadt entrichten und wird endlich nach einer letzten und schon recht oberflächlichen Kontrolle ans Tageslicht entlassen ...

      Nun wundert es ihn aber doch, nicht darüber befragt worden zu sein, welchen Geschäften er denn an diesem vierten Novembertag des Jahres 1989 nachzugehen gedenke, eines besonderen, eines bedeutenden Tages, wie sich erweisen wird. Und er selber hätte kaum darauf eine genaue Antwort geben können. Es war eben ein Zufall, kein dringend notwendiger Besuch steht auf seinem Tagesprogramm, eine Visite, von der er nicht weiß, wie sie ausgehen wird, vor der er sich länger als ein Jahrzehnt gedrückt hat. Indessen ist Einar schon ein Stück in die ihm gut bekannte Friedrichstraße hineingekommen, kurz vor der Weidendammer Brücke hält er und blickt auf das trübgraue Wasser der Spree und vor ihm liegt ein gewaltiges Pensum Stadt und deutscher Geschichte, ein Lehrkapitel für Moog Einar, seiner Profession nach ein Historiker für neuere Geschichte. Viele Jahre ist er nicht hier gewesen, seit dem Tode Isolde Einars, seiner Mutter, nicht mehr. Es gab einfach keinen Grund, Berlin aufzusuchen. Er ließ sie im Norden der ausgedehnten Stadt zur letzten Ruhe betten, in der Familienruhestätte der Einars, obschon sie nie eine Einar gewesen ist und keine hätte werden können. Und obendrein die erste und einzige Tote des Familiengrabes, einer Ruhestätte seinerzeit für eine Ewigkeit angelegt. Totensonntag steht vor der Tür; und es gehört wohl zu den über die Tage hinausgehenden Sohnespflichten, ihr einen Kranz oder wenigstens einen Handstrauß aufs Grab zu legen, das übrigens von den Friedhofsgärtnern gepflegt wird.

      Einar entscheidet keinen Besuch der Grabstätte, nicht heute, zu weit bis hinaus nach Weißensee, endlose Lauferei

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