Der Springer. Helmut H. Schulz

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Der Springer - Helmut H. Schulz

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prüfen, ohne überhaupt prüfen zu wollen, wo im besonderen Fall der Fehler zu suchen, wo das Recht war, trat sie streitbar an die Seite des Vaters, und oft genug trat sie vor ihn.

      Mit der Mutter kam der junge Bodo schlecht aus, er wünschte sie geistiger, ließ sich nach alter Mütterweise bedienen, dankte ihr wenig oder gar nicht und schämte sich gelegentlich. Auf den Vater wartete er und vermutete mit Recht hinter kargen Äußerungen für ihn nützliche Erfahrungen.

      Am Sonnabend kommt Gnievotta früh an, gegen sieben etwa. Langsam fährt er mit dem Wagen durch leere Straßen. Gnievotta denkt an Nowacki, den er wegen der Arbeit sprechen will, obwohl er sich nicht allzu viel davon erhofft, auch Ani will er wiedersehen. Seine, Gnievottas, Wohnung im Fischerkietz ist ihm noch immer fremd.

      Drüben am Spittelmarkt hatte Nowacki ihre Waffen versenkt, an einem trüben, regnerischen Apriltag war das gewesen. Merkwürdigerweise hatten sie keinen Menschen gesehen; außer zerstörten Kriegsfahrzeugen, mit Kalk bestreuten Pferdekadavern und ihnen waren die Straßen leer gewesen.

      Nowackis Arm hing in einer schwarzen Schlinge. Sie, Angermann, Gnievotta und natürlich auch Nowacki, wussten damals noch nicht, dass er diesen Arm verlieren würde. Sie standen am Geländer der Spree, auf der tote Soldaten und Zivilisten trieben. Nowacki ließ seinen Karabiner ins Wasser fallen. Ihre Gewehre warf er hinterher. Angermann sagte, er würde jetzt gehen und was Vernünftiges tun. Um seine Schultern hing eine durchlöcherte Schlafdecke. Außer dieser Decke, den paar Sachen auf dem Leib und einem leeren Brotbeutel besaß er nichts weiter als das bisschen Leben, eine ganze Menge immerhin. Er gab Nowacki die Hand, das heißt, er nahm die linke, unverletzte Hand Nowackis und hielt sie lange fest, während er behauptete, er würde etwas Großartiges unternehmen. Er ging, mit zuckenden Schultern, ohne sich umzudrehen.

      Nowackis Augen glänzten fiebrig oder vor Erregung. Wohin Nowacki gehen würde, wusste Gnievotta nicht, der hatte niemand, der ihn aufnehmen konnte. Nowacki sank vor dem Geländer zusammen. Gnievotta stützte ihn. Nowackis Gesicht verfärbte sich. Aufgeregt nahm Gnievotta den Verband herunter. Der Arm sah böse aus, oberhalb des Gelenkes war ein eiternder, faulender Brei. Gnievotta suchte eine trockene Stelle der Binde und wickelte sie wieder um den Arm.

      «Komm mit nach Rügen», sagte er.

      «Nein», sagte Nowacki, «hau ab!»

      Irgendwie gerieten sie in einen erregten Wortwechsel. Zwei- oder dreimal schlug Gnievotta zu, um Nowacki zur Besinnung zu bringen oder um selber zur Besinnung zu kommen. Nowacki wischte das Blut nicht ab. Es rann von den aufgeschlagenen Lippen über das Kinn herunter auf den Waffenrock. Eine Gruppe Rotarmisten kam am Geländer entlang auf sie zu.

      «Hau doch bloß ab, du Idiot», sagte Nowacki leise.

      Da lief Gnievotta in Richtung Fischerkietz, Eine MP-Salve, schlecht gezielt, ging über seinen Kopf weg. Kann auch sein, es wurde gar nicht oder absichtlich schlecht geschossen. Nowacki jedenfalls blieb zurück. Auch dieses Übel hatte Gnievottas Wohnung. Sie erinnerte ihn dauernd an jenen Apriltag 1945.

      Wie große blaue Ziehharmonikabälge hängen die Plastjalousien vor den Fenstern. Katja ist im Badezimmer. Seinetwegen braucht sie länger als sonst, weiß Gnievotta. An einer Raststätte hat er heißen Gulasch gegessen und Brot, und er hat sich zwei Schnäpse genehmigt, die ihn halbwegs auf die Beine brachten. Jetzt will er Kaffee kochen, sitzt auf einem Küchenstuhl, in Arbeitsklamotten, die Zigarette zwischen den Fingern, und wartet auf das Pfeifen des Wasserkessels.

      Im Zimmer deckt Elke den Tisch. Gnievotta ist aus dem Zimmer gegangen, weil Bodo dort sitzt und Zeitung liest, ohne von ihm Notiz zu nehmen. Bodo ist größer als Gnievotta, dünne Handgelenke hat er und knochige Schultern. Auf den Hemdkragen fällt die rotblonde, seidige Mähne. Weißhäutig ist das lang gestreckte Gesicht, mit engen Augenspalten und schmalen Lippen. Viele Rotblonde haben diese weiße, lichtempfindliche Haut. Bodo trägt eine kreisrunde Nickelbrille. Viel Zeit wendet die Jugend für sich auf, eine kostspielige Abgerissenheit ist das, auf Wirkung berechnet. Hier in der Küche verspürt Gnievotta Lust, mit Bodo anzubinden. Ihn ärgert die Gelassenheit und Ahnungslosigkeit, mit der Bodo seinem, Gnievottas, Leben und dem Leben überhaupt gegenübersteht. Er hätte ihn gern ein paar Monate draußen gehabt, bei der Arbeit, bloß um zu wissen, welch Kern unter dieser Art Eleganz steckt.

      Gnievotta trägt noch seine Arbeitssachen, nur die Gummistiefel hat er ausgezogen. Eine von Gnievottas Gewohnheiten, zu Hause in Strümpfen zu gehen. Unten steht der Jeep. Das Fuhrwerk sieht dem Kutscher ähnlich, zwei ermüdete, verdreckte Arbeiter, die ein bisschen Ruhe wollen. Gnievotta geht doch hinüber ins Wohnzimmer.

      Ob es was Neues gebe, fragt er und deutet auf die Zeitung.

      Bodo schüttelt den Kopf, legt die Blätter zusammen und reicht sie Gnievotta. Er habe nur die Schlagzeilen gelesen. Morgens überfliege er stets nur die Schlagzeilen, um informiert zu sein.

      Gnievotta nimmt die Zeitung, entfaltet sie aber nicht, sondern legt sie weg. Wie es in der Schule vorangehe, will er wissen.

      Es gehe voran, sagt Bodo ruhig.

      Gnievotta hat eine scharfe Zurechtweisung auf den Lippen, so wie er Laski rügen würde, wenn der nicht Farbe bedient, aber Gnievotta hält sich zurück. Er fühlt sich herausgefordert, kann nur nicht sagen, warum. Dass ihm der ganze Knabe gegen den Strich geht, ist kein Grund, die sind heute so. Außerdem hat diese Jugend eine weiche Haut. Sein Sohn trägt ein knallrotes Hemd und resedafarbene Hosen. Eine handbreite Gürtelschnalle mit einem Stierkopf hält diese Hose auf den Hüftknochen fest.

      Wenn der Kaffee nicht bald käme, sagt Bodo, dann müsse er ohne Frühstück weg, was er bedaure.

      «Dann musst du eben so gehen», sagt Gnievotta.

      Es ist die Mischung, die Gnievotta irritiert, die deutlich gezeigte Überlegenheit, der Anspruch, als erwachsen zu gelten und doch abhängig zu sein von ihm, Gnievotta. Die Haltung, aggressiv und zugleich verstockt. Gnievotta kann sich darauf nicht einstellen, findet nicht den richtigen Ton und will ihn gar nicht finden.

      Protest, denkt Gnievotta, na schön, warum nicht, aber gegen gutes Essen und weiche Betten, gegen eine gesicherte Zukunft protestiert doch keiner. Eine feste Hand würde hier mehr ausrichten. Katja hat sie nicht, und er ist leider zu wenig da, um die Erziehung des Jungen in die Hände zu nehmen.

      Bevor Bodo die Wohnung verlässt, sieht er noch einmal ins Zimmer. Er trägt jetzt eine Lederweste, Sicherheitshelm und Schutzhandschuhe. Unten wird er sein Moped starten, Fuchsschweif an einer Stahlrute, wird die Gänge einlegen, viel unnötiges Zwischengas, versteht sich, Gnievotta kann das schon hören, dreimal um die Ecke fahren und das Rad vor der Schule aufbocken.

      «Wiedersehen», sagt Bodo.

      «Du hast was vergessen», sagt Gnievotta, «die Sporen.»

      «Sehr witzig», sagt Bodo.

      So sitzt Gnievotta wieder allein, Unruhe im Kopf; sieht herunter auf seine schmierige Cordhose, fühlt das schweißdurchtränkte Hemd an den Schultern kleben und sehnt sich nach einem heißen Bad. Er brennt sich die nächste Zigarette an.

      Elke kommt mit Kaffee. Ihre Haut hat den sanften Glanz bläulicher Perlen. Rosa bis weiß sind die leicht aufgeworfenen Lippen, die keine Gnievotta sonst hat. Ihr Kleid reicht nicht ganz bis zur Mitte der Schenkel. Das Haar ist ebenfalls rötlich, nur ist es heller als Bodos. Wegen der breiten Backenknochen verjüngt sich ihr Gesicht zum Kinn, das gibt ihrem Gesicht einen kindlichen Zug. Augen, ein blaugrünes Email. Elkes Hände sind schlank, gepflegt und schön, von keinem Aufwasch verdorben, durch keine Seifenlauge ruiniert. Welche Gnievotta konnte sich je solche Hände leisten?

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