Der Hügel. Martin Renold

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Der Hügel - Martin Renold

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Schreibtisch, schaut aus dem Fenster zum Hügel, und das Gedicht kommt ihm wieder in den Sinn. „Zum Gehen ist ja keine Not“.

      Nein, er möchte noch eine Weile leben, noch ein paar glückliche Jahre. Doch wozu? Ja, er hat eine Freundin, die er seit mehr als einem halben Jahrhundert liebt. Vor vier Jahren hat er sie wiedergefunden. Seit einer Ewigkeit hat er sich nicht mehr so glücklich gefühlt. Für sie möchte er noch ein paar geschenkte Jahre auf dieser Erde bleiben können, mit ihr noch manches Mal auf den Hügel steigen, mit ihr die Schönheit der Natur bewundern, auf das weite Land und den See hinausschauen.

      Aber was hat er in dem Jahr, das bald zu Ende geht, getan, geschaffen, das wert wäre, sein Leben zu verlängern, außer ein paar Gedichten? Nichts. Er ist Schriftsteller – so steht es wenigstens im Internet. Dort kann man nachlesen, was er alles geschrieben hat: Gedichte, Erzählungen, Romane. Er hat nie von seinen Büchern leben können, er hat einen Beruf und zum Glück immer eine feste Stelle gehabt – als Angestellter in einem Verlag. Damit hat er Geld verdient für die Familie, später, als die Kinder groß waren und er sich von seiner Frau hatte scheiden lassen, für sich selbst. Und von dem verdienten Geld ist einiges an Druckkostenbeiträgen für seine Bücher draufgegangen. Denn welcher Verlag würde ohne die finanzielle Mithilfe die Bücher eines unbekannten Autors herausbringen?

      Ja, seinerzeit, als er noch in der Stadt seiner Jugend wohnte, da gehörte er zum erlesenen Kreis der einheimischen Autoren. Er gehörte einem Zirkel junger Schriftsteller und Musiker an. Da galt er noch etwas. Seine Bücher, vor allem sein allererstes, eine Novelle über eine kleine Pension in Rom, die während des Zweiten Weltkriegs von deutschen Soldaten besetzt war, wurde gelobt und gelesen. Er hatte bei einer Lesung mit drei anderen jungen Schriftstellerkollegen einige Abschnitte daraus vorgetragen. Es war eine ansehnliche Zahl von literarisch Interessierten gekommen. Einige hatten nach der Lesung mit ihm gesprochen, Fragen gestellt und das schmale Buch gekauft. Er bekam sogar zusammen mit vier anderen Autoren für sein literarisches Schaffen einen sogenannten Aufmunterungs- und Anerkennungspreis der Stadt. Die tausend Franken waren mehr als das Doppelte seines damaligen Monatslohnes gewesen. Seither haben viele Dutzende diesen Preis bekommen: Autoren, Maler, Grafiker, Musiker. Sie alle, glaubt er, haben Besseres geleistet als er.

      Als er aus beruflichen Gründen von der Stadt wegzog, warf ihm der Stadtpräsident Untreue vor. Man habe ihn mit einem Preis geehrt, und nun lasse er schmählich die Stadt, die ihn bekannt gemacht habe, im Stich. Hatte man auf ihn so große Hoffnungen gesetzt, dass man jetzt befürchtete, er könnte in Zukunft nicht mehr als Dichter dieser Stadt gelten, und eine andere Stadt würde sich mit seinem Ruhm schmücken? Als er daran denkt, gleitet ein Lächeln über sein Gesicht, das mehr Resignation als Genugtuung oder gar Freude ausdrückt.

      Der Beruf, den er ergriff, um seine Frau und die drei Kinder, die rasch nacheinander geboren wurden, zu ernähren, nahm ihn so sehr in Beschlag, dass er in den ersten Jahren nur noch vier kleine Kindergeschichten schrieb und unter einem Pseudonym veröffentlichte. In dem großen Dorf, das er zur Wohnstätte gewählt hatte, war er unbekannt. Andere hatten das Sagen. Einige Kunstbeflissene, ein Arzt, ein Landwirt, beide Anthroposophen, ein Pianist und noch ein paar weitere Anthroposophen organisierten Gemäldeausstellungen und Konzerte. Arthur gehörte nicht zu diesem auserwählten Kreis. Er war zu bescheiden, um sich als Schriftsteller für eine Lesung aufzudrängen oder, wie man heute sagen würde, zu outen. Bei zwei weiteren Wohnungswechseln fühlte er sich als Autor noch viel einsamer. Niemand kannte ihn. Sein Name als Schriftsteller war, wenn er überhaupt einmal ein wenig geleuchtet hatte, verblasst und – so glaubte er – ganz in Vergessenheit geraten.

      Einmal schien sein Name noch einmal aufleuchten zu wollen. Er hatte seine Stelle gewechselt. Der Verlag, in dem er arbeitete, hatte mit einem größeren fusioniert. Stellen wurden abgebaut. Arthur hatte noch zuvor selber gekündigt. Mit dem Verlag hatte er sich so verbunden gefühlt, dass er sich nicht vorstellen konnte, in der neuen Firma mit neuen Leuten zusammenarbeiten zu können. Er hatte es im alten Verlag während beinahe zwanzig Jahren mit vielen Menschen zu tun gehabt, nicht nur mit Autoren, die ihn schätzten. Nur einer war misstrauisch gewesen, weil er keine akademische Ausbildung besaß. Arthur musste eines seiner Manuskripte lesen und korrigieren. Da stieß er auf einen peinlichen Fehler. Der Autor hatte das Zitat „Im Hause muss beginnen, was leuchten soll im Vaterland“ Heinrich Pestalozzi zugeschrieben. Arthur ersetzte den Namen durch Jeremias Gotthelf. Er machte den Autor auf das Versehen aufmerksam und konnte ihm sogar sagen, bei welchem eidgenössischen Schützenfest Gotthelf diesen Ausspruch in seiner Festrede getan hatte. Von da an stieg seine Achtung bei diesem Autor gewaltig. Doch viele Menschen, mit denen er ebenfalls zu tun hatte, waren einfache Leute ohne große Schulbildung. In der Spedition hatte es immer viele Wechsel gegeben. Da waren komische Käuze, notorische Lügner und kleine Diebe, Faulpelze und Angeber gewesen. Einmal hatte er in einer kleinen Abendgesellschaft von diesen Sonderlingen und Originalen so lustig erzählt, dass ihn jemand aufgefordert hatte, diese Geschichten aufzuschreiben. Er hatte vorher gar nicht an so etwas gedacht. An der neuen Stelle – als ihn ein Verleger aufsuchte, der seine Kindergeschichten kannte und von ihm gerne ein Kinderbuch herausgegeben hätte – erinnerte er sich an die lustigen Geschichten. Ein Manuskript für ein Kinderbuch konnte er dem Verleger nicht anbieten, aber die Geschichten von all den Originalen wollte er gerne überarbeiten und ergänzen, manche Geschichte ein wenig verfremden und mit einer Pointe versehen. Dem Verleger gefiel dieser Gedanke. Arthur machte sich voll Eifer und auch mit einer Portion Heimweh an den alten Verlag daran, die Geschichten zu einem Ganzen zusammenzufügen. Es wurde ein witziges Buch, doch der Verleger, ein humorloser Mensch, pries es nicht als amüsante Lektüre, sondern sachlich trocken als Erinnerungen eines Verlagsleiters an, womit er natürlich nicht die Leser hinter dem Ofen hervorlocken konnte, die Arthur sich für sein Buch gewünscht hätte. Es blieb bei der ersten kleinen Auflage, obwohl später noch oft von den früheren Lesern bedauert wurde, dass das Buch, das sie gerne dem einen oder anderen Freund oder Bekannten im Spital oder bei einer anderen Gelegenheit zur Aufmunterung geschenkt hätten, nicht mehr käuflich war.

      Im neuen Verlag, in dem Arthur nun arbeitete und der nebst einer Zeitung und mehreren Zeitschriften auch Bücher herausbrachte, wurde es von höchster Stelle nicht gerne gesehen, dass er seinen engsten Mitarbeitern von dem Buch erzählte und bald eine Bestellliste in Arthurs Abteilung herumgereicht wurde. Keiner der Angestellten sollte über die anderen durch irgendeine Leistung, sei sie literarischer oder künstlerischer Art, herausragen. Das würde nur Neid und Missgunst hervorrufen. Immerhin war er nun auch seinen Vorgesetzten als Schriftsteller bekannt geworden, und sie waren froh, ihn für den Text von zwei erfolgreichen Sachbüchern und für den Leittext zum jährlich erscheinenden Jahreskalender betrauen zu können. Doch für Erzählungen oder gar Romane fehlte ihm nicht nur die Zeit und die Muße – sondern auch die Muse.

      Bei weitem war Arthur nicht das zurückgebliebene Kind, wie seine Eltern befürchteten, als er mit drei Jahren nur undeutlich sprach und oft zornig wurde, wenn ihn niemand verstehen wollte. Das änderte sich bald, und zwei Jahre später überraschte er eines Tages seine Mutter, als er auf einmal – wie wenn plötzlich aus einem verstopften Brunnenrohr Wasser heraussprudelt – ziemlich fließend aus einer Zeitschrift vorlas. Niemand hatte ihm das Lesen beigebracht.

      „Woher kannst du auf einmal lesen?“, fragte die Mutter verwundert.

      „Weißt du“, antwortete er, „jedes Mal, wenn ich mit dir einkaufen ging und dich nach den Straßennamen oder den Namen der Geschäfte fragte, habe ich mir die Buchstaben, die auf den Firmenschildern standen, gemerkt. Jetzt habe ich alle beisammen und kann alles lesen.“

      Dass er auch alle Zahlen kannte und rechnen konnte, war nur selbstverständlich.

      Sein Geburtstag fiel so ungünstig, dass er erst mit sieben Jahren die Schule besuchen durfte. In den Kindergarten gingen nur jene Buben und Mädchen, deren Mütter in einer Fabrik arbeiteten. Arthur wäre gerne zur Schule gegangen. Er sehnte sich danach, doch wie es so ist mit der Sehnsucht, wie größer sie ist, umso langsamer gehen die Tage und Monate dahin.

      Alles, was

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