Korridorium – ein pluridimensionaler Thriller. Cory d'Or

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Korridorium – ein pluridimensionaler Thriller - Cory d'Or

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nur angelehnt. »Komm rein«, ruft er, »frohes Neues!«. Er sitzt halb im Lichtkegel seiner Schreibtischlampe. Der Rest des Zimmers ist dunkel. Draußen gehen ein paar verspätete Raketen hoch. Es ist lange nach Mitternacht.

      »Frohes Neues!«, antworte ich, obwohl mich der grausige Fund vom Morgen des Tages nicht gerade froh gestimmt hat.

      »Und?«, fragt er. Mir ist klar, was er von mir will. Albo muss einen Mörder finden, und ich soll ihm dabei helfen. Ich gehe erst mal zur Kaffeemaschine. Ihr rotes Betriebslämpchen leuchtet mir den Weg. Schlechte Angewohnheit, aber sicherlich besser, als immer sofort zu was Hochprozentigem zu greifen.

      Auch Albo hat dieses Silvester offenbar mit Kaffee begangen. Und er hat sich, sehe ich, ebenfalls Kopien der fünfzig Blätter gemacht. Vermutlich hat er sie in den letzten Stunden ebenso oft gelesen wie ich. Wäre sogar eine ganz nette Lektüre für den Jahreswechsel gewesen, wenn nicht gerade ein menschliches Herz drauf gelegen hätte.

      Albos Kopf bleibt im Dunkeln. Vielleicht sogar besser so. Ich setze mich ihm gegenüber: »Alles maschinegeschrieben. Also Schreibmaschine, meine ich. Und zwar unterschiedliche Schreibmaschinen, dem Schriftbild nach zu urteilen.«

      »Fünfzig verschiedene Schreibmaschinen. Ich hab das schon checken lassen. Es gibt da einen Ebay-Account, Rechtschreibfehler68, der hat sich vor Monaten fünfzig alte Schreibmaschinen gekauft und den Account dann deaktiviert. Wir haben Ebay und die Verkäufer kontaktiert – bisher nichts Verwertbares, soweit wir’s an ‘nem Feiertag rausfinden konnten. Hat seine Spuren offenbar gründlich verwischt.«

      »Rechtschreibfehler?«

      »Ja, gibt da zahlreiche Accounts, die so heißen. Wieso?«

      »Weil er keine macht.«

      »Wenn du meinst, das ist ein Widerspruch, dann doch nur einer von zahlreichen, oder?« Albo legt seine Handfläche mit gespreizten Fingern auf die Kopien, als wolle er sie mit einem Fluch belegen. »Mal Mann049, mal Frau048, mal alt, mal jung, mal tut er doof033, mal tut er klug039 …«

      »Was sagt dir, dass das vom Mörder geschrieben wurde?« Albo zieht die Hand zurück: »Der Anfang. Immer der gleiche. Ein Korridor. Weißt du noch, wo wir das rausgeschnittene Herz gefunden haben? In einem Korridor.«

      »Ist ja wohl kein Beweis«, sage ich, »und außerdem: Wer sagt dir, dass das eine einzelne Person geschrieben hat. Könnten auch mehrere sein.« Albo beugt sich vor und taucht sein Stoppelkinn in den Lichtkegel. »Komm schon, Mann« sagt er, »ich brauche Ergebnisse, Hinweise, Spuren, irgendwas!«

      Ich zerknittere den leeren Pappbecher und werfe ihn in die Richtung, wo bei Tageslicht sonst der Papierkorb steht.

      Albo fuchtelt mit den Händen. »Ist es ein Verrückter010? Ein verkannter Künstler037? Ein Deutschlehrer038? Jemand, dem man seine Texte gestohlen hat und der sich blutig rächt? Der glaubt, er schafft’s so auf den Titel der BZ? Du bist der Profiler, also sag schon, Mann.«

      »Falls es ein Autor ist, und falls es ein Autor und keine Autorin ist – was ich beides für wahrscheinlich halte –, dann ist es jemand, der gerne mit Möglichkeiten jongliert. Und der offenbar gerne Versteck spielt.«

      »Was soll das heißen?«, poltert Albo wie in seinen besten Jahren. »Dass er es drauf anlegt, dass wir ihn jagen? Dass der Kerl den Mord als Spiel ansieht?«

      Ich verziehe die Lippen und wiege den Kopf. Vermutlich kann mich Albo ebenso wenig sehen wie ich ihn. Aber ich brauche das für mich. Hier klare Aussagen zu treffen heißt, sich weit auf dünnes Eis rauszuwagen. »Ein Spiel, ja. Oder eine Art Rätselparcours durch Korridore. Irgendwo ist von insgesamt rund vierhundert Texten die Rede: Wenn wir Pech haben, wird es weitergehen. «

      »Das werden wir verhindern. Und deshalb brauch ich irgendwelche Anhaltspunkte!«

      »Was willst du hören? Dass er gebildet ist, vermutlich studiert hat, die neue deutsche Rechtschreibung beherrscht, sich für ein breites Themenspektrum interessiert, das Märchen, Mythen015, Historie027 und Science-Fiction031 mit einschließt, trockenen Humor024 besitzt, sich für einen Dichter oder ›Kurzprosaschreiber‹ zu halten scheint, zu Sprachspielereien und existenzialischen Tiraden018 neigt und eine Obsession mit Korridoren040 pflegt? Dass er dreiundvierzig Jahre alt ist?«

      »Dreiundvierzig? Schreibt er das?«

      »Nur so 'ne Vermutung, wegen ›Rechtschreibfehler68‹ – da könnte er sein Geburtsjahr genommen haben. Machen viele.«

      Albo beugt sich wieder vor, diesmal, um mir zu zeigen, dass er lächelt. »Na, das ist doch schon was. Da haben wir ihn doch schon eingekreist. Was ist mit der Frau003, von der er am Anfang schreibt?«

      »Könnte eine unglückliche Liebesgeschichte sein. Sie taucht später als Anagramm noch mal auf – ich hoffe nur, der ›Auserkorenen008‹ fehlt seit gestern nicht das Herz.«

      Albo brummt. »Das Opfer war männlich.«

      »Stimmt, ja. Vielleicht bringt uns Text Nummer 50 auf seine Spur.«

      Albo kramt durch die Kopien, bis er die richtige gefunden hat: »Die Therapeutin?«

      »Japp. Da könnte was dran sein: ein Trauma, Alpträume, eine Therapie. Und das blutige Herz könnte ein Manifest sein. Oder ein Hilferuf.«

      »Also lasse ich alle Berliner Traumatherapeutinnen durchchecken, ob sie einen mit einer Korridor-Obsession auf der Couch haben …«

      »Ich würde da auch eher die männlichen Therapeuten checken. In den Texten ist immer irgendwas verdreht.«

      Albo zieht eine der Kopien vor und hält sie mir hin. »Wer ist R. L. St.047

      Ich stehe auf und trete an Fenster. Es regnet, was die Straßenbeleuchtung vor der Wache noch trüber als ohnehin schon wirken lässt. Immerhin kann ich von hier aus zwei schimmernde Flecke in dem schwarzen Loch sehen, das Albos Kopf sein muss. »Robert Louis Stevenson. Hat Jekyll and Hyde geschrieben und sich dabei von halluzinierten kleinen Männchen inspirieren lassen.«

      »Jekyll and Hyde. Das kann ja heiter werden«, grunzt er.

      »Ich brauche mehr Zeit, Uwe«, sage ich. Albo brummt etwas, das ich als ärgerliche Zustimmung verstehe. Ich lasse ihn allein. Das neue Jahr ist jetzt schon ein paar Stunden alt, und als ich auf die Straße trete, hört der Regen auf, als hätte plötzlich jemand die Hand über die nächtliche Stadt gehalten.

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       12.1.2012

      Ich betrete den Korridor. Großformatige Schwarzweißfotos von Nashörnern hängen an den Wänden zwischen den Türen – Schnappschüsse meiner letzten Afrikareise. Einen Augenblick lang bleibe ich unschlüssig stehen. Was wollte ich hier noch? Nun, eigentlich ist es gleichgültig, welche der Türen im Korridor ich wähle oder ob ich überhaupt weitergehe – zumindest für einen Anhänger der Viele-Welten-Theorie wie mich, der davon ausgeht, dass sich durch jede Entscheidung, die getroffen wird, so viele parallele Wirklichkeiten bilden, wie alternative Entscheidungen möglich sind.

      Jetzt weiß ich’s wieder: Ich will in den Rauchsalon – rechte Tür. Aber

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