Korridorium – ein pluridimensionaler Thriller. Cory d'Or
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Korridorium – ein pluridimensionaler Thriller - Cory d'Or страница 5
28.11.2011
Ich betrete den Korridor. Und, seltsam, aus irgendeinem Grunde steht mir plötzlich das Archetypische der Situation vor Augen – als würde ich mich und meine Situation von außen sehen:
Ich – der selbstbewusste, reflektierende Mensch, das cartesianische, souveräne Ego, sich getrennt von der Welt fühlend und handelnd, sie reflektierend und pro-aktiv.
Das Hineinkommen – als Geburtsvorgang und gleichzeitig willentliche Entscheidung für ein Vorankommen, für Fortschritt und Entwicklung. Mitschwingend hier der Erkenntnisdrang des Menschen, die Lust aufs Abenteuer, die unstillbare Neugier und der unerschrockene Forschergeist, der neue Räume durchmessen und den Herrschafts- und Wissensbereich ausdehnen will bis an die Grenze des Mach- und Denkbaren.
Der Korridor – als Geburtskanal, Durchgangsstation, Lebensweg und Öffnung in die Möglichkeiten der Wahl: Türen zweigen ab und führen in neue Räume, neue Gänge, neue Räume, neue …
Die Vision, die mich so überraschend und unwillkürlich übermannt hat, bricht ab. Ich stehe in einem Korridor. Er ist staubig, lieblos eingerichtet, schlecht gelüftet und düster. Auf einem Sims ein überquellender Aschenbecher. Es stinkt nach kaltem Rauch. Naserümpfend ergreife ich die Flucht.
24/398
4.12.2011
Ich betrete den Korridor. Hier wollten wir uns treffen, wenn wir uns verlieren sollten. Und tatsächlich: Die Urne steht auf der Fensterbank.
26/398
6.12.2011
Ich betrete den Korridor. Hier herrscht ein lustiges Treiben. Eine Frau in bunten, weiten Gewändern begrüßt mich lächelnd und mit einem Kuss auf die Stirn. Sie führt mich zu ihren Freunden, die mit ein paar Kindern um ein Feuer herumsitzen, singen, tanzen und Marshmallows braten. Ich gefalle offenbar noch weiteren Frauen aus der Gruppe. Sie betasten mich, schmiegen sich an mich und binden mir Blumen ins Haar. Als ich weitergehen will, zieht mich eine von ihnen zu Boden und bietet mir ein glimmendes Röllchen Papier an. Die Türen des Korridors – sehe ich nun – haben sie mit Fantasiewelten bemalt, mit Mandalas und Blumengirlanden.
Ich habe meinem Volk versprochen, nicht eher in meiner Suche innezuhalten, als ich das Tjurunga wiedererlangt habe, ohne das unser Schamane machtlos ist. Dennoch: Kann ich nicht kurz verweilen, mich von den Strapazen der Wanderung erholen? Vielleicht sollte ich die Sprache dieses Volks erlernen und bei ihnen in Erfahrung bringen, was mich am Ende des Korridors erwartet – und hinter den vielen Türen, die sie seit Jahren, vielleicht Jahrzehnten nicht mehr und womöglich nie geöffnet haben. Die fröhliche Stimmung dieser Menschen steckt mich an. Ja, ich bleibe: Ich nicke den Frauen zu und gebe ihnen zu verstehen, dass ich die freundliche Einladung annehme. Möglicherweise finde ich das Tjurunga ja hier bei ihnen. Mir wird ein wenig schwindlig von all den neuen Eindrücken. Der schwelende Papierstengel ist heruntergebrannt, und irgendwie weiß ich, dass der Rauch nie mehr bitter schmecken wird.
27/398
7.12.2011
Ich betrete den Korridor und erleuchte mit meiner Fackel die niedrigen Gewölbe. Als Talisman habe ich die uralte »Schrift der verborgenen Kammer« dabei. Die Zeichnungen an den Wänden sind verblasst, aber sonst vollständig erhalten. Ich suche die Pharaonenkartusche. Sie muss hier irgendwo sein. Ich entziffere »Seht meine Werke, Mächt’ge, und erbebt!« Ozymandias? Aber das Grab von Ramses dem Großen wurde hier im Tal der Könige doch schon längst gefunden! Vielleicht liegt hier einer seiner Söhne.
Meine Überlegungen werden unterbrochen: Ein dumpfer Laut lässt mich und meine ägyptischen Helfer herumfahren. Der Boden unter uns erzittert. Die gigantische Steinplatte, über deren Zweck wir beim Ausschachten noch gerätselt haben, ist hinter uns heruntergeglitten. Der Zugang ist verschlossen. Selbst mit Dynamit kämen wir hier nicht mehr heraus.
Meine Helfer sinken nach kurzer, verzweifelter Panik wimmernd zu Boden. Ich jedoch schreite voran. Eine ungeöffnete Gruft, die den Grabräubern der letzten Jahrtausende entgangen ist – und ich bin der Entdecker! Solange die Atemluft noch ausreicht, will ich in Erfahrung bringen, ob die Grabbeigaben tatsächlich unberührt sind. Vielleicht bekomme ich die erhofften Schätze noch mit meinen eigenen Augen zu sehen, bevor meine Fackel für immer verlischt.
31/398
[Die geisterhaften Begegnungen im Zimmer 27 und Hotelkoch Pascal, auf die Kommissar Albo und dem Profiler in den Kapiteln 55 und 158 Bezug nehmen, finden Sie im E-Book Korridorium – der SciFi-Fraktor. Anm. d. Hrsg.]
33/398
13.12.2011
Ich betrete den Korridor, den die Set-Designer plastikbunt auf der Showbühne errichtet haben, im heißen Licht der Scheinwerfer. Das Studiopublikum hält den Atem an. Dabei ist es wie immer: Hinter einer der Türen eine Luxuslimousine – und hinter allen anderen jeweils eine Ziege. Und wie immer öffnet der Showmaster, wenn ich meine Wahl getroffen habe, eine der anderen Türen, und wie immer befindet sich eine Ziege dahinter. Ob ich meine Wahl nun noch einmal überdenke oder darauf beharre: Den Hauptpreis zu erwischen schaffe ich natürlich trotzdem wie immer nicht.
Ich will ja nicht meckern, aber: Was soll ich nur mit all den Ziegen?
37/398
17.12.2011
»Ich betrete den Korridor« sei einfach kein guter erster Satz, heißt es in vielen der Ablehnungsschreiben, selbst und gerade denen der tendenziell künstlerisch ausgerichteten Verlage. Ich kann das nicht ganz nachvollziehen. Dieser Satz ist a) schlicht und unmissverständlich, b) voller Bewegung, ruft c) ein Bild im geistigen Auge des Lesers hervor und weckt d) die Erwartung kommender Ereignisse. Damit hat er doch – oder täusche ich mich da? – sogar mehr Potenzial als beispielsweise
• »flusslauf, vorbei an Ev’ und Adams, vom küstenknick zum bug der bucht, bringt uns auf kommodem vicus zirkl wieder zurück zu Howth Castells Engrer umgebung« – wo sich über a) streiten ließe – oder
• »Ich befinde mich im Büro, umgeben von Körpern und Köpfen« – bei dem b) wohl eher gering ausgeprägt ist – oder etwa
• »Es war spät abend als K. ankam« – ein Eingangssatz, der wiederum für c) ein wenig zu schlicht ist.
Bleibt d) und damit die Hoffnung, vielleicht ja doch noch irgendwo Anklang zu finden …
38/398
18.12.2011
»›Ich