1932. Helmut H. Schulz

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1932 - Helmut H. Schulz

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Übel betrachtete: Politik ist Schicksal, lautete sein Wahlspruch. Er hasste die parlamentarische Demokratie, die ihm als Mandatsträger Immunität sichert; er verabscheute den Parteienstaat. Seit er das Reichstagsmandat errungen hatte, musste er überdies auch noch gewisse Rücksichten auf die Empfindlichkeiten manch eines seiner Mitstreiter nehmen, zumal auf den einen, Strasser, den Vorsitzenden der Fraktion, einer Macht in der Partei und ein Intrigant ...

      Als Anwalt neigte er eher zum außergerichtlichen Vergleich, wo er sich zivilrechtlich betätigte, was seltener geworden war, und wenn eine gerichtliche Entscheidung gegen seinen Antrag ausfallen konnte, ließ er sich mäßigend hören; in der Fraktion scheute er den langen Streit. Moog entsann sich eines Tages, als sie dem Führer vorgestellt worden waren, der sich aus Anlass einer Parteikontroverse kurzfristig in Berlin aufgehalten hatte. Sie trafen ihn in einer Stube des Hotel Kaiserhof, seinem Berliner Hauptquartier; der Führer saß an einem kleinen Tisch, umgeben von zahlreichen Leuten, Männern und Frauen, und der Anwalt reichte ihm verschiedene Papiere zu. Aber der Führer drehte die Akten unschlüssig, was er damit tun sollte, hin und her, und reichte sie dem Anwalt zurück. Frank solle es sich ansehen, entschied er. Dann hatte sich Einar vorgebeugt und dem Führer etwas zugeflüstert, worauf dieser den Kopf zu ihnen wendete; die Sustschina und er, Moog, traten heran. Laut hatte der Anwalt gefragt, ob er sich erlauben dürfe, dem Führer Schwester und Sohn vorzustellen? Der Führer erhob sich und machte eine Verbeugung, in vollendeter Höflichkeit, sagte der Baronin mit leiser Stimme ein freundliches Wort, strich ihm, Moog, mit der Hand über den Schopf, und lud sie mit einer Armbewegung zum Sitzen ein. Es war eine private Begegnung; in dem Gespräch, das der Führer mit der Sustschina führte, war von ganz normalen Dingen die Rede, vom Wetter, von Autos und von Pferden und der Führer bedauerte, wenig von diesen schönen edlen Rassetieren zu wissen. Dann trat ein Mann an den Tisch und beendete diese Begegnung. Der Führer erhob sich und sagte wie bedauernd: »Meine Parteigenossen ... «

      In den Tagen nach diesem unerwarteten Höhepunkt hatte sich die Tante in sich zurückgezogen, um das Erlebnis dieser Begegnung zu verarbeiten. Sie sprach später selten über ihre Empfindungen; der Anwalt schwieg übrigens zu den gelegentlichen euphorischen Äußerungen seiner Schwester über den Eindruck, den der Führer auf sie gemacht hatte. Ihre Hingebung an den von ihr sehr verehrten Mann, einer Lichtgestalt, schien der Anwalt nicht ganz zu teilen. Frauen empfinden anders, ward ihm vom Vater auf seine Frage geantwortet worden. Moog hatte lediglich die Erinnerung an einen körperlich nicht sehr großen und ziemlich zerstreuten Mann bewahrt, der in Eile war ...

      Während der Abwesenheit Einars hatte die Tante seine Erziehung geleitet und hartnäckig einen Mann und Krieger aus ihm zu formen versucht. Sie hielt Reitpferde, eine passionierte Dressurreiterin, und wenn der Knabe ins Frühstückszimmer kam, fand er sie im Reitkleid vor, vom Frühstall kommend oder dahin aufbrechend. Seit seinem fünften Lebensjahr nahm sie ihn mit nach Münchehofe, einem Nest an der großen östlichen Heerstraße nach Frankfurt, wo sich ihr Anwesen befand, ein kleines Gehöft aus Stallungen mit einigen Boxen zum Einstellen ihrer Pferde, einem Wohnhaus und dem Abreitplatz, alles betreut von einem ehemaligen, durch einen Reitunfall hinkenden Jockey und einem alten Mann als Stallgehilfen. Sie brachte auch hin und wieder ein Vollblut auf die nahe Hoppegartener Rennbahn, nahm aber den Rennsport nicht wichtig genug, um sich auf ihn einzulassen. Auch Moogs Vater war für das Turnier zu beschäftigt mit Beruf und Mandat, auch nicht mehr jung genug, zeigte sich bei Gelegenheit im Stall, oder er begleitete sie auf einem Warmblut, einem kraftstrotzenden Hannoveraner ins Gelände, der biss und schlug, einem wahren Kampfstier, den nur der Anwalt zu bändigen verstand. Erst nach der Morgenarbeit begann ihr Arbeitstag an der Seite des Bruders. Die beiden Erwachsenen tranken Tee, Moog Kakao, und erst gegen Ende des manchmal ausgedehnten Frühstücks etwa an Sonntagen erschien Isolde Einar, die Mutter, eine Langschläferin und nichts bezeugt ihre eigentümliche Stellung in der Familie mehr als die Nachsicht, mit der die dominierenden Geschwister diese kindische Undiszipliniertheit und Schlafsucht behandelten. Das Verdienst der Gattin des Anwaltes bestand darin, seine, Moogs Mutter zu sein, die Mutter eines Knaben, der zu vielen Hoffnungen berechtigte und auffallend schön zu sein ...

      Vom mütterlichen Zweig der Familie wusste Moog wenig, aber doch so viel, dass es sich um keine vollwertigen Menschen handelte. Isolde war eine geborene Arzt. Ihre Eltern betrieben in Lübeck eine musikalische Lehranstalt, ein Konservatorium, wo junge Damen und Herren auf das Studium an einer staatlichen Musikhochschule vorbereitet wurden, und zwar in Gesang, Klavier, Violine und einigen weiteren Instrumenten. Moogs Großvater trug sogar einen Titel, Professor, er hatte ihn verliehen bekommen oder ihn sich einfach angemaßt, wie die Baronin vermutete. Aber der Professor Arzt konnte seine Kritiker auch auf gewisse Erfolge bei der Einstudierung und Aufführung der großen Bach-Werke im Lübecker Dom verweisen. Er hatte eine viel gelobte Biografie des großen Organisten Dietrich Buxtehude verfasst, und er mischte sich in alle Streitereien zeitgenössischer Kirchenmusiker ein und hielt Umschau nach neuen Kampffeldern. Seine Gattin, Isoldes Mutter, immerhin doch eine ehemalige Kammersängerin mit einem schrillen Organ, brachte eine Schar Eleven bei ihrer Heirat in das Etablissement. Unter väterlicher Anleitung hatte die kleine Isolde das Klavierspiel erlernen, dank mütterlicher Unterweisung ihre Altstimme ausbilden müssen, da es zum Sopran nicht gereicht hatte, mit nur mäßigem Erfolg. Ihr fehlte es an Ehrgeiz. Als Choristin war sie im Winter 1914 nach Riga gekommen und hatte die Aufmerksamkeit Einars anlässlich eines Konzertes geweckt. Der Anwalt liebte an der Musik vor allem die großen erhabenen Chorwerke der Orgelmusik. Andererseits besaß er jedoch genügend Verständnis für dramatische Opern und Symphonien, um mit Genuss immerhin zuzuhören. Die jugendliche Sängerin in der ersten Reihe des Chores war ihm wegen ihrer zierlichen Gestalt aufgefallen; es war bitterkalt, draußen wie drinnen im Dom, und Einar lud den Chor kurzerhand mitfühlend zur Bewirtung in sein Haus. Zwischen ihm und der jungen Sängerin standen Lebensjahre; die Baronin, selbst gerade verehelicht, mit ihrem Stabskapitän, blieb gegenüber der sich anbahnenden Liebe ihres Bruders zu dem jungen Ding zurückhaltend, vielleicht aus geschwisterlicher Eifersucht, vielleicht auch aus anderen Gründen; sie war gelegentlich auch Prophetin. Der Anwalt erfuhr schließlich, dass der kleinen Choristin, da sie in der Musik versagt hatte, bestimmt worden war, der Menschheit karitativ zu dienen, ihre Wunden zu verbinden und zu heilen und fremden Schmerz zu lindern. Allein ihm schien, dieses Mädchen sei wohl doch zu Besserem bestimmt, als zur Krankenschwester. Isolde war im dritten Kriegsjahr seine Frau geworden, er hatte sie entführt, als die Musikerfamilie der Heirat nicht dienlich schien. Isolde lebte also schon in seinem Hause, als die Heiratserlaubnis endlich vom Professor, ihrem Vater, nach haltlosen Duellforderungen, wie der unsinnigen Drohung mit gerichtlicher Verfolgung des Mädchenraubes und lautstarken Invektiven erteilt wurde. Wahrscheinlich aber waren die Arzts am Ende heilfroh gewesen, eine ihrer zahlreichen Töchter versorgt zu sehen. Kurzum, es handelte sich um eine Liebesheirat, um eine Leidenschaft, die sich der Anwalt mitten im Krieg geleistet hatte, zum Zeichen, dass er nicht beabsichtigte, ausschließlich dem Kriegsgott zu dienen ...

      Der energische, gut aussehende Baltendeutsche von strahlender Männlichkeit, zudem noch wohlhabend ohne Spießer- und Muckertum, hatte das Herz Isoldes leicht gewinnen können, zumal sie sich in der Tat weder für die Heilkunst bestimmt, noch zur Sängerin berufen fühlte. War diese Ehe glücklich? Gewiss! Der Anwalt liebte seine Frau heftig und besitzesfroh wie in den Tagen der ersten Liebe, was ihn nicht daran hinderte, zu tun und zu lassen, was er für richtig hielt. Isolde Einar blieb von weiten Bereichen seines Lebens ausgeschlossen. Sie war es zufrieden. Mit den Jahren entwickelte sie eine gewisse freundlich-kritische Distanz zu ihrem erfolgreichen Mann, dessen Verehrung sie durchaus genoss. Das oder so ähnlich hatte es die Schwester Einars vorausgesehen. Die Frage, ob er mit einer tatkräftigeren Frau an seiner Seite glücklicher geworden wäre, stellte die Baronin klugerweise nicht, da sie ihren Platz an der Seite des geliebten und angebeteten Bruders gegen das schöne Spielzeug des Anwalts nicht verteidigen musste. Ihr würde er immer bleiben. So lebte er mit zwei Frauen; was ihm die eine nicht gab, das bekam er reichlich von der anderen ...

      Das Geburtsjahr Moogs war ein schlimmes Jahr, nicht nur im Baltikum. Einar führte Krieg. Der Rechtsanwalt und Krieger fand seine Frau erst Jahre später wieder, den Sohn Moog im Kleinkindalter. Seine Gattin hatte sich der Sustschina als der Überlegenen und Älteren längst untergeordnet. Leicht hätte man

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