Der Springer. Helmut H. Schulz
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Ob er das gestern noch nicht gewusst habe, fragte Gnievotta.
Offiziell wisse er auch heute noch nichts, sagte Nowacki und fragte, ob ihm Katja nichts angedeutet habe.
Wieso Katja? fragte Gnievotta, Was habe sie damit zu tun?
Sie wisse es sicher von Ani, sagte Nowacki, oder er würde ihre Frauen schlecht kennen.
Das war typisch für Nowacki.
Dann kamen die Trupps herein; den Rest würden sie bei Tage erledigen.
Es regnete. Landregen. Warme große Tropfen durchschlugen den Hemdstoff, sammelten sich zu kleinen Bächen, die angenehm die sonnenverbrannten Schultern kühlten. Zu dritt gingen sie durch das Lager. Die Lichtkegel der Lampen an den Masten leuchteten wie weit geöffnete Augen, in ihrem Schein zitterte das Regengespinst. Leise klirrte das Glas eines schlecht verriegelten Fensters.
Er habe es vorhergesagt, meinte Laski, und er täusche sich selten, sehr selten.
Dunkelheit umfing die drei Männer. Gnievotta hielt das Gesicht in den Regen. Nach diesen Hundstagen erfrischte das linde Wasser, anscheinend ging mit dem Unwetter die Hitzeperiode zu Ende. Überhaupt war es ein merkwürdiger Sommer gewesen. Unbeweglich standen die drei im Regen wie Scherenschnittfiguren. Schwarz hoben sie sich gegen den Lampenschein ab.
«No», sagte Kosch, «hauen wir uns auch hin.» No bedeutete so viel wie gut, in Ordnung.
Ein ausgedehntes Regengebiet wusch den Staub von den Straßen der Städte.
Dies war die Zeit, in der Gnievotta seine Züge noch ungenau berechnete. Er hat den Tag noch nicht erlebt, wo er aufstehen will, wie jeden Morgen, gegen fünf, um das Gas anzuzünden, Wasser für seinen bitteren Kaffee aufzustellen, sich zu rasieren. Er steht nicht auf, er bleibt einen Augenblick länger liegen als gewöhnlich, er ist nicht voll da wie sonst, merkt er. Die Mitte seines Lebens ist überschritten, wird ihm bewusst. Er hat sich erprobt. Kein Gedicht könnte er mehr schreiben, kein Lied mehr singen; keine Frau umarmen, ohne sich zu wiederholen. Gnievotta hat natürlich nie ein Gedicht geschrieben. Frauen hat er dagegen reichlich umarmt, auch Lieder hat er gesungen, bis die anderen gegen seinen Gesang protestierten.
Diesen Gnievotta gibt es noch nicht.
Er steht auf einer Straße, in Sandalen, Hose, Hemd und Weste, ein Netz trägt er über der Schulter. Ohne Eile geht er pfeifend die Straße entlang, das Lockern und Straffen seiner Muskeln genießend. Sein Haar ist vor der Zeit ergraut, aber das macht nichts. Dunkelhaarige ergrauen schneller als Blonde. In einem Gartenlokal sitzt Gnievotta. Das Netz hat er über die Lehne eines Stuhles gehängt. Die Frau neben ihm ist jung. Er wird aufstehen und diese Frau nach Hause begleiten, in ihren Armen wird er liegen und zufrieden sein. Ohne Bedauern wird er sich von dieser Frau wieder trennen.
An einem anderen Tag geht Gnievotta in die Stadtbibliothek. Er hat an diesem Tag Sorgen, er redet sich ein, Sorgen zu haben. Deshalb tritt er ernst und sachlich auf, verlangt bestimmte Bücher, wird an Karteikästen verwiesen, sucht lange, weil er das System nicht durchschaut, findet endlich, was er sucht. Bestellscheine füllt er aus und reicht sie der Bibliothekarin. Die sagt, für diese oder jene Schrift bedürfe es einer Sondergenehmigung, es sei denn, Herr Gnievotta bediene sich der Bücher im Lesesaal des Hauses, unter Aufsicht. Dazu hat Gnievotta keine Lust und auch keine Zeit. Sie nennt die Dienststelle, die Sondergenehmigungen erteilt. Gnievotta erklärt, er brauche die Bücher, er sei Bergbauingenieur, könne sich sogar ausweisen. Es ist ein nettes Mädchen, sieht er, das bei den Männern einen bestimmten geistigen Typ bevorzugt. Sie wolle sehen, sagt die Bibliothekarin und holt den Leiter der Bücherei. Der will sich mit Gnievotta mal unterhalten. Lange betrachtet er den Betriebsausweis Gnievottas und kann eine Ausnahme machen, wenn Herr Gnievotta die Sondergenehmigung nachreicht. Gnievotta erhält also die Bücher. Eine Bescheinigung wird er nicht bringen, die Bibliothek wird er nur noch einmal betreten, um die Bücher zurückzubringen, nach zwei, drei Mahnungen. Die Bücher nutzten ihm auch nichts, sie lagen zu Hause herum, bis Katja fragte: «Was wird denn mit den Schwarten?»,
In einer Dorfkneipe. Gnievotta muss einen Streit schlichten, muss seinen Leuten sagen, haltet Ruhe hier, sonst schick ich euch nach Hause. Eindeutig gehört seine Sympathie seiner Mannschaft, die Dorfbengels haben sie herausgefordert. Wenn ihre Mädchen keiner anfassen darf, dann sollen sie die Ischen gefälligst zu Hause lassen. So einfach.
Gnievotta bei einer Demonstration. Am Rande des Marktes der Kleinstadt sind Buden aufgestellt, dort hat sich Gnievotta schon ein paar Biere genehmigt und Laski und Kasch dabei verloren. Während der Rede müssen die Budiken schließen. Das ist so, weil sonst der Marktplatz zur Hälfte voller Besoffener sein würde. Gnievotta schiebt sich zur Tribüne durch. Vielleicht treiben sich Laski und Kosch da vorn herum. Gnievotta fasst die Arme und Hüften der Frauen an, es sieht zufällig aus, absichtslos. Gnievotta hat einen besonderen Griff, und das fällt in dem Gedränge kaum auf. Er tut es eben und quittiert die empörten oder Einverständnis ausdrückenden Reden der Frauen mit einem Augenzwinkern.
Das alles wird so lange gehen, bis dieser Morgen kommt, wo Gnievotta eine große Müdigkeit aus den Gliedern schütteln muss, um überhaupt hochzukommen. Er wird einen langen Augenblick brauchen, um sich darüber klar zu werden, was denn eigentlich mit ihm geschehen ist. Körperlich fühlte er sich am Vortage ganz in Ordnung. Er hat nichts getrunken, hat nichts getan, was seinen Zustand erklären könnte. Beim Rasieren sagt er sich, dass es eine Art Erschöpfung ist. Einem Springer gleicht Gnievotta, der siebenmal die Latte legen ließ, ebenso oft scheiterte und nicht mehr den Mut für einen neuen Versuch aufbringt, der alt und zaghaft wird.
Das ist es. Und mit diesem Gefühl wird Gnievotta jetzt jeden Tag aufstehen, sich in den neuen Zustand einleben und schließlich dahin kommen, vorsichtiger mit sich umzugehen. Vor sich selber wird er den alten, überwundenen Zustand als seine späten Flegeljahre bezeichnen, als den Abschluss einer bestimmten Zeit seines Lebens. Er muss Distanz dazu halten; Träume sind Sache der Jugend.
Da man die Gnievottas überall trifft, ist auch das möglich: In Schikoras Sitzungszimmer hockt Gnievotta eingezwängt zwischen anderen. Schikora ist nun mal kein Redner. Er verhaspelt sich. Gnievotta nimmt einen Witz auf. Er lacht. Sein Lachen steckt an. Schikora muss sagen: «Genossen, wir sind hier nicht im Zirkus.» Nun lacht die ganze Bande, denn Schikora weiß nicht, dass die Leute den Betrieb Zirkus Schikora nennen, ein Vergleich, der aus manchen Gründen naheliegt. Schikora ist ohne Humor. Er hat den Tag schon erlebt, den Gnievotta noch vor sich hat ...
Gnievotta, Kosch und Laski aßen Büchsenfleisch, Eier und Brot. Dazu trank Kosch seine Morgenration Korn und heißen Kaffee. Laski und Gnievotta tranken nur Kaffee. Es war ein starkes Frühstück, Fleisch, Eier.
Seit dem Unwetter Mitte September war es Herbst geworden. Die Kette kühler und regnerischer Tage war nicht wieder abgerissen. In den Wohnwagen lieferten die elektrischen Anlagen Wärme. Kosch hätte zur Schicht müssen, wäre der Anruf kurz vor sechs nicht gekommen, der sie alle drei nach Magdeburg rief. Die in der Zentrale wussten gut, wann sie die Leute antrafen und wann nicht. Zwischen Essen und Trinken erzählte Kosch gerade seine Morgengeschichte von einem Bergmann, der zum Arzt ging. Mancherlei stellte der Doktor fest, herausgesprungene Bandscheiben, bisschen Staublunge und dergleichen Kleinigkeiten. Der Mann sagte, er fühle sich gesund, aber er brauche Tabletten für seine Frau, die in letzter Zeit an Schlaflosigkeit leide. Ob das ginge?
Kosch suchte in den Taschen nach Zigarillos,