1932. Helmut H. Schulz

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1932 - Helmut H. Schulz

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weißen weichen Händen, fleischig wie die Tatzen eines Bären und genau so empfindsam, machte sich wenig aus dem russischen Tee, aber er hatte seine Gründe, die Einladungen der Deutsch-Baltin anzunehmen und das wässrige Zeug aus ihrem Samowar zu trinken. Weiter pflegte sich regelmäßig ein stiller Mann im blauen Marinetuch einzustellen, der allgemein mit Kapitän angesprochen wurde, aber niemals das Wort nahm, was selten war in dieser aufgeregt redseligen Zeit, und der doch als ein bekannter Frondeur des Zeitalters galt. Dieser Mann, den der Anwalt in einem Prozess verteidigt hatte, als jener unter Anklage stand, Schiffbrüchige ermordet zu haben, der verurteilt worden war und entflohen, der unerkannt lebte, stand nun unter dem Schutz der Geschwister. Unter die Gäste mischten sich junge Leutnants und Fähnrichs aus dem baltischen Freikorps, sämtlich ohne Einkommen und alle ohne Zukunft, in schäbige Windblusen gehüllt, halb verhungert, aber von der Baronin mit Aufmerksamkeit behandelt, die ehemaligen Kriegskameraden des Anwaltes aus der Bürgerkriegszeit und von diesem mit kleineren Geldsummen unauffällig und taktvoll unterstützt. Frauen fehlten im Salon der Tante, ausgenommen sie selbst und die Schwägerin Isolde natürlich, Moogs Mutter. Auch der Anwalt versäumte selten eine dieser Soireen. Lachend bezeichnete er den Salon der Schwester als einen Gefechtstand ...

      Moog musste in die Volks- oder Gemeindeschule gehen. Er traf auf Kinder des unteren Mittelstandes zumeist; er verabscheute ihren Geruch und er hasste ihre Gewohnheiten, wollte auf Distanz bleiben, sah sich als Sohn seines Vaters von allen Mitschülern und Lehrern umworben. Vater und Tante hatten ihm bedeutet, es gezieme sich für ihn, dieses deutsche Volk wo nicht zu lieben, so doch zu behandeln wie ihnen gleichgestellt, mochte es sich auch anders verhalten. Durch Einladungen seiner Klassenkameraden war der junge Moog in andere Wohnungen gekommen, und er hatte gesehen, wie sich weniger Wohlhabende als die Einars einrichteten, nämlich behaglicher. Bei ihm Zuhause standen in den Dielen zwar mächtige dunkle Truhen und hohe alte flämische Schränke, aber selbst im Esszimmer waren die steiflehnigen Stühle mit ihren Sitz- und Rückenleder aufgeprägten Motiven nicht eben zum Sitzen gut. Nur die kleinen Zimmer der Mutter und der Salon der Sustschina waren freundlicher und ein wenig möbliert, der mit Sesseln und zerbrechlichen Tischen, die gläserne Vitrinen waren angefüllt mit dünnwandigem kostbarem Porzellan und den speziellen russischen Lackschachteln und ihren Märchenmotiven. Das Speisezimmer der Einars, ein dunkler langer Saal, wurde nur selten genutzt und nie geheizt. Dort befanden sich um einen langen Tisch vierundzwanzig Stühle mit den Wappen der alten Hansestädte im schwarzen Leder, und über einer Anrichte mit gewaltigen silbernen Schüsseln und Servierplatten hing ein Gemälde, auf dem leuchtend rote Früchte und allerlei erlegtes Wild, Rehe, Schnepfen und Enten, noch im Gefieder, auf schwerem grünen Samt lagen. Moog hatte, nicht ohne vermessenen Stolz auf diese Einrichtung, seine Kameraden durch die Wohnung führen dürfen und auf die erstaunte Frage, weshalb so viele Zimmer leer und ungenutzt blieben, keine andere Antwort als diese zu geben gewusst, so sei es immer gewesen in Riga, obschon er das Stadtpalais der Einars gar nicht kannte ...

      Die Samoware aus Tula auf Tischen mit Intarsienarbeiten in den Zimmern, die Teegläser in metallenen Körbchen und die fingerhutgroßen Goldbecher aus den sibirischen Werkstätten, die lackierten Kästchen, leuchtende Blumen oder Troikas hatten Bewunderung und Staunen erregt, und Moog erkannte damals wie exotisch die Einars den Reichsdeutschen, diesen munter plappernden Berlinern zumal, erscheinen mussten. Das Russisch sprach er schon geläufig und fast so gut wie Deutsch, seine Muttersprache. Moogs Mitschüler in der örtlichen Gemeindeschule, in die er damals gehen musste, weil es dem Anwalt beliebte, ihn mit dem Volk leben und leiden zu lassen, behandelten ihn also achtungsvoll; selbst manch einer der Lehrer bemühte sich um die Gunst dieses jungen Schülers. Erst durch die Befragung, woher er komme und wer er sei, ging ihm denn auch auf, welche Entfernung der Vater bewältigt hatte, auf der Flucht vor den Feinden, Tausende Kilometer zwischen Riga und Wladiwostok, gewaltig und für einen Knaben ganz unvorstellbar, selbst mit der Transsibirischen Eisenbahn eine Reise von vierzehn Tagen. Das gab Moog einen Sonderstatus und in der Tat war er den eingeborenen Kindern in etwas schwer zu Benennendem überlegen. Eine frühe Reife vielleicht, aus der Lage dominierender Minderheiten begründete Ursache, Anlagen, die sich weiter vererbten. Jedermann war davon überzeugt, dass ihm eine große Zukunft gehöre. Ohne es zu wissen, war Moog auf seine künftige Rolle in der kommenden Gesellschaft vorbereitet worden; er wusste früh, früher als andere, dass diese Republik aus Weimar nur Übergang sein konnte und durfte. Im Grunde sah er in seinen Mitschülern ihm widerstrebende Obskuranten, bestenfalls Gefolgsleute, die er duldete, wie es zu seinen Pflichten gehörte, ihnen gegenüber unbedingt zuverlässig zu sein oder Loyalität ihnen gegenüber zumindest anzustreben. Alles lief bei ihm darauf hinaus, Ordnung zu halten, Ordnung letztlich in Natur und Gesellschaft als unverrückbar und ewig zu erkennen ...

      In dem kleinen Salon der Tante gab es also bequeme Sessel und Sofas, Tische und Stühle mit zierlich geschweiften Beinen. Es saß sich ganz angenehm bei ihr. War Einar in der Kanzlei oder, zwangsläufig ein häufiger Fall, in seinem Arbeitszimmer, hielt sich die Sustschina bei ihm auf. Die Geschwister bemühten sich vergeblich, einen Prozess gegen die lettische Republik in Gang zu bringen. An sich waren ihre Ansprüche zwar völker- und staatsrechtlich fragwürdig, Lettland inzwischen völkerrechtlich anerkannt, aber: par in parem non habet iurisdiktionem. Lettland war ein Staat, die deutsche Republik auch. Durch ihre Heirat mit dem ermordeten Stabskapitän war die Baronin zur Erbin oder Miterbin seiner Hinterlassenschaft geworden, das sie nicht in Besitz nehmen konnte. Indessen lag der Fall komplizierter und etliches auf russischem Boden. Unzweifelhaft war Sustschin in seiner Todesstunde russischer Staatsbürger gewesen; so weit es seinen Grundbesitz betraf, lag dieser jedoch heute zum Teil auf sowjetrussischem Territorium. Das sozialistische Rußland hatte die sustschinschen Liegenschaften enteignet, Wälder und Ackerland, durch die normierenden Kräfte der Revolution. Der lettische Staat schließlich, ebenfalls Erbe oder Expropriateur, verwies auf zu schließende Staatsverträge, in denen solche persönlichen wie auch die staatlichen Ansprüche dauerhaft geregelt werden sollten, könnten. Allerdings entschädigte das Reich die aus den ehemaligen afrikanischen Kolonien vertriebenen Siedler aufgrund einer Vereinbarung zwischen der britischen Mandatsregierung und den Deutschen mehr oder minder gerecht und jedenfalls bewusst säumig und verschleppend, nicht aber die aus dem Osten vertriebenen. Angesichts dieser Lage riet der Anwalt seiner Schwester zu einem Vergleich, falls die Letten bereit wären, überhaupt einen zu schließen, aus welchen Gründen auch immer, was 1932 freilich wenig wahrscheinlich. Dieses schwache nachgiebige und tief gedemütigte Deutschland der Weimarer Republik war eben leider auch kein Verbündeter in diesem Streit. Das zuständige Reichsministerium des Äußeren vertröstete, obschon es wie gesagt die aus den Kolonien Süd- und Ostafrikas vertriebenen Farmer entschädigte. Einar vertrat einige von ihnen gegen das Reichsentschädigungsamt, zähen alten Siedlern, denen die Summen zu gering ausfielen, die der deutsche Staat ihnen anbot. Moog hörte die Verhandlungen zwischen seinem Vater und der Tante gelegentlich mit an, ohne dass ihm die Tragweite dieses Streites aufging. Aber er begriff, dass ihnen etwas weggenommen worden war, etwas, dass Gewalt und Unrecht bedeutete. Und er bewunderte beide, den energischen Vater und die leidenschaftlich kühle Tante ...

      Neben Selbstdisziplin und Härte verband die Geschwister eine brennende Kampfes- und Arbeitslust. Moog fand weder seinen Vater noch die Sustschina jemals ohne Beschäftigung. Auch wenn sie nur grübelnd über Briefen und Prozessakten saßen und versuchten, diese störrischen Letten zur Herausgabe ihres Erbes oder belegbarer Legate zu bewegen, die der Stabskapitän zu Lebzeiten errichtet hatte. Hier ging es um alles, um Familienerbe, um Ehre und um Geschichte ...

      Die Witwe Sustschins besaß die deutsche Staatsbürgerschaft, wie auch ihr Bruder. Sie ließ sich Visitenkarten drucken und hieß nun Helga Katharina Baronin Sustschina-Einar. Von ihr ging eine alte unerschütterliche Zuversicht aus. Hochgewachsen wie ihr Bruder, mit geraden Schultern, einem schlanken Hals und dichtem dunklen Haar, in das sich breite silberne Strähnen zu mischen begannen, hatte sie die gefährlich aufblitzenden Augen der leicht Erregbaren, die sich durch eine Kraftanstrengung zur Ruhe zwingen. Sie war von unberechenbarem, unnahbarem Stolz, von einem eisigen Hochmut und der Schrecken des Hauspersonals, wie der Kanzlei. Da sie immer bestimmt hatte, war ihr herrschen zur Natur geworden; einzig ihren Bruder ließ sie gelten. An seinen politischen Zielen nahm sie nicht nur Anteil, sie verfocht sie noch bedingungsloser als er selber. Seine verzweigten Geschäfte und politischen

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