Der Springer. Helmut H. Schulz
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Er würde kommen, gerade von der Schicht weg, und auf dem Küchenstuhl sitzen, in seinem verschwitzten Zeug, die Zigarette zwischen den Fingern drehen, den Pfeifkessel beobachten, müde und ein bisschen ratlos, wie die zwei Tage zu verbringen seien, ohne Kosch und Laski, ohne Bohrplatz und Skat. Sie also würde zu ihm hingehen und in die kalten hellen Augen Gnievottas sehen, zwei nicht mehr junge Leute mit einem Haufen guter, und einem ebenso großen Haufen schlechter Gewohnheiten.
«Lasst ihr euch mal blicken?», fragte Ani.
Katja, jetzt in Tücher gewickelt, lag still und fühlte sich angenehm ermüdet.
Das wäre immer so nach Ganzmassagen, sagte Ani, und ob sie mit einem Besuch rechnen könnten.
«Das ist nicht sicher», sagte Katja. Sie würden vielleicht auf einen Sprung kommen.
Es gab immer was zu bereden zwischen Nowacki und Gnievotta. Wenn nicht, dann erfand er einen Grund, um Nowacki zu sehen, Gnievotta kann nicht still sitzen, er hat es nie gekonnt; sitzen, trinken, Karten spielen und reden, groß angeben und zuhören, das ja, aber bloß so sitzen, das nicht.
«Wir können ja auch noch telefonieren», sagte Katja. Sie spürte, wie sich ihr Körper belebte. Außerdem, sagte sie, habe Gnievotta seit vierzehn Tagen keine Frau gehabt. Acht Tage hielte er aus ohne Frau, vierzehn nicht, wie sie aus Erfahrung wisse.
«Denkst du», sagte Ani, die sich in einem kleinen Handbecken die Hände wusch. Hinten stand ihr Kittel offen. Sie trug der heißen Tage wegen keinen Unterrock, nur Büstenhalter und Schlüpfer. Lang und gerade waren ihre Beine. Jugendlich wirkte sie mit dem hinten aufgebundenen Rossschwanz. Ihre Stirn war hoch, die Haut weiß und rein, ihre Augen glichen Gnievottas Augen. Gelassen glitten ihre Blicke über Menschen und Sachen, nachsichtig und mit überlegener Freundlichkeit. «Ich kenn doch meinen Bruder», sagte sie.
So unrecht hatte sie nicht, wie Katja wusste, obwohl Gnievottas Gekrame mit dieser Schlampe in Senftenberg weit zurücklag. Schuld hatte sie, Katja, auch gehabt. So lange lässt man keinen Mann aus den Händen.
Dann sagte Ani, dass Gnievotta vielleicht aus der Altmark abgezogen werde, vielleicht, das entscheide sich noch. Sie habe es von Nowacki.
Katja richtete sich auf. «Im Ernst?», fragte sie, da sprangen ein paar freie Tage heraus für sie und Gnievotta. Vielleicht ging auch alles mal wieder Hals über Kopf.
«Ich habe es dir unter uns Pastorentöchtern erzählt», sagte Ani warnend.
«Ich halt schon meinen Mund», sagte Katja.
Von Ani rannte sie zum Frisör. Die Frisöse riet ihr zu einer neuen Frisur, aber Katja entschied sich fürs Solide.
«Mein Mann kommt morgen», sagte sie, «der hält mich glatt für verrückt.» An solchen Vorabenden kam sie nie mit sich zurecht. Die Jahre hätten da was abschleifen sollen, fand sie. Zuletzt warf sie ihre Entscheidung um. Vielleicht gefiel Gnievotta eine neue Frisur.
Zu Hause mied sie den Spiegel. Sie band ein Tuch um den Kopf. Morgen früh würde nicht mehr viel davon zu sehen sein.
Der Rest des Abends ging mit Hausarbeit drauf. Spät bezog sie die Betten neu, setzte sich vor den Fernseher und erwischte gerade noch das Ende eines Filmes.
«War es ein Film?», fragte sie Bodo.
«Es war eine Info», sagte der Junge und schaltete das Gerät aus.
«Eine was?», fragte sie.
«Eine Art Nachricht», sagte er gelangweilt.
«Ach so», sagte sie, «ich habe dich nicht richtig verstanden, du kriegst ja die Zähne nicht auseinander.»
Er lächelte unverblümt zu dieser Ausrede, diesem Bildungsrückstand, wirkte wie ein großes und gepflegtes Baby, und sie fühlte sich durchschaut.
«Morgen bleibst du zu Hause», verlangte sie gebieterisch, «dein Vater kommt.»
Es hätte der Ermahnung nicht bedurft, Bodo wäre auch so zu Hause geblieben, Er suchte das Gespräch mit dem Vater. Bisweilen schuf sich der junge Bodo Dialoge, in denen er sich völlig offenbarte. Dann standen sich zwei gleiche Partner gegenüber. In der Praxis sah es anders aus. Nicht nur, dass der Vater unregelmäßig kam, er hielt sich auch an Äußerlichkeiten, denen der Junge viel weniger Bedeutung beilegte, als die Eltern glaubten. Aus Missverständnissen ergaben 'sich Fehlurteile auf beiden Seiten.
Übrigens brachte Gnievotta, der sich fremd und unbehaglich in seinen vier Wänden fühlte, Unruhe mit, Mann aus Mahagonny, Goldwäscher aus Klondike und im großen Revier zu Hause, nicht in der Wohnung, die ihn an ein Hotel erinnerte, Seemann auf blauen Straßen.
Von alledem spürte der junge Bodo genügend. Verstimmt sah er zu, wenn der Vater die Zimmer seinen Vorstellungen anzupassen suchte, Lampen abnahm, Möbel rückte, Regale und Stellagen baute. Mürrisch half er mit, wenn ihn der Vater dazu aufforderte. Der junge Bodo verstand: Architekten hatten die Gewohnheiten vorherbestimmt, und Gnievotta sträubte sich gegen die Normierung seines Lebens oder eines Teiles davon.
Anders die Mutter, sie fühlte sich wohl im Hochhaus. Ihren Bedürfnissen entsprachen Haus und Nebeneinrichtungen, die nahe Einkaufshalle, das Waschhaus. Für Bodo war sie ein Dutzendmensch, wie es sie genügend gab. Er folgte ihr beim Bummel durch Geschäftsstraßen, beobachtete, wie sie rechnete, gut und schnell. Selten unterlief ihr ein Fehler, ihr Wirtschaftsgeld ging auf. Eilig schlang sie Würstchen an Marktständen, löffelte Eis aus schlanken Bechern, trank Kaffee in Mokkastuben, aß hohe fette Tortenschnitten und klagte über Gewichtzunahme. Wo er konnte, drückte sich der junge Bodo vor diesen gemeinsamen Einkaufsgängen, peinlich berührt vom Gewöhnlichen, dem Hang der Mutter zu auffallender Kleidung, zu Ringen und Ketten. Sie trug am liebsten, was ihr nicht stand. Tüchtig war sie und ungemein mitteilsam. Veränderungen, die sie nicht selbst umständlich eingeleitet hatte, fürchtete sie.
Dem jungen Bodo widerstrebte diese geordnete Welt. Er ertappte sich bei der Vorstellung, die Mutter könnte plötzlich einen anderen Anspruch stellen, sich beispielsweise scheiden lassen, die kleine gesicherte Existenz aufs Spiel setzen. Darüber musste er lächeln, das war undenkbar. Hin und wieder beteiligte sich die Mutter an Vergnügungen, Ausflügen, Brigadefeiern. Solche Dinge bereiteten ihr Freude. Hörte man sie vorher, so glaubte man, sie sei im Begriff, etwas Unerhörtes zu unternehmen. Ihre Kleider, Mäntel, Schuhe, Frisur nahmen sie in solchen Fällen ganz in Anspruch. Hörte man sie nach solchen Festen, dann waren Lobreden auf die Frauen gehalten worden, von Männern, die nicht immer den richtigen Ton im Umgang mit den Frauen fanden. Kurz nach Mitternacht war die Mutter dann beunruhigt aufgebrochen, es hätte sein können, der Vater nutzte die Gelegenheit zu einem Seitensprung, oder es war etwas mit den Kindern geschehen, also mit ihm, Bodo, oder mit Elke. Es geschah ja immer dann etwas, wenn die Mutter nicht damit rechnete. Natürlich lag der Vater in tiefem Schlaf, wurde geweckt und verbat sich die Ruhestörung. Auch dass er nichts unternommen, war falsch. «Na ja», sagte der Vater, «und sonst war nichts, auch im Fernsehen war nichts.» Der dünnen Zimmerwände wegen konnte Bodo an solchen Gesprächen teilhaben.
Aufgeräumt waren die Schränke der Mutter, Tassen und Gläser standen an ihren Plätzen, gefüllt war der Kühlschrank mit rohem Fleisch, Gemüse, Obst, Eiern, Butter, Milch und Wein. Immer war sie darauf vorbereitet, dass sich ein ausgehungerter Mann oder Sohn zu Tisch setzte. Soweit war das nicht der Rede wert, aber es gab Stunden mit der Mutter, die sie in einem anderen Licht zeigten. Zuverlässig traf sie in verfahrenen Lagen Entscheidungen.